Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
KOLUMNE

FOCUS 40/2019 7

Den Autor dieser Kolumne erreichen Sie unter:
[email protected], Twitter: @janfleischhauer

Pandabär der deutschen Politik
Illustration von Silke Werzinger
JAN FLEISCHHAUER


Als Feinde gelten in dieser Welt schon mal alle Leute, die
von außen kommen und Geld mitbringen. Was dem AfDler
der syrische Flüchtling, das ist dem Grünen der ausländische
Investor. In jeder anderen Stadt würde man sich freuen, wenn
der Karstadt-Eigentümer auf die Idee käme, eine innerstäd-
tische Kaufhaus-Ruine im Glanz der 20er-Jahre auferstehen
zu lassen. In Kreuzberg erklärt der grüne Baustadtrat kühl,
die Fassadenrekonstruktion sei „eine Replik, die befürchten
lässt, dass sie in ihrer Wirkung nicht authentisch ist“. Dann
doch lieber der Steinklotz aus den 50er-Jahren, der ist in sei-
ner Hässlichkeit wenigstens echt.
Tatsächlich legen die Grünen für eine Partei, die sich
viel auf ihre Weltgewandtheit zugutehält, eine erstaunliche

Provinzialität an den Tag. Ich folge auf Twitter fasziniert
den Versuchen der Senatsverwaltung, die Bergmannstraße
in Kreuzberg in eine „Begegnungszone“ umzuwandeln.
Nachdem es mit grünen Punkten, die sie für 145 000 Euro
aufs Pflaster malen ließ, nicht klappte, versuchte sie es mit
sogenannten Parklets, einer Kombination aus Pflanze und
Sitzmöbel. Weil auch dies nicht den gewünschten Effekt
hatte, sollen nun riesige Felsbrocken die Straße in eine Art
verkehrstechnische Paläo-Zone verwandeln.

S


elbst der „taz“, die in der grünen Szene so verankert
ist wie keine andere Zeitung, geht die Musealisierung
ganzer Stadtviertel zu weit. Schon ein Kinderzirkus
reicht heute aus, um die Fußtruppen der Bewegung
auf den Plan zu rufen, wie das Blatt vermeldete. Als der
Wanderzirkus Cabuwazi auf dem Tempelhofer Feld, einer
riesigen Brache in der Mitte der Stadt, sein gelb-rotes Zelt
errichtete, hieß es, das Zelt könne nicht stehen bleiben, da es
der weiteren Bebauung Vorschub leiste. Bei Cabuwazi lernen
Jugendliche und Kinder aus allen Schichten und Herkünften,
wie man jongliert und seiltanzt, eine urlinke Idee. Leider gilt
das Tempelhofer Feld als heiliger Ort, auf dem nur die
Kornblume und der Klatschmohn frei sprießen
dürfen. Also Schluss mit Cabuwazi!
Solange es lediglich um die Stilllegung
eines Stadtteils geht, muss einen das
außerhalb nicht weiter bekümmern.
Problematisch wird es, wenn eine
Industrienation Leute in die Bun-
desregierung wählt, die mit der
Moderne hadern.
Gegen die Grünen sind selbst die
Nostalgiker von der AfD Moderni-
tätsapostel. Der AfD wird vorgeworfen,
sie wolle zurück in die 50er-Jahre. Wenn das
wahr ist, dann liegt das Sehnsuchtsjahrzehnt der
grünen Partei vor 1810, als die Dinge des täglichen Lebens
noch handgeklöppelt wurden, jedes Tier einen Namen hat-
te und der Bauer das Pferd anspannte, statt den Trecker zu
besteigen.
Sie meinen, es sei unfair, die grüne Partei für ihren Berliner
Landesverband in Haftung zu nehmen? Ich würde sagen,
das ist so gerecht oder ungerecht, wie es fair oder unfair ist,
von ihrem Thüringer Landesverband auf die gesamte AfD
zu schließen. Manchmal ist der Blick auf die erste Reihe in
der Politik trügerisch, denn die Entscheidungsgewalt liegt
hier bei den Mitgliedern.n
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