Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1

ist, bevor wir loslegen und mit Tik Tok
konkurrieren, wo es groß ist“, sagt Zu-
ckerberg. Amerika kopiert von China.
Die Verhältnisse ändern sich.
Auch die Alleinherrschaft von Zu-
ckerberg hinterfragen die Facebook-
Mitarbeiter. In dem Unternehmen
kann keine Entscheidung getroffen
werden, die der Gründer für falsch
hält.
Mark Zuckerberg findet das richtig
so. Zumindest in den Tonbandauf-
zeichnungen, die das Technikportal
The Verge abgeschrieben und veröf-
fentlicht hat, findet sich kein Wort
des Selbstzweifels. Im Gegenteil: Die
Machtkonzentration im Unterneh-
men habe sich historisch bewährt
„Wir wären nicht einmal hier, wenn
ich nicht die Kontrolle hätte“, sagt er
an einer Stelle. Mehrfach führt er an,
man hätte ihn längst rausgeschmis-
sen, wenn er selbst das nicht hätte
verhindern können.
Woher er das Selbstbewusstsein
hat, erklärt Zuckerberg auch. Im Jahr
2006 hatte er sich entgegen vieler
Ratschläge entschieden, Facebook
nicht an das damals noch größere
Netzwerk Myspace zu verkaufen.
Wenn man 20, 21 Jahre alt sei und al-
le erfahrenen Leute sagten einem,
man würde diese Entscheidung be-
reuen und hinwerfen und man stehe
das quasi allein durch, sagt Zucker-
berg: „Das gibt dir eine Menge Selbst-
bewusstsein, dass du langfristige Ent-
scheidungen treffen kannst, die sich
über die Zeit als richtig herausstellen
werden.“


Aktionäre kritisieren
Zuckerbergs Machtfülle


Fraglich ist, ob sich die Situationen
von damals und heute überhaupt ver-
gleichen lassen. Die Reichweite von
Entscheidungen bei Facebook haben
kaum vorstellbare Dimensionen ange-
nommen. Die Verantwortung für die
Jobs von mehr als 30 000 Mitarbeiter,
für die Daten von über zwei Milliar-
den Nutzern, für das Investment der
Aktionäre, für Inhalte, die eine Mas-
senpanik auf den Straßen auslösen
können und für den Ausgang von
Wahlen trägt letztlich Mark Zucker-
berg allein. Selbst beste Absichten vo-
rausgesetzt, kann einem bei diesem
Gedanken mulmig werden.
Die Aktionäre stören sich mit gro-
ßer Mehrheit daran, dass Zuckerberg
zugleich Chef und Aufsichtsratsvor-
stand sein kann. Ein Aktionärsvotum
für eine Trennung der Ämter schei-
terte allerdings am Veto von Zucker-
berg. Anders als viele Investoren
sieht sich der Gründer an einer lang-
fristig guten Entwicklung seines Un-
ternehmens interessiert.
Mark Zuckerberg hat die Echtheit
der Aufnahmen mittlerweile in einem
Beitrag auf seiner Facebook-Seite be-
stätigt. Es sei eine „ungefilterte Versi-
on“ dessen, was er zu vielen Punkten
denke.
Die gescholtene Präsidentschaftsan-
wärterin Warren reagierte prompt um
ließ den Facebook-Chef per Twitter
wissen, dass sie sich nicht verbieten
lassen werde, große Tech-Unterneh-
men zur Verantwortung zu ziehen. Sie
kritisierte, dass Zuckerberg in Face-
book nicht ein Unternehmen sehe,
sondern vielmehr eine Art Regierung.
Auch Scott Galloway kritisiert die
Machtkonzentration bei Zuckerberg
verbunden mit Facebooks staatsähn-
lichem Charakter. Der streitbare Mar-
ketingprofessor aus New York sieht in
Zuckerberg einen Herrscher mit un-
begrenzter Amtszeit: Putin sei in 20
Jahren Geschichte, Trump in 0 bis
fünf Jahren, aber Zuckerberg könne
noch in 60 bis 70 Jahren herrschen
und auch nicht abgewählt werden.


