Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1

Der schwarze Kanal


Foto: Susanne Krauss

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A


uch in Berlin kann man streng sein. Von
wegen Party-Hauptstadt!
Anfang des Monats erhielt der Bäckermeis-
ter Karsten Greve ein Schreiben des Landes-
amtes für Mess- und Eichwesen, in dem ihm
eine Strafzahlung in Höhe von 25 000 Euro
in Aussicht gestellt wurde. Der Mann, der im
Bezirk Prenzlauer Berg die Bäckerei „100 Brote“ betreibt, hatte
bei den Mengenangaben die falsche Schriftgröße verwendet.
Statt Kilogramm mit „kg“ abzukürzen, hatte er auf die
Preistafel „KG“ geschrieben. Dies eröffne die Möglichkeit zu
Fehldeutungen, schrieb ihm das Amt. Kunden könnten die
Gewichtsangabe mit Kelvin und Gauß verwechseln oder mit
der Abkürzung für „Kommanditgesellschaft“, was in jedem
Fall eine Irreführung sei.
Da sage noch jemand, in Berlin würden sie nicht auf Recht
und Ordnung achten. Zwei Buchstaben falsch, und schon steht
man mit einem Bein im Gefängnis. So streng sind sie nicht
mal in Bayern, das sich einiges darauf einbildet, die Bürger
zur Gesetzestreue anzuhalten.
Die neue Null-Toleranz-Politik gilt
allerdings nicht gegenüber jedermann,
so grün ist Berlin dann doch. Wer seinen
Unterhalt als Drogenhändler bestreitet,
darf weiterhin mit Nachsicht rechnen.
In einem Bericht des ARD-Polit-Ma-
gazins „Kontraste“ über den Görlit-
zer Park, den mutmaßlich größten
Open-air-Drogenumschlagplatz Euro-
pas, erklärte die Bezirksbürgermeiste-
rin Monika Herrmann, warum Drogen-
handel in Berlin zu einer inklusiven
Stadtkultur gehöre.
Man wolle niemanden ausgrenzen,
sagte die Grünen-Politikerin vor lau-
fender Kamera. Wenn man erst einmal

damit anfange, dann fragten sich die Leute, wer als
Nächstes dran sei: „Heute ist es die Dealergruppe,
die rausgeschickt wird, und wer ist es morgen?“
Es kommt eben ganz darauf an, womit man
in Berlin sein Geld verdient. Immobilienhandel
oder Vermietung und Verpachtung gehen gar
nicht. Selbst als normaler Gewerbetreibender
ist man bestenfalls geduldet. Schwarzarbeit hin-
gegen erfreut sich der Förderung durch die Poli-
tik, schon weil sie im Ruf steht, auch irregulären
Arbeitskräften eine Erwerbschance zu bieten.
Die Grünen sind so etwas wie der Pandabär
der deutschen Politik. Grüne gelten als süß
und flauschig, so wie ihr Chef, der Oberpanda
Robert Habeck. Dass Habeck selbst bei Kern-
anliegen nicht sattelfest ist und von der Pend-
lerpauschale offenbar so viel versteht wie einst
der unglückliche Rudolf Scharping von brutto
und netto – geschenkt. Er meint das Richtige,
deshalb wird ihm verziehen.

E


iner der Gründe, sich für die Grünen
auszusprechen, liegt gerade in ihrer
Unbestimmtheit. Wo die Leute an der
Spitze so ungemein freundlich und ent-
spannt wirken, erscheint das Bekenntnis zu ihnen
als ungefährlich. Grün wählen funktioniert aus Sicht
vieler Wähler wie Rosenkranzbeten am Sonntag: Man
bereut seine Sünden, verspricht Buße und Einkehr und
macht dann ab Montag so weiter wie gewohnt.
Wenn es Kritik an den Grünen gibt, dann setzt sie
genau hier an: In Wahrheit würde sich gar nichts ändern,
wenn sie an die Regierung kämen. „Der Schein trägt“ war
neulich ein Artikel in der „Zeit“ überschrieben, in dem den
Grünen vorgehalten wurde, sie wür-
den nur so tun, als seien sie radikal.
Ich wäre mir, was die Folgenlosig-
keit des Grünwählens angeht, nicht so
sicher. Allen, die von einem Bundeskanz-
ler Robert Habeck träumen, kann ich
nur empfehlen, sich im Ideenlabor Ber-
lin umzusehen. Wenn es einen Ort gibt,
an dem der Grüne zu sich selbst kommt,
dann ist es die deutsche Hauptstadt.
Hier holt die Partei seit Jahren verläss-
lich ihr einziges Direktmandat für den
Bundestag; hier hat sie eine Parallelwelt
errichtet, in der sich alle Vorlieben und
Abneigungen beobachten lassen, über
die man in Stuttgart und Esslingen nur
den Kopf schüttelt.

JAN FLEISCHHAUER


Bürger, schaut


auf diese Stadt


Allen, die von einem Bundeskanzler Robert
Habeck träumen, kann man nur empfehlen,
sich im grünen Ideenlabor Berlin umzusehen.
Gegen die Grünen sind selbst die Nostalgiker
von der AfD Modernitätsapostel

»


Als Feind gelten


in dieser Welt schon


mal alle Leute,


die von außen


kommen und Geld


mitbringen


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