Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
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FOCUS 40/2019 61


ten danach kam bis zur Pleite am ver-
gangenen Wochenende nichts wirklich
Neues oder Bewegendes mehr – sieht man
vielleicht von der eigens entwickelten,
wirtschaftlich sehr ertragreichen Sparte
für Jugendreisen, Club 18–30, einmal ab.
Oder von der Erfindung der „Geld-zu-
rück-Garantie“ bei getrübter Urlaubsfreu-
de 1974.
Die britische Zeitung „Guardian“ fass-
te die vermeintlichen Verdienste des
Urlaubspioniers lakonisch mit den Wor-
ten zusammen: „Über die Jahre war Tho-
mas Cook tief in den Pauschalreise-Boom
der sechziger Jahre eingetaucht, der die
spanische Küste in eine neue Heimat für
Eierspeisen und Pommes verwandelte.“
Dabei wechselten die Eigentümer an-
dauernd: Der Reisekonzern
gehörte mal British Railways
(und damit dem Staat), dann
der Midland Bank, den Hote-
liers Trust House Forte. Dann
schlugen die Deutschen zu:
Ein Teil gehörte einmal dem
TUI-Vorläufer Preussag. Die
West LB kaufte 1992 mit der
Charter-Airline LTU Thomas
Cook. 1997 fusionierten die
Lufthansa und KarstadtQuel-
le ihre Urlaubsaktivitäten


von Condor und Neckermann (C&N) zur
deutschen Thomas Cook AG, die dann
die britische Thomas Cook 2001 komplett
schluckte.

Vom Erfindungsreichtum blieb wenig
Vom Erfindungsreichtum der Gründer-
familie blieb indes wenig übrig: Der
Konzern sah sich zunehmend von Kon-
kurrenz umstellt. Häufig sind die Tho-
mas-Cook-Marken im Vergleich zum
wachsenden Erzfeind TUI aus Hannover
auch nur zweite oder dritte Wahl – zum
Beispiel beim Cluburlaub (TUI: Robinson
vs. Thomas Cook: Aldiana) oder bei den
Erwachsenen-Hotels (TUI: Sensimar vs.
Thomas Cook: Sentido). Mal wollen die
Cook-Chefs eigene Hotels und Flugzeuge
abstoßen, weil sie angeblich
zu viel Kapital binden, mal
werden sie zugekauft.
Im Ergebnis besitzt Tho-
mas Cook heute lediglich
164 Häuser, TUI kommt auf
mehr als doppelt so viele.
Dabei gelten eigene, exklu-
sive Unterkünfte im weltweit
wachsenden Tourismusge-
schäft inzwischen als beson-
ders lukratives Alleinstel-
lungsmerkmal. Den Einstieg

in den boomenden Kreuzfahrt-Markt mit
eigenen Schiffen verschlief Thomas Cook
total.
Trotzdem wollte der Konzern immer
auch vorn mitmischen: 2007 fusioniert der
damalige Chef Manny Fontenla-Novoa
die Gruppe mit dem Online-Reiseportal
MyTravel. Online-Reisen galten als das
Geschäft der Zukunft. Doch die Integra-
tion klappte nie so richtig, im Kern blieb
Thomas Cook ein stationärer Reisever-
anstalter mit bis heute 550 eigenen und
zahllosen Nebengeschäften, die auch im
Web auftreten. Im Gespräch mit FOCUS
beschrieb Fontenla-Novoa 2008 den
Reiseriesen einmal als „großes Puzzle
mit sehr vielen Einzelteilen“. Zu einem
schlüssigen Gesamtbild konnte auch er
es nie zusammensetzen. Er wurde 2011
wegen wachsender Schulden aus dem
Job gedrängt.
Tatsächlich verzettelte sich Thomas
Cook mit seinen zahllosen Zu- und Ver-
käufen wie etwa bei Tjaereborg, hotel-
s4U.com, Tour Vital, der russischen
Intourist, dem Türkei-Spezialisten Öger
Tours, Elegant Resorts, Gold Medal oder
Jet Tours. In einem vor sechs Jahren
aufwendig aufgebauten „Social Media
Listening Lab“ sollten Mitarbeiter nach
dem Vorbild des amerikanischen Dell

Lange Geschichte Der Brite Thomas Cook erfand die Pauschalreise, deren typische Vertreter Jahrzehnte später per Flugzeug reisten

„Thomas Cook


ist ein großes
Puzzle mit sehr

vielen Einzel-
teilen“
Manny Fontenla-Novoa,
Ex-Chef von Thomas Cook

Lange Schlangen Die Nachricht von der Pleite des Reisekonzerns führte zu Unruhe bei weltweit 600 000 Thomas-Cook-Urlaubern
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