Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
zung. Sein Bundestagsmandat hat er Ende Septem-
ber niedergelegt. Eine Anfrage des Handelsblatts
zum VDA ließ sein Büro zunächst unbeantwortet.
Unter den Autoherstellern wird noch ein zweites
Modell diskutiert: Rollierend soll der Präsident aus
dem Kreise der Hersteller und Zulieferer wechseln,
heißt es aus dem Hause eines großen Autokon-
zerns. Vorbild ist der europäische Herstellerver-
band Acea. Dort präsidiert seit 2018 PSA-Chef Car-
los Tavares, zuvor war es Ex-Daimler-Boss Dieter
Zetsche. Flankiert werden soll der ehrenamtlich
eingesetzte Präsident von einem aufgewerteten
Hauptgeschäftsführer. Während der Präsident die
wichtigen Schneisen in die Politik schlagen und für
den zuletzt mangelnden Konsens unter den Mit-
gliedern sorgen soll, könnte der Geschäftsführer
das Tagesgeschäft organisieren. „Damit hätte die
Industrie eine mächtige Stimme“, sagt ein Beteilig-
ter. Der jeweilige Präsident könnte das Gewicht der
eigenen Branche und des eigenen Hauses kombi-
nieren, erklären die Befürworter. Der Verband der
Chemischen Industrie zum Beispiel macht mit ei-
nem solchen Modell gute Erfahrungen – zurzeit
führt Henkel-Chef Hans Van Bylen den VCI.

Eigene Lobbyisten in Berlin
Experten raten indes zu einer dauerhaften, promi-
nenten Lösung. „Der Verband braucht an seiner
Spitze eine charismatische Persönlichkeit, die ei-
nen Wandel verkörpert“, sagt Stefan Bratzel, der
das Center of Automotive Management (CAM) an
der Fachhochschule Bergisch Gladbach leitet. Mat-
tes habe das nicht geschafft. Ihm sei es vor allem in
Berlin nicht gelungen, dem Verband eine starke Po-
sition zu verschaffen und in die Offensive zu gehen.
Der Verband müsse als „Vordenker für die Bran-
che“ auftreten. Unter Mattes’ Führung habe es be-
sonders mit dem Verkehrsministerium Unstimmig-
keiten gegeben, was in der Routinearbeit wie bei
Gesetzgebungsverfahren zu Problemen geführt ha-
be. Das Ministerium wollte sich zur Lage beim VDA
nicht äußern.
Der ehemalige Ford-Deutschland-Chef Mattes gilt
in der Berliner Politik als „Manager in Pension“,
der sich in seiner neue Rolle schwertat. Der Draht
ins Kanzleramt war nicht direkt. „Matthias Wiss-
mann ist sofort zur Kanzlerin durchgestellt wor-
den, wenn er ein wichtiges Anliegen hatte. Mattes
ist im Vorzimmer hängen geblieben“, sagt ein Be-
teiligter aus dem Berliner Politikbetrieb. Auch an-
dere hatten bessere Zugänge: zum Beispiel Volks-
wagen mit seinem Cheflobbyisten Thomas Steg
und Daimler mit Eckart von Klaeden. Beide sind
ehemalige Mitarbeiter von Angela Merkel. Steg war
stellvertretender Regierungssprecher, Klaeden
Staatsminister im Kanzleramt. Mattes sprach zwar
auch mit der Kanzlerin, aber das politische Netz-
werk in Berlin und Brüssel gehe ihm ab, heißt es.
So steckten der Verband und sein Präsident stän-
dig in der Zwickmühle. „Das Problem des VDA hat
zwei Buchstaben“, sagt ein Wirtschaftsvertreter.
Gemeint ist der VW-Konzern. Tatsächlich hat der
Wolfsburger Branchenführer mit seinem vehemen-
ten Eintreten für die Elektromobilität auch auf den
Verband erheblichen Druck ausgeübt. Lange laute-

te die Devise des VDA, keine Antriebstechnologie
auszuschließen, also außer reinen Elektroautos
auch Hybride und Brennstoffzellen zu fördern. Die
Festlegung von VW-Chef Herbert Diess auf reine
Elektroautos traf Mattes unvorbereitet.

