Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
„Sollten diese Zölle von beiden Seiten erhoben
werden, sind erhebliche Auswirkungen auf die
gesamte Branche in den USA und in der EU sowie
hohe Kosten bei der Anschaffung neuer Flugzeuge
durch US- und EU-Fluggesellschaften zu erwarten.“
Guillaume Faury, Airbus-Chef

Worte des Tages


Börsengänge


Heilsamer


Schock


A


nfang der Woche zog das Ma-
nagement des US-Bürover-
mieters WeWork endgültig
die Reißleine und sagte den geplan-
ten Börsengang ab. Damit ist die mil-
liardenschwere Platzierung nach ei-
ner langen Serie von Pannen endgül-
tig geplatzt. Das ist gut so. Es mag wi-
dersinnig klingen, aber das Scheitern
von WeWork ist ein positives Signal
für den Kapitalmarkt.
WeWork ist ein Immobilienunter-
nehmen, das sich als Technologiefir-
ma ausgibt, weil so höhere Bewer-
tungen am Markt winken. Die Firma
wächst zwar schnell, aber hinter
dem Geschäftsmodell stehen eine
ganze Reihe von Fragezeichen. Wäre
der Börsengang geglückt, wäre das
ein Symptom für jenes Phänomen
gewesen, das der ehemalige US-No-
tenbankchef Alan Greenspan einmal
„irrationalen Überschwang“ genannt
hat. Auf solche Phasen des Über-
schwangs folgt meist bittere Ernüch-
terung in Form eines schmerzhaften
Kursrutsches. Und wie schmal der
Grat zwischen Angst und Gier ist,
zeigen einmal mehr die Börsentur-
bulenzen der vergangenen Tage.
Die expansive Geldpolitik der gro-
ßen Notenbanken treibt die Vermö-
genspreise an fast allen Märkten in
die Höhe. Auf der Suche nach höhe-
ren Renditen gehen Investoren im-
mer höhere Risiken ein. Das Schei-
tern von WeWork ist deshalb ein er-
mutigendes Signal, das zeigt, dass die
gesunde Skepsis bei den Investoren
noch nicht völlig verschwunden ist.
Mehr von dieser Skepsis wäre
auch an anderen Märkten bitter nö-
tig. Zum Beispiel bei Hochzinsanlei-
hen, sogenannten Junk Bonds. Ob-
wohl eine empfindliche Abkühlung
der Weltkonjunktur droht, läuft der
Markt für diese riskanten Papiere
dank der wilden Jagd nach Rendite
nach wie vor auf Hochtouren. Noch
liegen die Ausfallraten deutlich un-
ter dem historischen Durchschnitt.
Aber je länger die Phase der Mini-
zinsen anhält, desto stärker wird
der Druck auf die Investoren, noch
größere Risiken einzugehen. Ein
heilsamer Schock von Zeit zu Zeit,
wie ihn WeWork am Aktienmarkt
geliefert hat, würde auch hier dafür
sorgen, dass der Überschwang
nicht allzu irrational wird.


Zum Glück ist der Börsengang des
Start-ups WeWork geplatzt. Solche
Schocks tun den Märkten gut,
meint Michael Maisch.


Der Autor ist stellvertretender
Ressortleiter Finanzen
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


D

ie Zeiten, da Unternehmen vorrangig
dazu da waren, den Wohlstand ihrer
Eigentümer zu mehren, sind vorbei.
Klimawandel, Demografie oder soziale
Herausforderungen führen vor Augen,
dass künftig auf Unternehmen weit mehr Aufgaben
in der Gesellschaft warten, als nur Produkte herzu-
stellen, Menschen zu beschäftigen und Umsatz mit
Gewinn zu erzielen. Die reine Orientierung am
Share holder-Value hat deshalb wohl ausgedient. Na-
türlich muss und darf eine Aktiengesellschaft ihre
Anteilseigner glücklich machen. Aber mit dem abso-
luten Primat des Aktienkurses und damit des Markt-
werts bekommen Unternehmen Themen wie Nach-
haltigkeit nicht in den Griff.
Börse oder Finanzinvestoren allerdings honorie-
ren es nicht – zumindest noch nicht –, wenn ein Un-
ternehmen über Bedarf Lehrlinge ausbildet oder ei-
ne Milliarde investiert, um klimaneutral zu werden.
Trotzdem ist gesellschaftliche Verantwortung von
Unternehmen en vogue, wenn selbst der größte Koh-
leverstromer der Republik, RWE, erklärt, klimaneu-
tral werden zu wollen. Auch ein Teil der Gründerge-
neration bevorzugt nicht mehr das schnelle Geld in
kurzer Zeit durch Verkauf ihres Start-ups.
Eine neue Erfindung ist gesellschaftliche Verant-
wortung von Unternehmen freilich nicht. Robert
Bosch, Ernst Abbe bei Zeiss oder die Gebrüder Mah-
le haben sie schon vor Jahrzehnten praktiziert. Es ist
also gar nicht so schwer. Aber Werte sind eben eine
Charakterfrage und damit eng mit der Unternehmer-
person verbunden. Und was ist, wenn sich kein ge-
eigneter Nachfolger in der Familie findet, der Werte
und Mission teilt?
Eine Stiftungskonstruktion kann ein Ausweg sein. In
einem solchen Fall gehört am Ende das Unternehmen
sich selbst und ist vor Übernahmen geschützt. Ein
reizvoller Gedanke für alle, die gern an das Morgen
denken. Doch dafür müssen einige Bedingungen er-
füllt sein. So muss die Eigentümerfamilie erst einmal
bereit sein, Macht abzugeben. Zudem ist unabdingbar,
dass die gemeinnützigen Interessen der Stiftung strikt
von der industriellen Führung getrennt sind. Sprich,
der Stiftung zwar das Unternehmen gehört, aber sie
die Stimmrechte nicht ausübt. Sie gibt sie an eine
kompetent besetzte treuhänderische Führungsgesell-
schaft ab. Eine Vermischung der Interessen führt
sonst häufig zu schwierigen Situationen, wie gerade
bei Thyssen-Krupp zu beobachten. Und nicht zuletzt:
Für die industrielle Führung braucht es erfahrene Ma-
nager, die das Unternehmen lenken, als wäre es das
eigene. Treuhänderische Verantwortungseigentümer
nennt das Bosch-Aufsichtsrat Franz Fehrenbach.