2


MILLIARDEN
Nutzer hat Facebook


  • und die Verantwor-
    tung für deren Daten.


Quelle: Unternehmen

Pharma- und Chemiekonzern

So will Bayer grüner werden


Früher saß er für die Grünen
im Bundestag, jetzt ist
Matthias Berninger Manager
bei Bayer. Und präsentiert
erste Details einer neuen
Nachhaltigkeitsstrategie.

Bert Fröndhoff Leverkusen

E


s ist eine der aufsehenerre-
gendsten neuen Personalien
bei Bayer: Matthias Berninger,
bekennender Grüner und einst für die
Ökopartei im Bundestag, hat zu Jah-
resbeginn bei dem Leverkusener
Pharma- und Landwirtschaftskonzern
als neuer globaler Chef für Lobbyar-
beit und Nachhaltigkeit angeheuert.
Seither trat er öffentlich wenig in Er-
scheinung. Der Grund: Berninger hat
sein erstes großes Projekt ausgearbei-
tet – die neue Nachhaltigkeitsstrategie
von Bayer.
Am Mittwoch gab der 48-Jährige in
der Bayer-Zentrale in Leverkusen ers-
te Einblicke in die Strategie – er trat
vor den rund 300 Teilnehmern des
„Future Farming Dialogue“ auf, den
der Konzern jährlich ausrichtet. Es ist
eine Debattenveranstaltung mit Land-
wirten, Agrarwissenschaftlern und
Fachjournalisten aus alles Welt.
Die brennendste Frage beantwortet
Berninger stets vorweg, wenn er sagt,
er sei nicht zu Bayer gegangen, ob-
wohl er ein bekennender Grüner ist,
sondern weil er ein solcher ist. Man-
chen in der Partei ist dies unverständ-
lich, schließlich pflegen die Grünen
und Bayer ein spannungsreiches Ver-
hältnis: Grüne Gentechnik, chemi-
scher Pflanzenschutz, Saatgutpatente


  • das Kerngeschäft von Bayers Agrar-
    sparte ist für viele reines Teufelszeug.
    In der Branche wird es aber als ge-
    schickter Schachzug der Bayer-Füh-
    rung gewertet, einen aus den Reihen
    der Ökobewegung als neuen Cheflob-
    byisten zu verpflichten. Erfahrung da-
    für bringt Berninger mit, er war zuvor
    sieben Jahre als Leiter Global Affairs
    beim amerikanischen Süßwarenher-
    steller Mars tätig.
    Jetzt aber Bayer mit all den Heraus-
    forderungen: das verschlechterte
    Image seit der Übernahme von Mon-
    santo oder die wachsende Kritik am
    Modell der industrialisierten Land-
    wirtschaft, für die Bayer der weltweit


führende Zulieferer von Pflanzen-
schutz, Saatgut und Digitaltechnik ist.
Die Front gegen Bayer ist groß: Bei
der Hauptversammlung im April de-
monstrierte die „Fridays For Futu-
re“-Bewegung vor der Halle gegen
„Klimaschäden“ durch Monsanto:
Bayer sei auf einem guten Weg gewe-
sen, aber die Übernahme habe den
Konzern in Sachen Verringerung der
Treibhausgas-Emissionen zurückge-
worfen, hieß es vonseiten der Jugend-
lichen.
Tatsächlich sind die Emissionen
von Bayer inklusive Monsanto im Jahr
2018 von 3,6 auf 5,5 Millionen Tonnen
CO 2 -Äquivalente hochgeschnellt. Gro-
ße Investoren bewerten Bayer in Sa-
chen Nachhaltigkeit ebenfalls kriti-
scher. Monsantos „desaströse Umwelt-
bilanz“ schlage voll auf Bayer durch,
sagte Janne Werning von der Fonds -
gesellschaft Union auf der Haupt -
versammlung. Viele Geldgeber
orientieren sich bei ihren Investments
mittlerweile klar an Nachhaltigkeits-
kennzahlen und -strategien.
Berninger weiß um all dies: „Seit
der Übernahme haben wir noch ein
klareres Mandat“, sagt er. Im Veran-
staltungszentrum von Bayer, dem
Baykomm, spricht er vom Anthropo-
zän, in dem wir leben: ein Zeitalter,
in dem die Menschen zum einfluss-
reichsten Faktor dafür geworden
sind, wie sich die Erde biologisch,
geologisch und atmosphärisch verän-
dert. Er benennt die Probleme: Ver-
lust von Biodiversität, das Über-
schreiten der planetaren Grenzen,
die Folgen des Klimawandels.

