Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
M. Fasse, S. Menzel, T. Sigmund, K. Stratmann
München, Düsseldorf, Berlin

M

itte Oktober hat Bernhard Mattes
in Frankfurt einen wichtigen Ter-
min. Oberbürgermeister Peter
Feldmann hat den Präsidenten
des Verbandes der Deutschen Au-
toindustrie (VDA) geladen, auch der Chef der Mes-
se Frankfurt ist angekündigt. Auf der Agenda steht
die Zukunft der Automesse IAA. Es wird wohl der
letzte große Kraftakt des VDA-Präsidenten sein:
Mattes hatte zur Eröffnung des diesjährigen Bran-
chentreffs im September überraschend erklärt,
sein Amt Ende 2019 niederzulegen.
Seitdem diskutiert die Branche über zwei Ret-
tungsmissionen: eine für die IAA, das einst stolze
Schaufenster der deutschen Autoindustrie, dem
aber zunehmend Aussteller und Besucher fernblei-
ben. Die zweite gilt dem ausrichtenden Verband
selbst. Die ehemals mächtigste Lobbyorganisation

der Republik steht nach dem angekündigten Mat-
tes-Abgang vor einem Scherbenhaufen. Schon lan-
ge vor der Messe in Frankfurt zeigte sich Uneinig-
keit in dem einst geschlossenen Block der Autobau-
er und ihrer Zulieferer – beispielsweise bei der
Frage, wie Elektroautos künftig gefördert werden
sollen. Mattes selbst verspürte zuletzt kaum noch
Rückhalt: Nach Informationen des Handelsblatts
machte sich ein branchenbekannter Headhunter
kurz vor der Messe auf die Suche nach einem
Nachfolger. In wessen Auftrag die Personalsuche
erfolgte, ist unklar. Mattes selbst schweigt über den
Grund seines abrupt angekündigten Rückzugs.
Wie es an der Spitze der Lobby weitergeht, sei
noch nicht entschieden, heißt es in den Kreisen
der Autohersteller und ihrer Zulieferer. Offen äu-
ßern will sich indes niemand. Mattes sagte zu Wo-
chenbeginn auf einer VDA-Betriebsversammlung,
dass es noch keine Nachfolgeregelung gebe. Der
Vorstand, in dem unter anderem die Chefs von
Daimler, BMW und Volkswagen sowie der großen

Zulieferer sitzen, hat noch keine eindeutige Linie.
Zwei Optionen liegen auf dem Tisch. Die einen
wünschen sich an der Spitze wieder einen Politiker
wie Mattes’ Vorgänger Matthias Wissmann, der ei-
nen direkten Draht in das Kanzleramt und in die
EU-Kommission hatte. An Vorschlägen für diese
Position mangelte es in den vergangenen Tagen
nicht. Vom grünen Realo Cem Özdemir über den
ehemaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel bis hin zu Ex-
EU-Kommissar Günther Oettinger werden für den
Posten Spitzenpolitiker aller Parteien gehandelt.
Dass Mattes nach gut einem Jahr den mit
700 000 Euro dotierten Job hinschmeißt, macht
die Mission VDA nicht attraktiver. Oettinger ist der
Favorit der schwäbischen Autohersteller und ihrer
Zulieferer, muss allerdings nach seinem Ausschei-
den aus der EU-Kommission eine 18-monatige Ka-
renzzeit absitzen. Sigmar Gabriel war SPD-Chef, Au-
ßen- und Umweltminister, Ministerpräsident von
Niedersachsen und damit auch VW-Aufsichtsrats-
mitglied. Er gilt vielen in der Branche als Idealbeset-

Die Autolobby


sucht den Neuanfang


Nach dem angekündigten Abgang von Bernhard Mattes braucht der VDA eine


neue Führung. Die einen wünschen sich einen Politiker, die anderen einen rollierenden


Präsidenten. Die Zeit drängt, denn die Branche steht vor enormen Herausforderungen.


Angela Merkel, Bernhard
Mattes: Viele Industrie-
vertreter haben engere
Kontakte zur Kanzlerin
als der VDA-Chef.

dpa

Der Verband


braucht an


der Spitze


eine charis-


matische


Persönlichkeit.


Stefan Bratzel
Leiter Center of
Automotive Management

Unternehmen


& Märkte


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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