Verhältnis zur Politik ist beschädigt
Außer der internen Geschlossenheit ist der Draht
in die Politik überlebenswichtig für die Industrie.
Mit dem Dieselskandal hat die Branche viel Kredit
in Berlin und Brüssel verspielt. Nun bestimmt we-
niger der Kunde, sondern die Politik mit ihren Vor-
gaben für Stickoxide und Kohlendioxid über die
Zukunft der Autokonzerne. Wie erkaltet das Ver-
hältnis zwischen Merkel und der Autoindustrie ist,
zeigt die Kanzlerin öffentlich. Als am „Tag der In-
dustrie“ BDI-Präsident Dieter Kempf ihre Wirt-
schaftspolitik kritisierte, konterte Merkel eiskalt.
„Ich könnte jetzt hier aufzählen, wo die Autoindus-
trie überall Vertrauen verspielt hat“, sagte Merkel.
Sie erinnerte daran, dass nicht nur die Politik ver-
antwortlich dafür sei, dass die Bürger an die Sozia-
le Marktwirtschaft glaubten. „Vertrauen in die Bun-
desregierung ist wichtig, Vertrauen in die Wirt-
schaft aber ebenso.“ Eine Klatsche. Merkel hätte ja
auch die Finanzbranche oder die Lebensmittelin-
dustrie als Beispiel anführen können. Sie nannte
aber die Autobranche.
Auf der anderen Seite setzt sich Merkel für die
Interessen der Autokonzerne ein. Das wird auch an
kleinen Gesten sichtbar. Bei ihrer letzten China -
reise nach Peking unterzeichneten unter anderem
Siemens-Chef Joe Kaeser, Allianz-Chef Oliver Bäte
und der neue BMW-Chef Oliver Zipse Wirtschafts-
vereinbarungen im Beisein von Ministerpräsident
Li Keqiang und Merkel. Die Kanzlerin winkte Zipse
nach der Unterzeichnung kurz herbei und stellte
ihm den chinesischen Ministerpräsidenten vor. Bei-
de wechselten ein paar freundliche Worte. Zipse
dürfte sich über die Aufmerksamkeit der Kanzlerin
gefreut haben – China ist der wichtigste Absatz-
markt der deutschen Autoindustrie.
Mattes habe das Gespür für die großen Signale
gefehlt, heißt es auch. In der Politik hat man die Er-
öffnung der IAA durch John Krafcik, CEO von Goo-
gles Auto-Ausgründung Waymo, gemeinsam mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Fehler
eingestuft. „Wie kann man nur so bekloppt sein, ei-
nem Amerikaner auf der größten deutschen Auto-
messe eine solche Bühne zu bieten“, erregt sich ein
Unions-Ministerpräsident. In Berlin werde der Job
des VDA-Chefs inzwischen schwieriger einge-
schätzt als die Führung der SPD, wie ein Hauptge-
schäftsführer eines großen Verbandes sagt.
Dass Mattes im Amt des VDA-Präsidenten wenig
Erfolg hatte und die Verbindungen in die Politik
nicht ausreichend knüpfen konnte, sei ihm persön-
lich am wenigsten anzulasten. „Als Mann aus der
Industrie war es von Anfang an klar, dass es nicht
besser laufen würde. Die Verantwortung tragen
diejenigen, die Mattes zum Präsidenten gemacht
haben“, sagt ein Industrievertreter. Auf die Beru-
fung von Mattes hatte vor zwei Jahren insbesonde-
re der damalige Daimler-Chef Zetsche gedrängt. Er
wollte nach Wissmann keinen weiteren Politiker an
der Spitze des Verbandes haben und setzte in dem
langjährigen Ford-Deutschland-Chef Mattes seinen
Industrievertreter durch. Doch mit Zetsches Ab-
gang von der Daimler-Spitze im Mai verlor Mattes
seinen wichtigsten Fürsprecher im Vorstand. Bei
der Auswahl des künftigen VDA-Präsidenten wollen
die Zulieferer auf jeden Fall ein gehöriges Wort mit-
reden. Bei der Festlegung auf Mattes vor zwei Jah-
ren ist den Zulieferern der Einfluss der Autoherstel-
ler zu groß gewesen.
Nun drängt die Zeit. Der Wechsel zu Elektroan-
trieben ist beschlossen, doch es fehlt ein leistungs-
fähiges Ladenetz. Die Konjunktur lahmt, ein unge-
regelter Brexit hängt wie ein Damoklesschwert
über der Branche. Der Vertreter eines anderen
Spitzenverbandes rät dem neuen VDA-Präsidenten,
dass er sich von den Konzernen persönliche Frei-
räume zusichern lässt. „Dazu gehört auf jeden Fall
die Budgetfreiheit, etwa für größere PR- und Me-
dienkampagnen“, sagt ein Verbandsmanager.

