Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1

KULTUR


„Ich sammle Aschenbecher, weil


diese bald verschwinden“ Tobias Rehberger


Foto: Tobias Rehberger für FOCUS-Magazin

94 FOCUS 40/2019


FOCUS-Cover – der Künstler hat neun
seiner Witzfiguren zum 25-jährigen Jubi-
läum des Magazins im Januar 2018 zu
einer Collage zusammengesetzt. Persön-
lich kennt er seine Modelle nicht.
Den Kurator Kasper König dafür umso
länger. Rehberger hatte sein Kunststu-
dium an der Frankfurter Städel Schule
gerade begonnen, als König dort Pro-
fessor wurde. Das ist mehr als 30 Jah-
re her. Seither hat der Künstler für den
Kurator einige Skulpturen realisiert, die
der Kultur-Instanz König noch immer im
Gedächtnis sind.
Für die Expo Hannover 2000 etwa bau-
te Rehberger an einer Autobahnausfahrt
einen japanischen Zen-Garten mit Bon-
sai, der im Sommer jede Nacht beschneit
wurde. Tagsüber schmolz der Schneehau-
fen wieder. Als Student formte der Künst-
ler Miniaturskulpturen nach bekannten
Plastiken, etwa nach Henry Moores Bron-
ze vor dem früheren Kanzleramt in Bonn.
Seine kleinen bemalten Papiertiger
stellte König in seiner damaligen Pri-
vatwohnung in Frankfurt am Main aus.
Schon immer liebte Rehberger Papier.


Pitbulls, Papiertiger und Pappnasen


Für den 75-jährigen Museumsprofi König
war es Ehrensache, vergangenen Sonntag
trotz heftiger Erkältung in einem Talk
mit Tobias Rehberger über sein Werk zu
sprechen. Mit krächzender Stimme lobte
er den gewitzten Gesamtkunstwerker.
„Rehberger stellt eine Bereicherung dar,
eben weil er eine Sache verkompliziert
und nicht vereinfacht.“ Wie er das Haus
am Waldsee, eine umgebaute Zwanzi-
ger-Jahre-Villa, wieder rückbauen und
dafür alle Türen einsetzen ließ, „ist eine
fantastische Idee“.
Das Haus am Waldsee im Westen Ber-
lins hat seine eigene Geschichte. Es
gehörte einem jüdischen Regenmantel-
hersteller und wechselte bis zum Ende
des Zweiten Weltkriegs achtmal die
Besitzer. In den 1940er-Jahren wohnte
dort Karl Melzer, der Vizepräsident der
Reichsfilmkammer. Erst ab 1946 wurde
die Villa für Ausstellungen genutzt.
„Das war hier schon immer eine ext-
rem wichtige Hütte“, sagt Kasper König.
„Rehberger hat das Gedächtnis des
Gebäudes rekonstruiert. Er hat das sehr
subtil umgesetzt.“


Elf Räume hat der Künstler mit Papier-
werk aus knapp 30 Schaffensjahren
gefüllt. Hinter jeder Tür wartet eine
Überraschung. Einmal steht da ein wei-
ßer Pitbull aus Pappmaché. Ein anderes
Mal hängen Aquarelle scheinbar roman-
tischer Berggipfel an der Wand. Die roten
Markierungen darauf verraten allerdings
die Absturzstellen von Bergsteigern aus
dem Ersten Weltkrieg. Hinter einer Tür
bewegt sich ein großer Karton mit der
Aufschrift „Alleinerziehender“ wie von
Geisterhand. Im ehemaligen Damen-
zimmer riecht es nach abgestandenem
Zigarettenrauch. Wer die Schiebetür zum

Wintergarten öffnet, betritt den Raucher-
raum mit Pappmaché-Aschenbechern.
Rauchen ist hier ausdrücklich erlaubt.
Die bunt bemalten Miniaturbehälter
sollen die Asche auffangen, aber mit
jeder ausgedrückten Kippe werden sie
beschädigt, am Ende sind sie Müll. Reh-
berger ist selbst Raucher. Privat sammelt
er Aschenbecher, „weil das Gegenstände
sind, die bald verschwinden. Wer raucht
denn heute noch?“, fragt er. „In 50 Jahren
wissen die meisten Leute vielleicht gar
nicht mehr, warum in ihren Obstschalen
Auskerbungen zu sehen sind.“
In anderen Museen, vor allem in den
USA, hätte der Künstler vielleicht seine

Probleme mit diesem Werk. Aber „man
muss in der Kunst Grenzen überschrei-
ten“, glaubt er. Seine labyrinthische
Inszenierung im Haus am Waldsee ver-
setzt Besucher in einen Zustand zwischen
Angst und Heiterkeit, Verlassenheit und
Melancholie. Es gibt seine lustigen Mas-
ken „Me as you“, die sich jeder aufsetzen
kann. Betrachtet man die Besucher, die
sie tragen, verwandeln sich reale Men-
schen in farbige Karikaturen.
Es gibt eine Auswahl an Zeichnungen
wilder alemannischer Fastnachtskerle,
die einen seltsamen Titel trägt: „Araber,
Chinesen, Griechen, Pariser und Mallor-
quiner, die auch schon mal besser aussa-
hen (früher)“. Es gibt Origami-Leuchten,
die ihr Licht nach dem Tagesrhythmus
von Singapur verändern, und drei rie-
sige Termitenhügel in Rot, Blau und
Gelb. Rehberger wanderte tatsächlich
auf den Spuren der Zellulosefresser und
nahm Abgüsse von ihren Hügeln. Immer-
hin produzieren die Insekten durch ihr
körpereigenes Verdauungssystem auch
eine Art Pappmaché. „Papier ist nicht
nur geduldig, sondern auch großzügig“,
sagt der Künstler.

Der blanke Horror auf Papier
Haufenweise türmte er Computeraus-
drucke in einen Raum, auf den weißen
DIN-A4-Blättern steht der immer gleiche
Satz: „All work and no play makes Jack a
dull boy.“ Rehberger zitiert damit Stanley
Kubricks Film (und Stephen Kings Buch)
„Shining“ (1980). In einem abgelegenen
Hotel wird Hausverwalter Jack Torrance
alias Jack Nicholson langsam wahnsin-
nig. Über den ersten Satz seines geplan-
ten Buches kommt er nicht hinaus – ein
fast weißes Blatt Papier kann der blanke
Horror sein.
Rehberger ist ein manischer Zeich-
ner und Bastler, er ist Hobbykoch und
Genussmensch. In seinem Studio in
Frankfurt am Main serviert eine Köchin
den Lunch für sein Team. Er selbst
bringt auch für 200 Gäste „ein anstän-
diges Essen“ auf den Tisch. Von den
Genüssen und Gelagen im Atelier ahnt,
wer die neuen Aquarelle verschiede-
ner Essensgerichte sieht. In jedem ist
eine Zigarettenkippe ausgedrückt,
der Titel verweist auf die jeweilige
Zigarettenmarke, von „Lucky Strike“
bis „Harmony“. Ein paar Räume weiter
schaut man einem minderjährigen jun-
gen Mann beim Drehen von Joints zu.
Das (medizinische) Cannabis fischt er
aus einem großen Glas. „So endet letzt-
lich das Papier“, sagt Rehberger, „als
Zigarettenpapier.“ n

Das FOCUS-Cover
mit den VIP-Clowns
entwarf Rehberger
2018 zum 25-jähri-
gen Jubiläum des
Magazins
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