Focus - 05.10.2019

(Ron) #1

WISSEN NATURSCHUTZ


Fotos: Jürgen Ritter/ullstein bild

82 FOCUS 41/2019


Der BUND möchte das genaue Gegen-
teil: „Wenn es unsere Fläche wäre, wür-
den wir uns um möglichst hohe Wasser-
stände bemühen.“ Mehr als 70 Jahre sei
der Wald an einigen Stellen nicht genutzt
worden. Liebend gern würde Leupold
ihn weiter vor menschlichen Eingriffen
bewahren. Er hofft auf Gespräche mit
dem neuen Eigentümer und auf eine Eini-
gung im Sinne des Naturschutzes.
350 Kilometer weiter südlich, im einst
geteilten Dorf Mödlareuth, treffen wir
einen Mann, der unter der Grausamkeit
der Grenze besonders gelitten und sich
nun ihrem Erhalt als einzigartigem grü-
nen Monument verschrieben hat. Mario
Goldstein hat davon geträumt, den Eiser-
nen Vorhang zu überwinden, und hat
es zweimal erfolglos
versucht. Jahrzehnte
später ist er die Linie
der deutsch-deutschen
Teilung noch einmal
in ihrer ganzen Länge
abgeschritten, auch
um seiner Vergangen-
heit zu begegnen.
„Das Grenzenlose
war in mir früh ange-
legt“, sagt der 50-Jäh-
rige. Vielleicht weil er
als Scheidungskind
ohne Vater aufwuchs
und ihm die Mutter
wenig Grenzen setzte. Doch er merkte,
dass er „komplett eingezäunt“ war. Er
wollte die Welt sehen und beschloss als
14-Jähriger, die DDR zu verlassen. Fuhr
mit dem Taxi ins Sperrgebiet bei Ebmath,
etwa zwölf Kilometer von seinem damali-
gen Wohnort entfernt, schlug sich durch
einen Wald und lag um Mitternacht im
Regen fünf Meter vom ersten Grenzzaun
hinter dem Kolonnenweg entfernt. Als er
die Drähte löste, ging eine Signalrakete
hoch, und Goldstein sah, hell erleuchtet,
zum ersten Mal die Sicherungsanlagen.
Sie erschienen ihm unüberwindlich.
„Eigentlich kann man da nur rüber-
fliegen“, sagte er sich, nachdem er unbe-
merkt zurückgelangte. Besorgte sich –
im Nachhinein sicherlich nicht die beste
Idee – in der Bibliothek ein Buch über
Agrarflugzeuge. Zwei Männer in Zivil
holten ihn bald danach um acht Uhr
morgens aus der Schule, verhörten ihn
zwölf Stunden lang und steckten ihn in
Untersuchungshaft. Weil sein Anwalt
von Gefängnis sprach, versuchte er sich
umzubringen. Wurde mehrere Tage im


Keller ans Bett gefesselt. Schrie, wein-
te, gab schließlich auf. „Sie hatten mich
gebrochen.“

Am dritten Zaun endet die Flucht
Als er überraschend nach zweieinhalb
Monaten entlassen wurde, wollte ihn
das Gefühl der Enge nicht mehr verlas-
sen. Mit 18, mitten in seiner Maurerleh-
re, stellt er einen Ausreiseantrag. In der
Abteilung für Inneres sagte man ihm:
„Herr Goldstein, Sie kommen hier nie
raus!“ – „Das werden wir ja sehen“, ant-
wortete er und startete einen zweiten
Fluchtversuch. Mit einem Freund fuhr
er mit dem Motorrad in den tschechischen
Ort Breclav und lief nachts an die Grenze.
Ganz in Schwarz, ausgerüstet mit Bolzen-

schneider und etwas Westgeld. Als sie
die Drähte des ersten Zaunes kappten,
leuchteten Scheinwerfer auf. Verfolger
kamen, Hunde bellten, Taschenlampen
irrlichterten. Nach 50 Metern standen
sie vor zwei weiteren Zäunen: Den ers-
ten konnten sie noch überwinden, aber
dem zweiten vorgelagert war eine rie-
sige Stacheldrahtrolle. „Das war unser
Pech“, sagt Goldstein. Mit vorgehaltener
Kalaschnikow wurde er gestellt und zu
zwei Jahren Haft verurteilt. Die Bundes-
republik kaufte ihn für 16 000 Mark frei.

