Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
Fotos: Getty Images, Michael Fein/MEGA

74 FOCUS 40/2019

D


as Alter. Wir sehen
und spüren es,
und je mehr wir
in die Jahre kom-
men, desto offen-
sichtlicher wird
es. Wir werden 50
und stellen fest,
dass wir aussehen wie unsere Eltern, mit
ergrauenden Haaren und immer mehr
Falten. Wenn wir mit 65 noch gesund
sind, denken wir bereits, wir hätten Glück
gehabt. Und wenn wir mit 80 noch da
sind, kämpfen wir höchstwahrschein-
lich mit einem Leiden, das unser Leben
schwerer und weniger erfreulich macht.
Bei 85-jährigen Männern werden im
Schnitt vier verschiedene Krankheiten
diagnostiziert, bei Frauen im gleichen
Alter sind es fünf. Herzkrankheiten und
Krebs etwa. Arthritis und Alzheimer. Nie-
renerkrankungen und Diabetes. Es folgt
der Tod. 99,98 Prozent der Menschen ster-
ben, bevor sie 100 sind.
Was wäre, wenn es nicht so sein müss-
te? Wenn wir nicht nur länger leben,
sondern auch länger jung bleiben könn-
ten? Wenn wir nicht nur Jahre, sondern

Jahrzehnte gewinnen könnten und mit
unserer Lebenserwartung auch unsere
Gesundheitserwartung steigen würde?
Und was, wenn das auch schon sehr bald
der Fall wäre?
Ich glaube, genau das wird geschehen.
Der gleichen Ansicht sind auch viele mei-
ner Kollegen. Die Verlängerung unserer
Vitalität steht bevor, die Vermehrung der
aktiven, gesunden und glücklichen Jah-
re. Schon zu Beginn des nächsten Jahr-
hunderts wird ein Lebensalter von 120
Jahren keine Ausnahme mehr sein. Und
womöglich lebt der erste Mensch, der 150
Jahre alt wird, schon unter uns. Wir ste-
hen an einem historischen Wendepunkt.

Den Tod zurückdrängen
Die Alternsforschung verfügt heute über
belastbare Erkenntnisse, wie die Alte-
rung verläuft, was sie mit uns macht und
was ihre Ursachen sind. Es besteht auch
zunehmend Einigkeit darüber, wie sie
aufzuhalten ist. Und wie es aussieht, soll-
te das nicht allzu schwer sein.
Die führenden Wissenschaftler des
Fachgebiets begreifen das Altern und
die Krankheiten, die mit ihm zusam-

menhängen, als die Folge von mehre-
ren Anzeichen des Älterwerdens. Dazu
zählen: DNA-Schäden verursachen eine
Instabilität des Genoms. Telomere, die
schützenden Enden der Chromosomen,
nutzen sich ab. Die Mitochondrien, die
Kraftwerke unserer Zellen, nehmen Scha-
den. Gealterte, zombieartige Zellen rei-
chern sich an und rufen Entzündungen
hervor (siehe Grafik auf Seite 79).
Nach und nach setzte unter den Wis-
senschaftlern Einigkeit ein: Kümmert
man sich um die Alterszeichen, kann man
die Alterung verlangsamen. Verlangsamt
man die Alterung, kann man Krankhei-
ten verhüten. Verhütet man Krankheiten,
kann man den Tod zurückdrängen.
Ich postuliere, dass es eine Ursache für
das Altern gibt, die allen diesen Alters-
zeichen vorgeschaltet ist. Einen einzigen
Grund, warum wir altern: Alterung ist
Informationsverlust.
Unsere Zellen verlieren meiner Theorie
zufolge im Lauf der Zeit das Wissen darü-
ber, welche Gene sie lesen und aktivieren
müssen. Dadurch verlieren sie ihre Iden-
tität und funktionieren nicht mehr rich-
tig. Die Folge ist Chaos, und das Chaos

2


7


Jahre war das Alter,
in dem Stars wie Jimi Hendrix,
Kurt Cobain oder Amy Winehouse
starben. Jagger heiratete in
Saint-Tropez seine erste Frau Bianca
Free download pdf