> Kommentar Seite 29

Automobil-Ausstellung

Neues Konzept


für die IAA


M


it einer Verlegung vom kühlen März in
den sommerlichen Juni wollten die
Messemacher aus Hannover für eine
Wiederbelebung ihrer Computerschau Cebit sor-
gen. Doch auch das bessere Wetter im Frühsom-
mer konnte den starken Rückgang bei Aussteller-
und Besucherzahlen nicht aufhalten. Ende ver-
gangenen Jahres fiel die Entscheidung, dass die
Cebit komplett eingestellt wird.
Das Schicksal der einstmals größten Computer-
messe der Welt ist natürlich auch dem Verband
der Automobilindustrie (VDA) bekannt. Deutsch-
lands wichtigste Industrievereinigung nimmt
nicht nur Einfluss auf die Gesetzgebung in Berlin,
sondern ist zugleich Veranstalter der größten
deutschen Automesse, der Internationalen Auto-
mobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. Die ist al-
lein schon in finanzieller Hinsicht sehr wichtig
für den Verband: Er bestreitet damit mehr als 50
Prozent seines Jahresetats.
Doch die IAA ist wie die Cebit in die Jahre ge-
kommen. Es kommen immer weniger Besucher,
bei der im September zu Ende gegangenen IAA
waren es etwa 300 000 weniger als zwei Jahre
zuvor. Doch mindestens genauso schwer wiegen
die Rückgänge auf Ausstellerseite: In diesem Jahr
fehlten in Frankfurt 30 Marken, die sonst am
Main präsent waren. Insbesondere ausländische
Hersteller wenden der früheren Leitmesse den
Rücken zu, die deshalb zu einer fast rein deut-
schen Veranstaltung zu werden droht.
Dass es schon bald zu größeren Veränderun-
gen am Messekonzept kommen wird, gilt für die
meisten Branchenvertreter als ausgemacht. „Das
ist alles nicht mehr zeitgemäß“, heißt es dazu aus
Industriekreisen. Klima- und Umweltschutz seien
zu einem entscheidenden Thema für die gesamte
Automobilindustrie geworden. Dazu passe es ein-
fach nicht mehr, auf einer Messe wie der IAA nur
auf Glitzer und Glamour mit hochpolierten Autos
zu setzen.
Auch der Traditionsstandort Frankfurt ist nicht
mehr gesetzt. Andere Messegesellschaften, etwa
aus Berlin und Köln, haben ihr Interesse signali-
siert. Konkrete Entscheidungen sollen bis Januar
getroffen werden. Künftig dürfte es weniger Au-
tos zu sehen geben. Das Thema Mobilität wird
stärker in den Mittelpunkt rücken.
Der scheidende VDA-Präsident Bernhard Mat-
tes hatte angekündigt, dass er noch maßgebli-
chen Einfluss auf das künftige Messekonzept neh-
men wolle, bevor er zum Jahresende den Ver-
band verlässt. Allerdings werden auch die
Aussteller – und damit vor allem die drei großen
Konzerne Volkswagen, Daimler und BMW – ihre
eigenen Vorstellungen durchzusetzen versuchen.
Auf der IAA sind Autohersteller und -zulieferer
gleichermaßen vertreten, eine Besonderheit im
Vergleich zu anderen Ausstellungen, auf denen
es meist nur um Autos geht. Stefan Menzel

Lamborghini auf der
IAA: Hochpolierte Au-
tos passen nicht zu
Forderungen nach
mehr Klimaschutz.

action press


560


TAUSEND
Besucher
verzeichnete die
Automobilausstellung
IAA im September
2019.

Quelle: IAA

Weniger Interesse an der Automesse
Besucherzahlen der IAA

810 400

9 31 700

560 000

HANDELSBLATT

2015 2017 2019
Quelle: IAA

Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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