In seiner neuen Heimat wurde er Kraft-
fahrer, machte sich selbstständig, grün-
dete eine Agentur. Baute ein Haus. Und
verkaufte es wieder – weil es ihn in die
Welt zog. Er lebte sieben Jahre auf einem
Katamaran, sammelte Friedensbotschaf-
ten, die er dem Dalai Lama überreichte,
erzählte auf Multivisions-Shows von sei-
nen Reisen und schrieb Bücher über die
Sehnsucht nach der Wildnis. 2015 sprach
ihn der BUND an. Ob er als Botschafter
des Grünen Bandes die gesamte Strecke
abwandern möchte?
30 Jahre hatte er sich ferngehalten
von der ehemaligen Grenze, aber dann
sagte er sofort zu. Er wollte sich seinem
Schmerz stellen, um ihn zu überwinden.
Vergangenheit und Zukunft zugleich
erleben. 100 Tage lang
lief er am ehemaligen
Todesstreifen entlang,
quer durch Thüringen
bis hoch zur Ostsee,
und schrieb ein Buch
darüber („Abenteu-
er Grünes Band“,
Knesebeck). Er hatte
einen Wanderstock
dabei, einen 20 Kilo
schweren Rucksack,
einen Hut, auf dessen
Krempe ein stilisiertes
Grünes Band zu sehen
ist, und seinen weißen
Schäferhund Sunny. Jeden Tag 20 Kilome-
ter. Knie und Füße schmerzten. Hautstel-
len entzündeten sich, weil er dem Eichen-
prozessionsspinner zu nahe kam. „Es war
für mich wie eine Pilgerwanderung.“
Goldstein nahm Verbindung auf zur
Natur, fotografierte Farne und Moose,
Orchideen und Golddisteln. Er tauchte
ein in die Welt von Luchs und Seeadler,
Eisvogel und Fischotter. Wo einst Sperr-
anlagen drohten, umfingen ihn Wiesen
und Wälder. Er begegnete Schäfern und
Fischern, Vogelkundlern und Umwelt-
aktivisten, aber auch ehemaligen Grenz-
soldaten und dem Zeugen eines Todes-
schusses. Seine Wanderung wurde für
ihn zu einer Versöhnungstour. Sie sei die
emotionalste all seiner Reisen gewesen,
sagt er. Mario Goldstein fand Frieden.
Als ein Stück private Vergangenheits-
bewältigung hat er sich überlegt, seine
Auffahrt zu seinem Haus in Plauen mit
Lochbetonplatten des Kolonnenwegs zu
pflastern. Aber dann erschienen sie ihm
doch zu wuchtig. Schließlich kommen ja
keine Panzer zu Besuch.n

Der Riss vernarbt Die Grenze bei Marienhof in Hessen 1985 und 2010

Mauer als Mahnmal Reporter Andreas Wende-
roth interviewt Mario Goldstein in Mödlareuth

Die Wanderung entlang des Todesstreifens ist eine Versöhnungstour


Dieser Text


zeigt evtl. Pro-


bleme beim


Text an


MEDIKAMENTE FEHLEN.


2 216 verschreibungspflichtige Arzneimittel waren im Zeitraum


Juni bis August 2019 in Deutschland durchgehend nicht lieferbar*.


Wesentlicher Grund: Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen.


APOTHEKEN SCHLIESSEN.


Tag für Tag kämpfen 19 268 Vor-Ort-Apotheken darum, die Versorgung


der Patienten in Deutschland trotz dieser Lieferengpässe sicherzustellen.


Noch. Denn inzwischen muss alle 31 Stunden eine Vor-Ort-Apotheke aufgeben


und für immer schließen**.


Wesentlicher Grund: Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen.


* Untersuchung der NOWEDA Apothekergenossenschaft. ** Stand 30.6.2019 / Quelle für
Apothekenzahl: DAV Wirtschaftsbericht 2019; Vergleichszeitraum 31.12.2015 bis 30.6.2019 –
gerundeter Durchschnittswert unter Berücksichtigung von Apotheken-Neueröffnungen.
*** Pressestelle des Bundesministeriums für Gesundheit vom 4.9.2019

Rund 31 Milliarden Euro betragen die Rücklagen der Gesetzlichen Krankenkassen


und des Gesundheitsfonds, der Geldsammelstelle der gesetzlichen


Krankenkassen. Geld, das sinnvoll für Patienten eingesetzt werden könnte.***


ZEIT ZU HANDELN.


http://www.apotheken-helfen.de


Eine Information der NOWEDA Apothekergenossenschaft eG.

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