Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Klimapaket

Notbremse der CSU


Die Koalition bringt ihr Klimapaket immer noch nicht


durchs Kabinett. Die CSU will weiter prüfen, die SPD ist


verärgert. Auch die Wirtschaft reagiert enttäuscht.


Klaus Stratmann Berlin

S

eit Wochen arbeitet die
Große Koalition an ihrem
Klimaschutzkonzept. Nach
ursprünglicher Planung
sollte das Bundeskabinett
das umfassende Paket am Mittwoch
dieser Woche verabschieden. Doch
die CSU sieht noch Prüfungsbedarf –
sehr zum Verdruss des Koalitions-
partners. „Es wird sich zeigen, ob die
CSU nur die Vorlage lesen möchte,
die sie schon seit Tagen hat, oder ob
sie die Maßnahmen verwässern
möchte“, sagte Johann Saathoff,
energiepolitischer Koordinator der
SPD-Bundestagsfraktion, dem Han-
delsblatt. Er stelle fest, dass die CSU
„nicht mit dem notwendigen Elan“
am Klimapaket arbeite.
Auch die Wirtschaft zeigte sich ent-
täuscht über den Aufschub: „Es ist
das völlig falsche Signal, dass es jetzt
zu Zeitverzögerungen kommt“, sagte
Marie-Luise Wolff, Präsidentin des
Bundesverbands der Energie- und
Wasserwirtschaft (BDEW). Dies wäre
nur gerechtfertigt, wenn die Bundes-
regierung die gewonnene Zeit nutzen
würde, um noch einmal über die Hö-
he des CO 2 -Preises zu reden. „Statt-
dessen droht das in Summe ohnehin
schon enttäuschende Klimapaket
jetzt zwischen den Regierungspartei-
en zerrieben zu werden“, sagte Wolff.
Den Plänen der Regierung zufolge
soll die CO 2 -Bepreisung in den Sekto-
ren Verkehr und Wärme ab 2021 mit
einem Festpreis von zehn Euro je
Tonne CO 2 beginnen. Der Wert wird
von vielen Fachleuten für deutlich zu
niedrig erachtet. „Wir brauchen end-
lich Entscheidungen und klare Lini-
en. Es ist nicht nachvollziehbar, dass
die Verabschiedung des Klimapakets
im Bundeskabinett weiter verscho-

ben wird“, sagte Simone Peter, Präsi-
dentin des Bundesverbands Erneuer-
bare Energie (BEE).
Das Bundeskabinett brachte in sei-
ner Sitzung am Mittwoch nur den Er-
gänzungshaushalt zur Finanzierung
des Pakets auf den Weg. Er hat bis
20 23 ein Volumen von rund 54 Milli-
arden Euro. Über das eigentliche Kli-
maprogramm mit allen Details von
der Förderung für Elektroautos bis
hin zur Einführung eines CO 2 -Preises
im Gebäude- und Verkehrsbereich er-
zielte die Regierung aber bis zur Ka-
binettssitzung keine Einigung. Die Mi-
nisterrunde legte sich nach Teilneh-
merangaben aber einstimmig darauf
fest, das knapp 180 Seiten umfassen-
de Programm in der nächsten Kabi-
nettssitzung zu verabschieden.

Die Zeit drängt
Die Bundesregierung steht unter Zeit-
druck: Sollte das Programm in den
nächsten Tagen nicht vom Kabinett
gebilligt werden, könnte das Vorha-
ben wohl in diesem Jahr nicht mehr
vom Parlament beschlossen werden.
Das ist aber Ziel der Regierung. Die
Ministerien hatten intensiv über das
Papier verhandelt. Letzte Änderungs-
wünsche gingen nach Angaben aus
der Regierung am Dienstagabend um
22 Uhr ein. Erst am frühen Mittwoch-
morgen sei die überarbeitete Vorlage
für das Kabinett verschickt worden.
CSU-Landesgruppenchef Alexan-
der Dobrindt widersprach der Dar-
stellung Saathoffs, das Papier liege
schon „seit Tagen“ vor. „Das Klima-
papier des Umweltministeriums wur-
de in seiner letzten Version heute um
6 .30 Uhr den Ressorts zugeleitet“,
sagte Dobrindt. Deshalb wolle man
das umfangreiche Werk bis zur

