Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1

Grüne


Wirtschaftspartei in spe


In seinem Leitantrag für den


Grünen-Parteitag stellt der


Bundesvorstand seine Pläne


für den ökologischen Umbau


der Marktwirtschaft vor.


Silke Kersting Berlin


A


ngesichts des anhaltenden
Höhenflugs in den Umfragen
wächst der Druck auf die
Grünen, sich auch abseits umweltpo-
litischer Debatten zu positionieren.
Will die Partei bei der nächsten Bun-
destagswahl gegen die Union um
Platz eins kämpfen, dann muss sie
raus aus der Nische. Auch deshalb
wagen die Grünen-Chefs Annalena
Baerbock und Robert Habeck jetzt ei-
nen wirtschaftspolitischen Rundum-
schlag. In einem noch unveröffent-
lichten Antrag des Bundesvorstands
für den Parteitag im November legen
sie dar, wie sie sich grüne Wirt-
schaftspolitik vorstellen. Darin be-
kennen sie sich klar zum Markt —
doch mit staatlichen Leitplanken.
„Wenn die Rahmenbedingungen
stimmen, bietet die Marktwirtschaft
beste Voraussetzungen für sozial-öko-
logisches Wirtschaften“, heißt es in
dem 30-seitigen Papier, das dem
Handelsblatt vorliegt. „Doch dafür
braucht es den gesamten Instrumen-
tenkasten aus Steuer-, Abgaben- und
Ordnungsrecht und intelligenter öf-
fentlicher Forschungs- und Förderpo-
litik.“ Märkte seien „ein mächtiges In-
strument, sie schaffen und zerstören
in rasendem Tempo“.
Die Märkte der Zukunft müssten so
ausgerichtet werden, „dass sie den
Menschen und der Natur dienen“,
schreiben Baerbock und Habeck. Ziel
sei die sozial-ökologische Neubegrün-
dung der Marktwirtschaft. Jede Gene-
ration habe ihre Aufgabe, so die Par-
teichefs. „Einen nachhaltigen und ge-
rechten Wohlstand zu schaffen ist
unsere.“ Das angestammte Wirt-
schaftsmodell, das in der Vergangen-
heit viel Wohlstand gebracht habe,
funktioniere nicht mehr.


Hilfen für Unternehmen


Die Weiterentwicklung der ehemali-
gen Öko-, Friedens- und Anti-Atom-
kraft-Partei ist beachtlich – auch, was
die Hinwendung zur Wirtschaft an-
geht. „Wir lassen die Unternehmen
nicht allein“, lautet die Botschaft –
und damit ist nicht nur der Mittel-
stand gemeint. So setzen sich die
Grünen für bessere Abschreibungs-
und Fördermöglichkeiten ein, um
energieintensiven Konzernen den
Weg in eine Welt ohne fossile Ener-
gien zu ebnen. Zugleich wollen sie
den ökologischen Umbau über Quo-
ten etwa für klimaneutralen Stahl in
Autos oder auch Windrädern und Ge-
bäuden planungssicher gestalten.
Das von der Regierung geplante
Klimaschutzgesetz hält die Oppositi-
onspartei für das „ordnungspoliti-
sche Herzstück“, sieht es aber als un-
zureichend an. Die Grünen fordern,
ab 2030 nur noch emissionsfreie Au-
tos neu zuzulassen und den Weg
dorthin durch verbindliche Quoten
für Elektroautos zu bereiten.
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu
gewährleisten, schließen Baerbock
und Habeck europäische Klimazölle
oder einen sogenannten Grundstoff-
ausgleich, der das Recycling und we-
niger energieintensive Werkstoffe be-


lohnt, nicht aus. „Auch die Finanzie-
rung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Tech-
nologien anstatt der bisherigen kos-
tenlosen Zertifikate im Emissionshan-
del könnte in Zukunft ein Weg sein.“
Die Grünen halten zusätzliche öf-
fentliche Investitionen von 30 Milliar-
den Euro pro Jahr für notwendig, et-
wa für die Bahn oder den öffentli-
chen Nahverkehr. Finanzielle
Spielräume sehen sie im konsequen-
ten Abbau umwelt- und klimaschädli-
cher Subventionen, einer gerechte-
ren Besteuerung von Vermögen und
der Bekämpfung von Steuerbetrug.
Eine „funktionierende Kreislauf-
wirtschaft“ soll Ressourcen einspa-
ren. Produkte seien so zu designen,
dass die jeweiligen Einzelteile auch

wieder voneinander getrennt und
sinnvoll wiederverwertet werden
können. Hersteller sollen zu einer
festen Einsatzquote für recycelte
Rohstoffe verpflichtet werden.
Da viele kleine und mittlere Unter-
nehmen den ökologischen Wandel
vorantreiben, sollen diese mit einem
Forschungsbonus unterstützt wer-
den. „Einfachere Abschreibungsre-
geln, Vereinfachungen bei der Um-
satzsteuer und gute Bedingungen für
Mitarbeiterbeteiligung“ sind drei Bei-
spiele, die in dem Antrag genannt
sind. Speziell für Gründerinnen soll
ein staatlich geförderter Wagniskapi-
talfonds geschaffen werden. Mittel-
fristig wird ein großer europäischer
Wagniskapitalfonds angestrebt, um
die EU zum größten Venture-Capital-

Markt der Welt zu machen. Ausländi-
sche Direktinvestitionen in Schlüssel-
technologien und kritische Infra-
struktur sollten besser überwacht
werden, fordern die Grünen. Mit
Blick auf die anstehende Entschei-
dung zu 5G sei ein Ausschluss von
Huawei unabdingbar. „Zwar mag der
Ausbau der deutschen 5G-Netze
durch Huawei kostengünstiger und
schneller sein als durch europäische
Anbieter“, heißt es. Die politische
Einflussnahme und die bereits er-
kennbare Spaltung Europas durch
China dürften aber nicht weiter zu-
nehmen. „Es geht auch darum, die
sicherheitsrelevante Infrastruktur
nicht dem Zugriff eines Konzerns in
einem autoritären Staat zu überlas-
sen.“

Einen


nachhaltigen


und gerechten


Wohlstand


zu schaffen


ist unsere


Aufgabe.


Aus dem Leitantrag
der Grünen-Spitze


 

 





   





 

  


  
 




 





 




Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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