Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
TITEL

Foto: Patrik Andersson/Trunk Archive


FOCUS 40/2019 77

außerdem heraus, dass Rapamycin bei
verschiedensten Modellorganismen das
Leben verlängert, bei Hefen wie bei Fa-
denwürmern und Mäusen.
Seine Wirkung zielt auf ein Langlebig-
keits-Gen, das den Sirtuin-Genen ähnelt.
Es trägt die Bezeichnung TOR (die Abkür-
zung von Target Of Rapamycin). TOR
produziert einen Proteinkomplex, der das
Wachstum und den Stoffwechsel steuert.
Wird TOR gehemmt, erhalten die Zellen
das Signal, die DNA-Reparatur zu ver-
stärken, die von alternden Zellen ausge-
hende Entzündung zu dämpfen und alte
Proteinmoleküle abzubauen.
Beim Menschen würde Rapamycin bei
langfristiger Anwendung die Nieren und
wohl auch das Immunsystem schädigen.
Trotzdem weist es einen vielversprechen-
den Weg. Hunderte von Wissenschaft-
lern an Universitäten und in Biotechno-
logie-Unternehmen suchen derzeit nach
„Rapaloga“, nach Wirkstoffen, die TOR
noch effektiver und mit weniger uner-
wünschten Nebenwirkungen hemmen.

Wundersames Metformin
In Europa wird schon seit Jahrhunder-
ten die Echte Geißraute (Galega offici-
nalis) als Arzneipflanze verwendet. Das
hat sie ihrem hohen Gehalt an Guanidin
zu verdanken. In den fünfziger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts fanden
französische Forscher heraus, dass oral
verabreichtes Dimethylbiguanid in der
Behandlung von Typ-2-Diabetes wirk-
sam ist. Die Weltgesundheitsorganisation
WHO hat das Medikament, heute meist
Metformin genannt, mittlerweile auf ihre
Liste der unentbehrlichen Arzneimittel
genommen. Es ist ein Katalog der wirk-
samsten, ungefährlichsten und kosten-
günstigsten Medikamente für die häu-
figsten Gesundheitsstörungen der Welt.
Als Generikum kostet es die Patienten in
den meisten Regionen der Welt weniger
als fünf Dollar im Monat.
Vor einigen Jahren beobachteten Wis-
senschaftler ein seltsames Phänomen:
Personen, die Metformin einnahmen,
waren insgesamt gesünder – und zwar,
so scheint es, unabhängig von der Wir-
kung des Medikaments auf den Diabetes.
Eine Studie an mehr als 41 000 Metfor-
min-Anwendern im Alter zwischen 68
und 81 Jahren gelangte zu dem Schluss,
dass der Wirkstoff die Häufigkeit von
Demenz, Herz-Kreislauf-Krankheiten,
Krebs, Gebrechlichkeit und Depression
senkt, und das nicht nur geringfügig.