nächsten Kabinettsbefassung prüfen.
Er habe kein „ganz gutes Gefühl“ ge-
habt, dass man die Vorlage in drei
Stunden hätte prüfen können. Er sei
aber „sicher“, dass das Kabinett kom-
mende Woche zustimmen werde.
Nach Überzeugung von Unions-
fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU)
hätte es des umfassenden Papiers gar
nicht bedurft. „Es hätte ausgereicht,
wenn man sich auf die am 20. Sep-
tember beschlossenen Eckpunkte be-
schränkt hätte und die nun systema-
tisch abarbeiten würde“, sagte Nüß-
lein dem Handelsblatt. Am Ende
werde ohnehin der Bundestag die
entscheidenden Beschlüsse fassen.
Auf die Parlamentarier wartet ein
Kraftakt. Die auf Energierecht spezia-
lisierte Anwaltskanzlei Becker Bütt-
ner Held (BBH) kommt in einer Ana-
lyse für die Deutsche Energie-Agen-
tur (Dena) zu dem Ergebnis, dass 66
Maßnahmen zur Umsetzung der Kli-
ma-Eckpunkte erforderlich sein wer-
den. Jede einzelne kann unter Um-
ständen mehrere Gesetzesänderun-
gen nötig machen, darunter auch im
Bundesrat zustimmungspflichtige.
Ein Beispiel: Für die Weiterent-
wicklung der energetischen Gebäu-
destandards müssen das Energieein-
sparungsgesetz, die Energieeinspar-
verordnung und das Erneuerbare-
Energien-Wärmegesetz geändert wer-
den. Eventuell muss die EU-Kommis-
sion beteiligt werden. Die „legislati-
ven Verfahren reichen hinauf bis zu
verfassungsrechtlichen Abwägungen
und sind dementsprechend teilweise
hochkomplex“, heißt es in der Analy-
se. Umso wichtiger sei es, „die Aufga-
ben unverzüglich anzugehen“.

> Gastkommentar Seite 72

imago/Andreas Vitting

54

MILLIARDEN
Euro will die schwarz-
rote Bundesregierung
bis 2023 für ihr
Klimapaket ausgeben.

Quelle: BMF

Braunkohlekraftwerk:
Kampf gegen den
Klimakiller CO 2.

Elektromobilität


Batterien


sorgen für


Run auf Kobalt


Klaus Stratmann Berlin


B


is 2030 sollen zehn Millionen
Elektroautos über Deutsch-
lands Straßen rollen, lautet
das ehrgeizige Ziel der Bundesregie-
rung. Auch andere Länder wollen mit
der Hilfe von E-Autos ihre CO 2 -Bilanz
verbessern und stecken sich ähnliche
Zielmarken. Viele Hersteller, allen vo-
ran VW, haben eine Modelloffensive
für E-Autos angekündigt. Die Nach-
frage nach Rohstoffen, die man für
den Bau der erforderlichen Batterien
benötigt, wird daher kräftig steigen.
Eine dem Handelsblatt vorliegende
Studie, die das Institut der deutschen
Wirtschaft (IW) für die Vereinigung
der Bayerischen Wirtschaft (VBW)
angefertigt hat, kommt zu dem Er-
gebnis, dass sich die Nachfrage nach
Lithium-Ionen-Batterien für die Elek-
tromobilität bis 2026 gegenüber 2016
je nach Szenario auf die 14– bis 24-fa-
che Kapazität erhöhen wird. Hinter
dieser Prognose stehen elf bezie-
hungsweise 18 Millionen Neuzulas-
sungen batteriebetriebener Fahrzeu-
ge weltweit im Jahr 2026.
Das IW bezieht sich dabei auf Un-
tersuchungen der Deutschen Roh-
stoffagentur (DERA), der Beratungs-
plattform zu mineralischen und
Energierohstoffen für die deutsche
Wirtschaft. Die DERA gehört zur Bun-
desanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe (BGR), die wiederum
zum Geschäftsbereich des Bundes-
wirtschaftsministeriums zählt.
Mit der Nachfrage nach Lithium-Io-
nen-Batterien steigt die Nachfrage
nach Kobalt. Kobalt ist unverzichtba-
rer, zentraler Bestandteil von Lithi-
um-Ionen-Batterien. Das IW ordnet
Kobalt in seiner Studie der „Roten
Gruppe“ zu. Darin listet das Institut
solche Rohstoffe auf, deren Beschaf-
fung aufgrund der statistischen Reich-
weite, der starken Konzentration der
Vorkommen in wenigen Ländern, der
Gefahr des strategischen Einsatzes
und der fehlenden Substituierbarkeit
schwierig werden könnte.
Innerhalb der „Roten Gruppe“ be-
legt Kobalt den ersten Platz. Es ist da-
mit der Rohstoff mit dem höchsten Ri-
sikowert. „Die hohe Konzentration
von Förderung und Vorkommen in Ri-
sikoländern wie der Demokratischen
Republik Kongo, Russland und Kuba
spielt für die hohe Risikobewertung ei-
ne wichtige Rolle“, lautet es in der Stu-
die. Für die deutsche Wirtschaft sei
„Kobalt ein entscheidender Rohstoff
für die Realisierung der Ziele im Be-
reich der Elektromobilität“, heißt es
weiter. Die Plätze zwei und drei in der
„Roten Gruppe“ belegen in der IW-
Studie Tantal und Gallium. Es folgen
Wolfram, Niob und Rhodium. Niob
wird ähnlich wie Tantal und Wolfram
in der Stahlindustrie zur Veredlung
und Optimierung des Stahls einge-
setzt. Rhodium findet in Katalysatoren
und Brennstoffzellen Verwendung.
Der VBW warnt vor den Konse-
quenzen einer gestörten Rohstoffver-
sorgung. „Damit uns beispielsweise
die Energiewende und die digitale
Transformation gelingen, benötigen
wir ganz bestimmte Rohstoffe, und
zwar in ausreichender Menge. Eng-
pässe hingegen können ganze Wert-
schöpfungsketten lahmlegen und ge-
fährden“, sagte VBW-Hauptgeschäfts-
führer Bertram Brossardt.


Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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