Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
„Das ist kein Ergebnis, das wir
uns wünschen. Aber das ist ein
Ergebnis, auf das wir vorbereitet
sind.“
Boris Johnson, britischer Premierminister,
über einen ungeregelten Brexit

„Ich bin sicher, dass
Greta ein gutmütiges
und sehr ehrliches
Mädchen ist.“
Wladimir Putin, russischer Präsident

Stimmen weltweit


Zu den im Airbus-Streit angekündigten
US-Strafzöllen gegen Europa, die auch
italienische Produkte treffen, schreibt die
römische Zeitung „La Repubblica“:

W


as haben wir eigentlich damit zu tun?
Der schwere Schaden, der Italien
durch die amerikanischen Zölle auf
viele landwirtschaftliche Qualitätsprodukte
droht, ist die Folge eines Streits im Flugzeugge-
schäft, an dem wir nur marginal oder gar nicht
beteiligt sind. Er steht im Zusammenhang mit ei-
ner Breitseite, die „America first“ gegen Europa
abfeuert, im Klima eines zweiten kalten Krieges,
des neuen weltweiten geopolitischen Szenari-
ums. Donald Trump hat das Verfahren gegen die
Staatshilfen des französisch-deutschen Konsorti-
ums Airbus, das unter seinen Vorgängern Bush
und Obama begonnen hatte, geerbt. Ironie der
Geschichte, dass ausgerechnet die Welthandels-
organisation Washington recht gibt, aus der
Trump gedroht hatte auszutreten. (...) In der Lis-
te der mit Zöllen belegten Produkte sind Cham-
pagner, Cognac und französische Mode. Auch
Made in Italy ist dabei, nach einer gnadenlosen
Logik: Da die Europäische Union in der Handels-
politik eine Einheit ist, versuchen die Vereinigten
Staaten, den politischen Schaden zu maximie-
ren, um den Druck zu erhöhen.

Auch die spanische Zeitung „El Mundo“
befasst sich mit den neuen Brexit-Plänen
von Premierminister Boris Johnson:

D


er Fünf-Punkte-Plan von Johnson wird
von Westminster kaum akzeptiert wer-
den. Die Respektierung des Karfreitagab-
kommens – das die Errichtung einer inneriri-
schen Grenze verhindert – scheint nämlich un-
vereinbar mit dem Vorhaben, dass Nordirland
vier Jahre lang mit einem Fuß in der EU bleibt. In
einem hat Johnson aber recht: Knapp dreiein-
halb Jahre nach dem von David Cameron initiier-
ten Referendum „beginnen die Menschen zu
denken, dass wir sie für dumm verkaufen“. Ange-
sichts der Drohung einer neuen Wirtschaftskrise
und des Misstrauens der internationalen Anleger
führt die Tatsache, dass es beim Brexit keine Ei-
nigung gibt, zu einer großen Zermürbung bei
AP, dpa, AFPden Staaten und den Bürgern der EU.

Die Londoner „Financial Times“ kommentiert
die Vorschläge von Premierminister Boris
Johnson für Änderungen am
EU-Austrittsabkommen:

B


oris Johnson hat stets ein riskantes Leben
geführt. Seine Vorschläge zur Rettung des
Austrittsabkommens Großbritanniens mit
der EU sind sein bislang größtes Glücksspiel –
und zwar eines, bei dem entschieden werden
könnte, wie lange seine Karriere als Premiermi-
nister noch andauern wird. (...) Für den Fall,
dass seine Pläne zurückgewiesen werden, be-
steht der Premierminister darauf, dass er die ge-
setzlichen Hürden auf seinem Weg umgehen und
Großbritannien zu einem No-Deal-Brexit am 31.
Oktober führen wird. Viel besser wäre es – für
die EU, für Großbritannien und für Johnsons
Konservative Partei –, wenn er die kleine Chance
eines Kompromisses ergreifen würde, die der
Plan bietet, und seine Anstrengungen verstärkt,
eine Verhandlungslösung zu finden.

D


ie nächste Runde amerikanischer Strafzölle
gegen die Europäische Union unterscheidet
sich von vorangegangenen in einem wesentli-
chen Punkt. Die Zölle auf deutsche Werkzeuge, spani-
sches Olivenöl oder französischen Wein, die ab Mitte
Oktober gelten sollen, waren seit einer Weile erwartet
worden.
Und vor allem: Die Strafzölle stützen sich auf ein Ur-
teil der Welthandelsorganisation (WTO) im Streit über
Airbus-Subventionen – jener Institution also, die die Eu-
ropäer zwar als reformbedürftig betrachten, aber als
unverzichtbare multilaterale Organisation verteidigen.
Es ist sogar gut möglich, dass es diese neuen Strafzölle
auch unter einer anderen US-Regierung gegeben hätte,
eine ohne Präsident Donald Trump.
Schließlich schwelt der Konflikt um die Luftfahrt-Gi-
ganten Boeing und Airbus schon seit 15 Jahren. Es war
nur eine Frage der Zeit, bis Washington schmerzhafte
Konsequenzen zieht.
Doch rechtfertigt das diese Zölle, sollte man unbe-
sorgt sein? Nein. Das liegt nicht nur an den Zöllen


selbst, die ganze Branchen auf beiden Seiten des Atlan-
tiks treffen und die in eine Zeit fallen, in der russische
und chinesische Wettbewerber ungehindert weiter sub-
ventionieren dürfen.
Die neue Verschärfung im Handelskrieg kann nie-
manden kaltlassen. Trump hat schon vor der WTO-Ent-
scheidung toxische Bedingungen in der globalen Han-
delspolitik geschaffen, auch deshalb wird die Wucht
der neuen Zölle voll zu spüren sein. Sein Protektionis-
mus ist die rote Linie seiner Präsidentschaft, er scheint
keine Grenzen oder Deeskalation zu kennen. Unter ei-
nem anderen Präsidenten hätte es vielleicht die Chan-
ce gegeben, dass sich Brüssel und Washington im Streit
über Subventionen gütlich einigen. Doch unter diesem
Präsidenten ist das Vertrauen dahin, dass er tatsächlich
an einer konstruktiven Lösung und einer Verbesserung
des Verhältnisses interessiert ist. Die neuen Strafzölle
sind in diesem Umfeld frisch verabreichtes Gift, das
Lieferketten blockieren und die Chancen für ein trans-
atlantisches Industriezollabkommen weiter schmälern
wird. Trumps Händedruck mit dem scheidenden Kom-
missionspräsidenten Jean-Claude Juncker ist zwar erst
gut ein Jahr her, wirkt aber wie aus einem anderen Uni-
versum. Neue Zölle als Reaktion auf eine französische
Digitalsteuer drohen, vielleicht auch Autozölle noch in
diesem Jahr – vor allem, wenn sich im Handelsstreit
mit China weiter nichts bewegen sollte. Strafzölle mö-
gen zuweilen ein legitimes Instrument sein, um Diszip-
lin zu fördern. In Zeiten Trumps sind sie aber vor allem
ein gefährliches Droh- und Druckmittel und ein
schlechter Ersatz für Gespräche auf Augenhöhe.

Handelspolitik


Toxische Bedingungen


Die Strafzölle im Airbus-Streit
hätte auch eine andere
US-Regierung verhängen können.
Doch Trumps Eskalation reicht
viel weiter, meint Annett Meiritz.

Die Autorin ist Korrespondentin in Washington.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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