Metformin ahmt verschiedene Aspek-
te der Kalorienbeschränkung nach. Es
schränkt die Stoffwechselreaktionen in
den Mitochondrien ein. Dadurch ver-
langsamt sich der Prozess, mit dem die
Kraftwerke unserer Zellen den Nährstof-
fen ihre Energie entziehen. An der Spitze
der Bestrebungen, Metformin als erstes
Medikament gegen das Altern zuzulassen,
steht der israelisch-amerikanische Arzt
und Genetiker Nir Barzilai. Er und seine
Kollegen wollen die Wirksamkeit derzeit
im Rahmen ihrer Studie namens TAME
(Targeting Aging with Met-
formin) nachweisen.
Es gibt noch weitere aus-
sichtsreiche Kandidaten.
Der Treibstoff für die Sir-
tuine ist ein Molekül mit
der Bezeichnung Nicotin-
amid-Adenin-Dinucleotid,
kurz NAD, manchmal auch
NAD+ geschrieben.
Es wurde bereits zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts
entdeckt. Es verstärkt die
alkoholische Gärung und
konnte bei Hunden die
Schwarze-Zunge-Krankheit
heilen. NAD ist ein Produkt
des Vitamins Niacin, dessen Mangel Haut-
entzündungen und geistigen Verfall ver-
ursacht. Ohne NAD, das an der Tätigkeit
von über 500 Enzymen mitwirkt, wären
wir in 30 Sekunden tot.
Mit fortschreitendem Alter sinkt der
NAD-Spiegel im gesamten Organismus –
in Gehirn, Blut, Muskeln, Immunzellen,
Bauchspeicheldrüse, Haut und sogar den
Endothelzellen, die unsere mikroskopisch
kleinen Blutgefäße auskleiden.
An der Universität Harvard ist es unser
Ziel, den NAD-Spiegel zu erhöhen. Dabei
konzentrieren wir uns auf eine Verbin-
dung namens Nicotinamid-Mononucle-
otid oder NMN. Sie kommt in Lebens-
mitteln wie Avocado, Brokkoli oder Kohl
vor. Im Organismus wird NMN zu NAD
weiterverarbeitet. Gibt man Mäusen
NMN-haltige Flüssigkeit zu trinken, steigt
die NAD-Konzentration in ihrem Körper
während der nächsten Stunden um 25 Pro-
zent – ungefähr genau so, als hätten die
Tiere gefastet oder sich stark angestrengt.
NMN verleiht älteren Mäusen die Aus-
dauer jüngerer Tiere. 2017 führte das zum
Versagen unserer Laufräder: Wir muss-
ten das Aufzeichnungsprogramm der
kleinen Trainingsmaschinen in unserem
Labor neu aufbauen, weil niemand damit

gerechnet hatte, dass eine ältere Maus


  • oder überhaupt eine Maus – auch nur
    annähernd drei Kilometer rennen kann.
    Der Mäuse-Marathon war nur einer
    der Effekte. Der Wirkstoff verbesserte das
    Gleichgewichtsgefühl alter Mäuse, ihre
    Koordinationsfähigkeit und ihr Gedächt-
    nis. Winzige Blutgefäße bildeten sich neu,
    lieferten dringend benötigten Sauerstoff
    und transportierten sowohl Milchsäure als
    auch giftige Stoffwechselprodukte aus den
    Muskeln ab. Damit machten sie einen der
    wichtigsten Faktoren rückgängig, die bei
    Mäusen und Menschen Ge-
    brechlichkeit verursachen.
    Neue Forschungsarbei-
    ten lassen vermuten, dass
    NMN einen ähnlichen oder
    den gleichen Effekt auf die
    Gesundheit der Menschen
    haben könnte. Derzeit laufen
    Studien, in denen NAD-Ver-
    stärker an Menschen erprobt
    werden. Bisher gibt es keine
    Anzeichen für eine toxische
    Wirkung.
    Es gibt noch einen wei-
    teren Ansatzpunkt, unsere
    Leben mit pharmazeuti-
    schen Mitteln zu verlängern.
    Er nimmt eines der wichtigsten Alterszei-
    chen ins Visier, die Anreicherung altern-
    der Zellen. Diese haben ihre Teilung auf
    Dauer eingestellt und werden häufig als
    „Zombie-Zellen“ bezeichnet.
    Zombie-Zellen können schon in gerin-
    ger Zahl ziemliches Unheil anrichten,
    denn sie schütten Cytokine aus, kleine
    Proteinmoleküle, die im Körper Entzün-
    dungen verursachen und andere Zellen
    wie in einer biologischen Apokalypse
    ebenfalls in Zombies verwandeln.


Ein Medikament die Woche
Als Zombie-Killer könnten sich Substan-
zen aus der Klasse der Senolytika erwei-
sen. Sie setzen in gealterten Zellen gezielt
ein Todesprogramm in Gang. Das gelang
Jim Kirkland von der Mayo Clinic. Mittels
einer kurzen Behandlung mit Quercetin,
das in Kapern, Grünkohl und roten Zwie-
beln vorkommt, und Dasatinib, einem
Standardmedikament für die Chemo-
therapie von Leukämie, entfernte er bei
Labormäusen die gealterten Zellen und
verlängerte die Lebensdauer der Tiere
um 36 Prozent.
Wenn die Senolytika wirken, bräuch-
te man nur eine Woche lang ein Medi-
kament einzunehmen, um sich zu

»
Wir müssen
die Übel des
Alterns
angehen, wo
sie entstehen –
im Innern
unserer Zellen

«

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