„Kaum ein Unternehmen hat so vie-
le Hebel, um zu mehr Nachhaltigkeit
beizutragen, wie Bayer“, sagt Bernin-
ger. Deswegen würde er für den Kon-
zern arbeiten. Für ihn geht es dabei
nicht nur um die Verbesserung der
konzerneigenen Klimabilanz.
Bayer soll künftig den Zugang zu
wichtigen Medikamenten in weniger
entwickelten Ländern erleichtern. Die
Agrarsparte soll Kleinbauern in diesen
Regionen stärker unterstützen und
mit Digitaltechnologie ausrüsten.
Selbst die Regenwald-Rodungen in
Brasilien zur Schaffung neuer Anbau-
flächen sieht Berninger kritisch. Bayer
ist der führende Lieferant für die bra-
silianischen Bauern, die Soja-Saatgut,
Insektizide und Unkrautvernichter bei
dem Konzern ordern. „Wir dürfen
nicht neue Anbaufläche schaffen, son-
dern müssen die bestehende effizien-
ter nutzen“, sagt Berninger.
Das passt natürlich gut in die wirt-
schaftliche Strategie von Bayer, die auf
Innovationen ausgerichtet ist, mit de-
nen in der Landwirtschaft höhere
Ernteerträge auf geringerer Fläche
möglich sein sollen.
Ökonomie und Nachhaltigkeit sind
für Berninger aber keine Gegensätze.
Bei Bayer soll beides künftig eine
gleichgewichtige Rolle spielen, kün-
digte er an. Bayer soll kein Konzern
sein, der nur von Nachhaltigkeit re-
det, aber nichts tut und die Vorhaben
dann doch dem Profitdenken opfert.
Vor solch klaren Worten schreckt
Berninger nicht zurück. In der Bayer-
Führung hat er Rückhalt: CEO Werner
Baumann wird sich mit dem jüngst
angekündigten Vorstandsumbau des
Themas Nachhaltigkeit persönlich an-
nehmen. Der Aufsichtsrat hat die von
Berningers Team ausgearbeitete grü-
ne Strategie im September abgesegnet


  • die Kontrolleure kündigten intern
    zugleich an, die Umsetzung der Ziele
    genau überwachen zu wollen.
    Spätestens im Dezember will der
    Konzern die Pläne mit allen Details
    öffentlich vorstellen – inklusive klar
    formulierter Ziele und Messwerten
    für die Umsetzung. In den nächsten
    Wochen geht Berninger erst mal auf
    Tour bei den Investoren. Die großen
    Fondsgesellschaften und Anteilseig-
    ner fordern vom Konzern schon län-
    ger eine substanzielle neue Nachhal-
    tigkeitsstrategie.


Bayer-Werk Dormagen:
Seit der Übernahme von
Monsanto leidet das Image
des Konzerns enorm.

Bloomberg,

Matthias Berninger: Ökonomie
und Nachhaltigkeit sind für ihn
keine Gegensätze.

imago images / tagesspiegel

Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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