Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Stephan Scheuer Berlin

N

och Ende vergangener
Woche gab sich Bun-
desverkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU)
zuversichtlich. Er wis-
se, dass die Industrie sehnsüchtig
darauf warte, endlich die ihr ver-
sprochenen 5G-Frequenzen zuge-
teilt zu bekommen. Damit war das
Versprechen der Regierung gemeint,
ganze Produktionsanlagen deut-
scher Großkonzerne mit 5G-Masten
auszustatten.
Er sei guter Dinge, dass die Bun-
desnetzagentur schon bald das nöti-
ge Verfahren veröffentlichen werde.
„Das Vorhaben ist nur noch in der
Abstimmung zwischen den Res-
sorts“, hatte Scheuer bei der Konfe-
renz 5Germany von Telekom und
Handelsblatt gesagt.
Jetzt kommt jedoch heraus, dass
sich die Firmen deutlich länger ge-
dulden müssen. Nach Informatio-
nen des Handelsblatts ist das Fi-
nanzministerium mit der Gebühren-
ordnung nicht zufrieden. Genauer
gesagt: Die Behörde drängt auf
deutlich höhere Abgaben.
Eigentlich hatte die Bundesnetz-
agentur vorgesehen, dass die Fir-
men relativ geringe Abgaben zahlen
müssten. Je größer die Fläche, desto
höher sollten die Gebühren für die
Installation der 5G-Masten ausfal-
len. In einer Beispielrechnung hätte
der Autobauer BMW in München
für seine Produktionsanlage über ei-
ne Fläche von rund einem halben
Quadratkilometer 11 000 Euro zah-
len müssen.
Der Chemiekonzern BASF hätte
für seine Fabrikanlage in Ludwigs-
hafen mit einer Größe von etwa 8,2
Quadratkilometern 165 000 Euro
zahlen müssen. Der Hamburger Ha-
fen hätte für die Frequenzen auf ei-
ner Fläche von 72 Quadratkilome-
tern 1,4 Millionen Euro ausgeben
müssen.
Das ist dem Finanzministerium zu
wenig. Die Beamten drängen da-
rauf, die Zahlungen zu verfünffa-
chen, wie das Handelsblatt aus in-
formierten Kreisen erfuhr. Eine
schnelle Entscheidung gilt als un-
wahrscheinlich. Auf der Arbeitsebe-
ne könnten die Behörden das Pro-
blem kaum klären. Vermutlich wer-
de auf politischer Ebene eine
Entscheidung herbeigeführt werden
müssen.

Deutscher Sonderweg
bei 5G-Frequenzen
Die deutsche Industrie befindet sich
eigentlich in einer komfortablen Si-
tuation. Im Gegensatz zu ihren Kon-
kurrenten etwa in China, Südkorea
oder den USA steht ihr auf dem Weg
in die Zukunft mit 5G-Mobilfunknet-
zen ein Sonderweg offen: Die Bun-
desnetzagentur hat ein Viertel der
begehrten Frequenzen für lokale
Anwendungen reserviert, also für
Campuslösungen bei Unternehmen,
Forschungseinrichtungen oder in
der Landwirtschaft.
Damit können Unternehmen ihre
eigenen 5G-Netze errichten und
sind nicht zwangsläufig auf Netzbe-

treiber wie die Deutsche Telekom,
Vodafone, Telefónica (O2) und künf-
tig auch United Internet (1&1) ange-
wiesen.
Dafür hatte die Bundesnetzagen-
tur 100 Megahertz aus der 5G-Fre-
quenzauktion herausgezogen. Wäh-
rend die Netzbetreiber insgesamt
6,5 Milliarden Euro für das 5G-Spek-
trum zahlen müssen, sollten die Fir-
men und Forschungseinrichtungen
ihre lokalen Frequenzen eigentlich
für ein geringes Entgelt zur Verfü-
gung gestellt bekommen. Aufgrund
der Streits zwischen den verschie-
denen Ressorts stockt das Verfahren
jedoch.
Der Chef des Telekommunikati-
onsdienstleisters Mugler, Hartmut
Fiedler, sagte: „Das ist ein desaströ-
ses Signal.“ Es sei die richtige Ent-
scheidung Deutschlands gewesen,
einen Teil der 5G-Frequenzen für
die Industrie zu reservieren. Doch
jetzt behindere die Bundesregie-
rung den innovativen Ansatz. „Es ist
völlig unverständlich, dass wir uns
an solchen Kleinigkeiten aufhalten“,
klagte Fiedler gegenüber dem Han-
delsblatt.

Hohe Gebühren
könnten Mittelständler
abschrecken
Gerade für Mittelständler könnten
höhere Gebühren abschreckend
wirken, warnte Fiedler. „Ob eine
Firma 30 000 Euro oder 150 000
Euro zahlen muss, kann für einen
mittelständischen Betrieb einen gro-
ßen Unterschied machen“, sagte
Fiedler. Denn die Ausgaben für die
Frequenzen seien nur der erste
Schritt.
Anschließend müssten sie noch in
die nötige Technologie und den Be-
trieb des Netzes investieren. „Groß-
konzerne werden sich davon nicht
abhalten lassen“, sagte Fiedler. Aber
der für Deutschland so wichtige Mit-
telstand könnte durch das Vorgehen
zurückschrecken.
Nun droht im Streit zwischen den
Ressorts wertvolle Zeit zu verstrei-
chen. Zeit, die die Industrie eigent-
lich nicht hat. „Wir sind schon seit
einiger Zeit dabei, alle Anlagen mit
Sensoren auszustatten“, sagte BASF-
Vorstand Michael Heinz dem Han-
delsblatt. Daten ließen sich in Echt-
zeit auswerten. In einem Pilotpro-
jekt sei dabei die Anlieferung von
Tankanlagen effizienter gestaltet
worden. Noch baue das System auf
dem 4G-Mobilfunk auf. Künftig
könnte aber auf den Nachfolger 5G
umgestellt werden.
Telekom-CEO Timotheus Höttges
sagte: „Wir bieten uns als Partner
an.“ Der Dax-Konzern könnte präzi-
se auf den Bedarf einzelner Unter-
nehmen zugeschnittene Lösungen
anbieten. Sollten Firmen lokale
5G-Frequenzen erwerben, werde
das Unternehmen auch schauen,
wie eine sinnvolle Zusammenarbeit
aussehen könnte. Die Telekom favo-
risiere, den Unternehmen Campus-
Netze auf Basis des eigenen
deutschlandweiten Netzes zur Ver-
fügung zu stellen.

Neuer Mobilfunkstandard


Industrie muss


länger auf


5G-Frequenzen


warten


Die Bundesregierung hat deutschen


Großkonzernen eigene 5G-Frequenzen für


die Ausrüstung ihrer Fabriken versprochen.


Doch jetzt stockt das Verfahren.


Hamburger Hafen:
Der Logistikkonzern
hätte für die Frequenzen
auf einer Fläche von
72 Quadratkilometern
eigentlich 1,4 Millionen
Euro ausgeben müssen.

mauritius images / Ingo Boelter

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HANDELSBLATT Quelle: Bitkom

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