Focus - 28.09.2019

(Jacob Rumans) #1
KOLUMNE

Illustrationen: KAFI, Matthias Seifarth/FOCUS-Magazin

FOCUS 40/2019


Buch & Welt


FOCUS-Autor Uwe Wittstock
über den Segen des Freizeitstresses
und die Frage, wie viel Poesie
in Papierflugzeugen steckt

Der Mensch ist nur da ganz


Mensch, wo er spielt


Für Ehepaare ist der Spätsommer
eine gefährliche Zeit. Ein Schei-
dungsanwalt hat mir mal erzählt,
wie viele Leute nach dem Som-
merurlaub zu ihm kommen mit
dem dringenden Wunsch, ihrem
Ehepartner den Hals umzudrehen.
Die Geschichte sei immer die
gleiche: Das Jahr über hetzen die
Leute von Termin zu Termin und
haben keine Zeit nachzudenken.
Im Urlaub dann: keine Termine,
also viel Zeit zum Nachdenken.
Die Folge: plötzliche Gefühle
von Leere, Streit, überstürzte
Abreise, Scheidung.
Besser wäre es, meinte der
Anwalt, sich auch im Urlaub bis
zum Burnout vollzuknallen mit
Freizeitterminen: Yoga, Surfen,
Kiten, bis der Kopf brummt. Alter-
nativ empfehle ich einen Blick in
das Büchlein des Franzosen Denis
Grozdanovitch: „Von der Kunst, die
Zeit totzuschlagen“ (Liebeskind,
8 Euro). Es ist eine Gebrauchs-
anweisung für den Müßiggang,
und so was ist dringend nötig,
denn der Müßiggang gehört zu
den schwierigen Lebensformen.
Müßiggang bedeutet nämlich
nicht, erklärt Grozdanovitch, den
Terminstress zu vermeiden, indem
man gar nichts tut. Sondern mit

Fleiß lebenslang genau das zu tun,
was Freude macht, auch wenn es
nutzlos ist und kein Geld bringt.
Grozdanovitch hat dieses Talent
zum Müßiggang. Er spielt gern.
Und gut. Er gewann 1963 die fran-
zösische Juniorenmeisterschaft
im Tennis. Doch als er Profi wer-
den sollte, sattelte er lieber um
auf Squash. Hier gewann er mehr-
fach die französischen Meister-
schaften, perfektionierte dann
aber seine Qualitäten als Schach-
spieler, bevor er schließlich
Schriftsteller wurde und verführe-
risch schöne Essays schrieb über
die Gelassenheit oder über Träu-
mer und Dandys.
Doch seine größte Gabe
scheint es zu sein, die wahren
Meister des Müßiggangs zu fin-
den. Von manchen berichtet er in
seinem Buch. In Pau zum Beispiel,
der Stadt am Rand der Pyrenäen,
traf er Samuel, der im obersten
Stockwerk eines Hochhauses über
einem Tal wohnt. Samuel ver-
bringt seine Tage damit, kunst-
volle Papierflugzeuge zu falten, sie
bei einem Glas Sekt zu taufen, um
sie dann vom Balkon aus zu star-
ten und ihren eleganten Flug ins
Tal zu beobachten. Komplett
sinnlos, aber unglaublich schön.

Wider die
Effektivität
Denis Grozdanovitch
berichtet „Von der
Kunst, die Zeit
totzuschlagen“

Dieser Text


zeigt evtl. Pro-


bleme beim


Text an


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