Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1

POLITIK INNER CIRCLE


Foto: Benjamin Zibner für HBM

56 FOCUS 40/2019


muss. Nur so kann man etwas für die
Näherin in der Fabrik oder den Farmer
auf dem Baumwollfeld verändern.
Wie stellen Sie bei Tchibo sicher, dass
Ihre Kleidungsstücke unter fairen Arbeits-
bedingungen produziert werden?
Bergstein: Wir ziehen Untergrenzen ein.
Das heißt, wir kaufen nicht in Fabriken
ein, die gewisse Standards unterschrei-
ten. Da gilt eine Null-Toleranz-Politik.
Das machen wir freiwil-
lig, weil wir es für den
richtigen Weg halten. Wir
würden es aber begrüßen,
wenn so etwas in Zukunft
auch in Regulierung über-
führt wird.
Müller: Ich gebe Ihnen
Recht, die Lösung sind ge-
setzliche Mindeststandards
in allen Lieferketten, die in
den Entwicklungsländern
beginnen und bei uns
enden. Das ist eine Frage
der Menschlichkeit und
Humanität. Und wir kön-
nen es uns auch leisten.
Herr Michalsky, Sie haben
in der Vergangenheit eine
Doppelmoral deutscher Ver-
braucher beim Kleiderkauf kritisiert. Warum?
Michalsky: Natürlich macht es jeden
betroffen, wenn Fabriken einstürzen und
Menschen ausgebeutet werden. Aber
gleichzeitig leben wir in einer Gesell-
schaft, in der den Konsumenten vorge-
macht wird, dass Quantität wichtiger als
Qualität ist. Ich sehe in Berlin viele junge
Leute, die braune Tüten voller Klamot-
ten rumschleppen, weil sie das für ein
Schnäppchen halten. Diese Fast-Food-
Fashion ist das Gegenteil von nachhaltig.
Frau Bergstein, wie erleben
Sie den Spagat zwischen
Nachhaltigkeit und Wirt-
schaftlichkeit bei Tchibo?
Bergstein: Ich habe das Pri-
vileg, in einem Unternehmen
zu arbeiten, das sich seit 14
Jahren zur Nachhaltigkeit be-
kennt. Ich muss mich nicht
dafür rechtfertigen, wenn ich
mich für bessere Standards
einsetze.
Trotzdem: Geht es am Ende
nicht darum, entweder fair oder
billig zu produzieren?
Bergstein: Natürlich müssen
wir nicht nur ökologische und
soziale, sondern auch wirt-


schaftlich vernünftige Lösungen finden.
Wir sind schließlich für viele Tausende
Mitarbeiter verantwortlich. Das gilt es,
in Einklang zu bringen. Ganz wichtig:
Nachhaltigkeit darf kein Luxus sein.
Müssen wir bereit sein, für nachhaltig
produzierte Kleidung mehr zu bezahlen?
Müller: Fair heißt nicht teuer. Wir müssen
Wertschöpfungsketten schaffen, die nicht
auf Ausbeutung beruhen. Ich erkläre

das gerne an einem Beispiel, weil man es
kaum glauben kann. Die Produktion einer
Jeans in Bangladesch kostet fünf Dollar.
Sie wird dann in Europa für das 20-Fache
verkauft. Um den Näherinnen einen men-
schenwürdigen Lohn zu sichern, braucht
es nur einen Dollar mehr im Einkauf.
Einen Dollar. Das muss es uns wert sein,
um diese Menschen aus ihrer drama-
tischen Situation herauszuholen. Am
Verkaufspreis in Deutschland muss das
nichts ändern.
Frau Meier, es gab eine
Begegnung mit Gerd Müller,
die Sie sehr geprägt hat.
Meier: Ich habe den Minister
bei einem Zukunftskongress in
München vor drei Jahren ken-
nengelernt. Eigentlich wollte
ich ihn als WWF-Botschafterin
auf Plastikmüll ansprechen.
Da fragte er mich: „Frau Meier,
was tun Sie für fair produzierte
Mode?“ Das war das allerers-
te Mal, dass jemand mich als
Model darauf angesprochen
hat. In den vielen Jahren, in
denen ich in der Branche ge-
arbeitet habe, waren die Pro-
duktionsbedingungen nie ein

Thema. Danach habe ich angefangen,
mich damit zu beschäftigen.
Sie haben 2007 „Germany’s Next
Topmodel“ gewonnen. Wie hat sich seitdem
Ihr eigenes Konsumverhalten verändert?
Meier: Ich sehe Kleidungsstücke heute
mit ganz anderen Augen. Mir ist viel
bewusster, dass dahinter die Arbeit
von Frauen steckt und dass jede Naht
in Handarbeit entstanden ist. Ich kaufe
deshalb sehr viel bewuss-
ter ein und trage meine
Kleidung länger. Wenn
ich etwas mag, bleibt es in
meinem Kleiderschrank.
Ich kaufe nichts mehr, nur
weil es gerade im Schluss-
verkauf ist.
Lassen Sie uns auch
über ökologische Fragen
sprechen. Können Sie
mir sagen, wie viel
Wasser für die Produktion
einer einzigen Jeans
verbraucht wird?
Michalsky: Es sind, glau-
be ich, etwa 8000 Liter.
Der Großteil davon ent-
fällt auf die Herstellung
von Baumwolle, zum Bei-
spiel in Indien oder in China.
Müller: 20 Prozent der industriellen Was-
serverschmutzung geht auf die Textilpro-
duktion zurück. Das sollte uns zu denken
geben. Ich habe die ökologischen Pro-
bleme vor Ort gesehen. Wenn das T-Shirt
rot ist, ist der Fluss neben der Fabrik rot.
Mit dem Grünen Knopf werden wir auch
das ändern.
Meier: Die Textilindustrie sorgt nach der
Erdölbranche für die zweitgrößte Umwelt-
verschmutzung auf der Erde. Mir war das
lange Zeit überhaupt nicht bewusst.
Wäre es für uns alle und die
Umwelt nicht besser, wenn wir
einfach weniger Klamotten
im Schrank hängen hätten?
Meier: Ich finde, weniger ist mehr. Mil-
lionen Tonnen Textilien landen jährlich
auf dem Müll. Wir müssen lernen, uns
wieder zu reduzieren. Ich brauche keine
20 Jeanshosen zu Hause.
Michalsky: Natürlich braucht niemand
jeden Monat eine neue Kollektion. Aber
wir sollten den Menschen ebenso nicht
von oben verordnen, dass sie nur noch
zwei bis drei T-Shirts kaufen dürfen.
Das müssen sie selbst wollen. Nach-
haltigkeit fängt meiner Meinung nach
im Kopf an.n

Raum für Ideen Eröffnet wurde der Gropius Bau 1881 als Kunstgewerbemuseum.
Heute ist hier eine der bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst

Der Grüne Knopf
ist das erste Staats-
siegel für nachhaltig
produzierte Textilien.
27 Unternehmen
sind bereits dabei.
30 werden
noch geprüft.
150 weitere wollen
mitmachen
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