Sind die Bedingungen erfüllt, kann ein Stiftungs-
unternehmen leichter einen gesellschaftlichen Bei-
trag leisten als eine börsennotierte AG. Sicherlich
muss das Stiftungsunternehmen wirtschaftlich im-
mer auch mit kapitalmarktorientierten Gesellschaf-
ten mithalten können. Aber langfristige Strategien
lassen sich dann doch etwas leichter umsetzen,
wenn nicht der Kapitalmarkt im Nacken sitzt.
Eine Stiftungskonstruktion ist allein steuerrecht-
lich ein kompliziertes Konstrukt. Und sie birgt ver-
deckte Risiken. Die Gewinnausschüttung an eine
Stiftung ist zwar in der Regel vergleichsweise ge-
ring im Verhältnis zu einer Dividende an Aktionä-
re. Der Gewinn bleibt damit weitgehend im Unter-
nehmen. Auch das schon immer ein reizvoller Ge-
danke. Aber das Unternehmen muss sich auch aus
sich selbst heraus finanzieren. Eine Kapitalerhö-
hung wie bei einer Aktiengesellschaft ist nicht
möglich. Denn eine gemeinnützige Stiftung ist
zum Verzehr ihrer geringer besteuerten Mittel aus
dem Unternehmensgewinn verpflichtet. Im Ernst-
fall wird sie kaum in der Lage sein, eine höhere
Kapitalmaßnahme mitzutragen. Und wenn das im
Bedarfsfall dazu führt, dass sich das Unternehmen
über Anleihen notwendiges Kapital verschaffen
muss, ist die Abhängigkeit von den Finanzmärkten
durch die Hintertür wieder im Haus. Es bedarf
demnach im Stiftungsunternehmen höchster Dis-
ziplin, um die finanzielle Unabhängigkeit zu wah-
ren.
Ein Unternehmen, das sich selbst gehört, hat
auch für junge Gründer, bei denen die Unterneh-
mensidee und nicht das Eigentum im Vordergrund
steht, seinen Charme. Schließlich verlieren Start-
up-Unternehmer mit jeder Finanzierungsrunde ei-
nen immer größeren Teil ihres Unternehmens an
Investoren. Sie hatten noch keine Gelegenheit, Ka-
pital selbst anzusammeln. Und dann kann es
schnell passieren, dass der Gründer im eigenen Un-
ternehmen nichts mehr zu sagen hat oder der Weg
auf Börsengang oder Verkauf zusteuert. Für Start-
ups wäre eine neue Rechtsform, die die Vorteile ei-
ner Stiftung hat, aber einfacher zu handhaben ist,
durchaus reizvoll. Gewinne und Kapital blieben
dann im Unternehmen, und die Gesellschafterfunk-
tion könnte weder vererbt noch verkauft werden.
Die Eigentumsfrage wäre gelöst. Aber nicht die der
Finanzierung. Verantwortungseigentum ist ein
schönes Ziel, jedoch nicht einfach zu erreichen.

Leitartikel


Verantwortung


ohne Eigentümer


Wenn
Unternehmen sich
selbst gehören,
haben sie mehr
Freiheiten, aber
auch Nachteile
bei der
Finanzierung,
sagt Martin-W.
Buchenau.

Verantwor-


tungseigen-


tum hat auch


für junge


Gründer,


bei denen die


Unternehmens -


idee und nicht


das Eigentum


im Vordergrund


steht, seinen


Charme.


Der Autor ist Korrespondent in Stuttgart.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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