FORSCHUNG
Fotos: Barande Jérémy/EP, dana press
FOCUS 41/2019 85
re, etwa Americium oder Plutonium, zer-
fallen hingegen nur sehr langsam. Dabei
entsteht noch Tausende oder Millionen
Jahre lang gefährliche Strahlung. Da diese
Strahlung die DNA in Körperzellen stark
beschädigt und Krebs verursacht, muss
der atomare Abfall für immer sicher ver-
wahrt werden.
Bislang gibt es weltweit jedoch kein
einziges Endlager für Atommüll. Deut-
sche Atomkraftwerksbetreiber deponieren
ihren Abfall momentan in strahlungssiche-
ren Castorbehältern auf dem Kraftwerks-
gelände. Bis zum Jahr 2022, wenn das
letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz
gehen soll, wird der strahlende Müllberg
auf rund 17 000 Tonnen angewachsen sein,
weltweit sogar auf mehr als das Zehn-
fache. Rund ein Prozent des Atommülls
besteht aus langlebigen Stoffen wie Plu-
tonium und Americium.
Mourou will den Müllberg auf einfa-
che Weise abtragen. Dazu sollen Ultra-
kurzzeitlaser über technische Umwege
Neutronen produzieren und auf enorme
Geschwindigkeit beschleunigen. Diese
werden in einem speziellen Typ eines
Atomreaktors auf die langlebigen radio-
aktiven Transurane gelenkt. Daraufhin
zerfallen diese in radioaktive Elemente
mit einer deutlich kürzeren Lebensdauer.
Transmutation nennen Atomphysiker die-
sen Umwandlungsprozess.
Mourou hofft, dadurch die Zerfallszeit
des Mülls im besten Fall auf wenige Minu-
ten zu senken. Aber selbst wenn es ein
paar Jahre wären, wäre es ein großer Fort-
schritt gegenüber bisher. „Im Labor hat
die Methode funktioniert, als Nächstes
müssen wir einen Feldversuch wagen. Ich
hoffe, dass wir in den nächsten 20 Jahren
so weit sein werden.“
Thomas Walter Tromm, Experte für
Kernenergie und Sicherheit am Karlsru-
her Institut für Technologie, bezweifelt
allerdings, dass Mourous Idee im notwen-
digen großen Maßstab funktioniert: „Mit
dem aufwendigen Prozess lassen sich pro
Tag maximal einige Kilogramm unschäd-
lich machen.“
Teilchenbeschleuniger gegen Müllberg
Abwegig ist das Prinzip der Müllumwand-
lung durch Bestrahlung jedoch nicht. Ent-
wickelt hat es der Italiener Carlo Rubbia,
ebenfalls Physik-Nobelpreisträger und
ehemaliger Generaldirektor der Euro-
päischen Organisation für Kernforschung
CERN in Genf, bereits 1997. Man kön-
ne doch mit dem Teilchenbeschleuniger
werden und eine weitere Transmutation
erfolgen. Dazu braucht es Wiederaufar-
beitungsanlagen wie im französischen La
Hague oder im britischen Sellafield. In
Deutschland sind solche Anlagen seit dem
2011 festgeschriebenen Atomausstieg ver-
boten. Der Bau der einzigen deutschen
Wiederaufbereitungsanlage im bayeri-
schen Wackersdorf wurde 1989 nach mas-
siven Protesten der Bevölkerung gestoppt.
Deutschland will bei dem Reaktorpro-
jekt in Belgien nicht mitmachen. Lieber
sucht man weiter nach einem Standort
für ein atomares Endlager. Ein Drittel des
deutschen Atommülls ist ohnehin bereits
in Glas eingeschlossen und lässt sich
nicht mehr transmutieren. Zudem ließe
sich mit der Umwandlung des Atommülls
zwar der langlebige Anteil verringern,
dafür würde die Menge an kurzlebigem
Strahlenabfall zunehmen.
Frankreich setzt weiterhin auf Atomkraft
Markus Roth, Professor für Laser- und Plas-
ma-Physik am Institut für Kernphysik der
TU Darmstadt, fände es besser, wenn sich
Deutschland an der Forschung in Belgien
beteiligen würde. Trotz des großen Auf-
wands würde sich die Aufarbeitung des
Atommülls lohnen, sagt er. Denn bei der
Transmutation entstehen nicht nur Trans-
urane mit kürzerer Lebenszeit. Außerdem
wird dabei mehr Energie freigesetzt, als
der Prozess verschlingen würde: „Den
Atommüll in Endlagern einzuschließen
ist aus physikalischer Sicht Irrsinn. Damit
verschwenden wir eine wichtige Energie-
quelle, mit der man für die nächsten 100
bis 300 Jahre CO 2 -frei Strom erzeugen
könnte.“^
In seinem Heimatland bekommt Gérard
Mourou volle Rückendeckung. Während
hierzulande der Ausstieg aus der Atom-
energie immer näher rückt, werden in
Frankreich bis heute 58 Atommeiler betrie-
ben, die rund 80 Prozent des französischen
Stroms liefern. Mourou bleibt dabei: Atom-
energie sei die beste Energiequelle, auch
wenn er mit dieser Einstellung wie ein
Ewiggestriger wirkt. Schon als Kind sei
er von Licht fasziniert gewesen, berichtet
er. Heute denkt er fast rund um die Uhr
über seine Laserforschung nach. Viel-
leicht wird es noch ein paar Jahrzehnte
dauern, bis sein Konzept in die Tat umge-
setzt wird. Aber auf seine Anerkennung
als Physiker habe er ja auch ein halbes
Leben warten müssen. n
JANINA ZILLEKENS
nicht nur nach den Bausteinen der Ato-
me fahnden, sondern auch etwas Gutes
bewirken, zum Beispiel den radioaktiven
Müll beseitigen. Die Transmutation war
geboren.
In Belgien entsteht derzeit der For-
schungsreaktor Myrrha, „Multi-purpose
Hybrid Research Reactor for High-tech
Applications“, der Rubbias Plan umset-
zen soll. Anstelle eines Lasers liefert dort
ein Teilchenbeschleuniger die benötigten
Neutronen zur Umwandlung der Trans-
urane. Dieser ist mit einer Länge von 70
bis 100 Metern allerdings deutlich größer
als der Laser in Mourous Vision. Er misst
zehn mal zehn Meter und ist außerdem
effizienter als der Teilchenbeschleuniger.
Ab 2024 soll dessen Betrieb schrittwei-
se starten, 2030 erreicht er dann seine
geplante Höchstleistung. Geschätzte Kos-
ten: rund 1,6 Milliarden Euro.
Ob Laser oder Teilchenbeschleuniger,
ein Problem hat die Transmutation des
Atommülls immer: Nicht alle langlebigen
Transurane zerfallen schon beim ersten
Beschuss mit Neutronen. Nach jedem
Durchgang müssen die einzelnen Müll-
bestandteile wieder voneinander getrennt
Bis das letzte deutsche
Atomkraftwerk vom
Netz geht, wächst der
strahlende Müllberg
auf rund 17 000 Tonnen
Prinzessin Sofia von Schweden war Tisch-
dame bei Mourous Nobelpreisverleihung