Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1

WIRTSCHAFT


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Euro

2010

2010 2018

2010 2012 2014 2016 2018

31.1.2010 23.9.2019

2018 2010 2018

10,2

–3

–712

–600

928 989

419
168

3,45

437

–244

–144 –184

+31

10,8 30 747

21 263

Umsatz Mrd. Euro

Ergebnis Mio. Euro

Nettoverschuldung Mio. Euro

Aktienkurs Thomas Cook

Unternehmensstruktur
vereinfacht

Mitarbeiter

Thomas Cook GmbH

Neckermann Reisen

Condor

Öger Tours
Bucher Reisen
Air Marin
Fotos: REUTERS (2)

60 FOCUS 40/2019


sind sich heute jedoch sicher, dass dabei
nicht das hehre Ziel der Abstinenzler im
Vordergrund stand. Ausschlaggebend war
vielmehr die einmalige Chance, erstmals
mit dem damaligen technologischen Wun-
derding Bahn zu fahren. (Und lustiger-
weise begründete Cook ausgerechnet mit
seiner Antialkohol-Reise viel später den
pauschal buchbaren Sonne-und-Sauf-Tou-
rismus rund ums Mittelmeer.)
Ein erstes komplettes Reisepaket, be-
stehend aus Transport, Unterkunft sowie
Mahlzeiten, bot der Geschäftsmann be-
reits 1855 mit viel Gespür für wissbegie-
rige Entdeckernaturen an – es ging von
London nach Paris zur Weltausstellung.
Cooks bahnbrechende Idee vom un-
komplizierten Bereisen des Globus für
jedermann soll sogar Jules Verne inspiriert
haben, 1872 seinen Roman „In 80 Tagen
um die Welt“ zu schreiben.
Der boomende Reisemarkt brachte
Cook zwei Jahre später auf die Idee, ein
internationales, sicheres Zahlungsmittel
zu entwickeln, die Vorläufer der spä-
ter weltbekannten Travellers Cheques
namens Cook’s Circular Notes.

Reisen aus einer Hand wurde populär
Sein Sohn John Mason baute die Pauschal-
reise-Idee mit einem aus heutiger Sicht
unglaublichen Gespür für künftige Trends
aus: Die Reisefirma wurde Partner der ers-
ten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896
in Athen, er organisierte Studienreisen zu
ehemaligen Kriegsstätten nach Nordame-
rika sowie Kreuzfahrten per Dampfschiff
auf dem Nil. Dabei bündelte er Hotels
mit dem Transport zu immer attraktiveren
Paketen, die auch für eine aufstrebende
Mittelschicht bezahlbar waren.
Thomas Cooks müde Enkel Frank und
Ernest verkauften 1928 schließlich den
boomenden Reiseveranstalter mit Hun-
derten Büros weltweit. Danach wechselten
die Eigentümer in rascher Abfolge.
Das größte Erfolgsprodukt im welt-
weiten Tourismus-Sektor, die klassische
Flug-Pauschalreise für den Massenmarkt,
erfand bei Thomas Cook jedoch erst 1950
ein eingewanderter Russe, Vladimir Raitz,
mit einer originellen Kombination: Ein Pro-
peller-Flieger vom Typ DC-3 Dakota hob
mit gerade einmal elf Passagieren in Lon-
don-Gatwick ab in Richtung Korsika. Dort
erwarteten die ersten „Flug-Pauschalur-
lauber“ Zelte am Strand samt Essen und
reichlich Rotwein.
Doch das war es dann mit den Innova-
tionen made by Cook. In den Jahrzehn-

ihre Bezahlung. Weil Neckermann Thomas Cook in Zahlen
und andere Reise-Anbieter unter dem
Dach von Thomas Cook die Kosten für
die gebuchten Unterkünfte noch nicht
beglichen haben, sperrten viele Hoteliers
ihren Gästen kurzerhand die Zimmerkar-
ten oder verlangten sofortige Bezahlung.
Wer die Hotelrechnungen übernimmt, ist
ebenso ungewiss wie die Rückkehr der
deutschen Urlauber.
Es sind diese Bilder, die der deutschen
Reise-Industrie noch lange in den Glie-
dern stecken werden: Während bereits am
Montag die britischen Thomas-Cook-Gäs-
te auf Staatskosten mit eigens vom Ver-
kehrsministerium gecharterten Maschi-
nen nach Hause flogen, blamierten sich
die Deutschen. Zwar flog der ebenfalls zu
Thomas Cook gehörende Urlaubsflieger
Condor trotzig weiter, verweigerte aber
allen Pauschalurlaubern des Mutterhau-
ses das Boarding, die ab Deutschland erst
noch abheben wollten.
Wer bei den Marken Thomas Cook,
Neckermann, Bucher, Öger und Air Marin
gebucht habe, dürfe „nicht befördert wer-
den“, lautete die Anweisung bei Condor.
Individualreisende dagegen durften mit-
fliegen. Dies habe etwas mit dem Insol-
venzrecht zu tun, war zu erfahren. Wie
zum Hohn empfahl die Airline ihren
geprellten Gästen den Besuch der eige-
nen Website, um noch einmal „einen von
Ihrer Pauschalreise losgelösten Flug“ zu
kaufen. Gleichzeitig bettelte Condor bei
der Bundesregierung und dem Land Hes-
sen um einen „Überbrückungskredit“ in
Höhe von 380 Millionen Euro.


Die erste Pauschalreise mit dem Zug


Kann es das geben? Pauschaltouristen,
die schlechter abgesichert sind als Indi-
vidualreisende? Hunderttausende Kun-
den, die auf Zusatzkosten sitzen bleiben?
Und dazu verschwindet ausgerechnet
der älteste Reisekonzern der Welt?
Die Merkwürdigkeiten dieser Woche
sind kaum fassbar und haben dennoch
viel mit der kuriosen Geschichte von Tho-
mas Cook zu tun, der ersten echten Reise-
firma der Neuzeit.
Sie beginnt mit einem Missverständ-
nis: Der überzeugte Baptist und Drucker
Thomas Cook ist Anhänger der Bewegung
der Antialkoholiker und chartert 1841 eine
ganze Eisenbahn, um mit 500 Gleichge-
sinnten aus seinem Heimatort Leicester in
den englischen Midlands ins gerade ein-
mal 15 Kilometer entfernte Loughborough
zu einem Treffen zu reisen. Die Historiker


Verluste
Jahre mit
starken
Verlusten
überwogen
die kurze
Gewinnphase

Jobabbau
Thomas Cook
musste fast
ein Drittel der
Mitarbeiter
entlassen

Rote Zahlen
Trotz Spar-
runden und
Sanierung
blieben hohe
Schulden

Beteiligung
Viele deutsche
Reisemarken
gehören zum
britischen
Konzern

Quelle: Thomas Cook
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