Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
„In den nächsten zehn bis 15 Jahren
könnte jeder dritte Lkw und Bus
unserer Marken mit alternativen
Antrieben fahren – die meisten
davon voll elektrisch.“
Andreas Renschler, Chef der VW-Lastwagentochter Traton

„Für die Schweiz sind die
Negativzinsen absolut nötig
und essenziell. “
Andrea Maechler, Direktoriumsmitglied der
Schweizer Zentralbank SNB

E


s war mal das Statussymbol eines jeden lei-
tenden Angestellten und Chefs, einen gro-
ßen Schreibtisch zu besitzen. So ein
Schreibtisch musste nicht nur breit, son-
dern auch tief sein, damit er jeden, der dem Boss ge-
genüber sitzen würde, auf Abstand hielte. Und je hö-
her die Position, desto mächtiger das Möbel.
Man kann die Chef-Schreibtische der Vergangen-
heit eigentlich nur als Monster begreifen. Riesige
Blöcke aus Massivholz, die unverrückbar waren. Und
genau das sollte so ein Klotz ja auch signalisieren.
Sein Besitzer ist derart mächtig, man kriegt ihn nicht
mehr von seiner Position weg. Ein großer Schreib-
tisch bedeutete große Verantwortung – und viel Ar-
beit, die bewältigt werde musste. Manche Schreibti-
sche stehen immer noch irgendwo herum, obwohl
ihre Benutzer längst hinweg sind.
Man hat auch immer wieder versucht, mit
Schreibtischen Charakterstudien zu betreiben. Denn
der große Lenker offenbart sich in der Art und Wei-
se, wie er seinen Schreibtisch benutzt. Ob er dort ge-
ordnet die Papiere stapelt oder ob ein sogenanntes
kreatives Chaos herrscht. Ob Nippes darauf zu fin-
den ist, der irgendwie inspirieren soll oder eher Fa-
milienfotos.
Wozu man so einen großen Tisch aber eigentlich
braucht, ist nicht leicht auszumachen, schließlich
kann man immer nur gleichzeitig ein Dokument aus-
füllen, ein Blatt beschreiben, ein Telefongespräch
führen, einen Vertrag unterschreiben. Im Endeffekt
bestehen Schreibtische vor allem aus dem Zeug, das
unmotiviert darauf herumliegt und -steht. Schlimms-
tenfalls aus Haufen nicht erledigter Arbeit.
Der Schreibtisch als Altar der Macht ist heute
nicht mehr so gefragt. Derzeit möchte man nicht so

gerne als Hierarchien-Anbeter dastehen, sondern
als Teamplayer. Demnach sollte man eher die Zeit
am Konferenztisch verbringen. Außerdem sollte
man heute flexibel sein. Ständig unterwegs im ei-
genen Netzwerk. Da braucht man höchstens ein-
mal einen kleinen Schreibtisch, an dem man sich
hin und wieder mal ausruhen kann – wenn über-
haupt. Wir leben ja in einer Arbeitswelt, die sich
ständig wandelt und neu erfindet. Wer will da noch
einen Tisch haben, der immer der gleiche ist? Fol-
gerichtig gibt es auch immer weniger Schreibtische
in der Arbeitswelt. Das Chef-Office weicht dem
Flex-Office.
Besonders praktisch ist es natürlich, wenn Zu-
kunftsfähigkeit mit Sparpotenzialen einhergeht.
Wenn Büroflächen neu verplant werden, dann wird
immer öfter der Ballast der Arbeitnehmerkultur ab-
geworfen und statt des persönlichen Schreibtisches
der geteilte Arbeitsplatz eingeführt. Die Arbeitneh-
mer gehen morgens nicht an ihren angestammten
Platz, sondern setzen sich dort hin, wo sie wollen.
Beziehungsweise, wo noch Platz ist.
Ich habe gelesen, dass in Berlin schon jeder zehn-
te Büroangestellte keinen eigenen Schreibtisch
mehr hat. Alles was man tagsüber zum Arbeiten
braucht, muss man am Abend wieder abräumen.
Was auch den Vorteil hat, dass man sich im Falle ei-
ner etwaigen Kündigung nicht mit doofen Ritualen
herum ärgern muss. Die Zeit, die einem normaler-
weise gegeben wird, den „Schreibtisch zu räumen“,
kann man dann viel sinnvoller nutzen.

Prüfers Kolumne


Altar der Macht


Der Schreibtisch
hat als
Statussymbol
ausgedient. Das
hat auch seine
praktische Seite,
wenn man gefeuert
wird, findet
Tillmann Prüfer.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des
„Zeit“-Magazins. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

picture alliance/dpa, imago images / Jan Huebner, REUTERS

Illustration: Max Fiedler


VDA


Nationale


Aufgabe


K


eine drei Wochen ist es her,
da düpierte Bernhard Mat-
tes die Autoindustrie. Wäh-
rend er vormittags die Kanzlerin
durch die Hallen der Autoshow IAA
führte, erklärte er nachmittags sei-
nem verdutzten Vorstand, dass er
sein Amt Ende des Jahres niederle-
gen wird. Mattes war offenbar mür-
be von der Kritik an der Messe, den
gezielten Querschüssen aus den ei-
genen Reihen und der Nörgelei
über seine Amtsführung. Spätes-
tens seitdem ist klar, dass die Inte-
ressenvertretung der deutschen Au-
toindustrie schweren Schaden ge-
nommen hat.
Denn während die einst mäch-
tigste Lobby der Republik sich
selbst zu zerlegen droht, überneh-
men andere die Deutungshoheit
über das Auto. Greta Thunberg und
die Fridays-for-Future-Bewegung
bringen Zehntausende auf die Stra-
ße. Zu Recht stellen die Menschen
die Frage, warum die Autoindustrie
von einer zukünftigen Verkehrs-
wende redet, heute aber lieber
schwere Geländewagen verkauft.
Dass die Industrie den Schalter be-
reits massiv auf Elektroantriebe um-
legt, konnte Mattes nicht recht ver-
mitteln. Auch nicht, wie heikel der
Antriebswechsel für die Industrie
noch werden kann, sollten sich die
Stromautos nicht verkaufen. Es
steht viel auf dem Spiel: Die Autoin-
dustrie ist eine der letzten Bran-
chen, in der Deutschland auf Au-
genhöhe mit den Wirtschaftsmäch-
ten China und USA agiert. Sie
sichert nicht nur Jobs und Steuer-
einnamen, sondern ist auch der Ga-
rant, dass dieses Land in Schlüssel-
technologien wie der Künstlichen
Intelligenz Anschluss hält und de-
ren Einsatz mitbestimmt.
So gesehen ist die Mission VDA
fast schon eine nationale Aufgabe.
Mattes’ Nachfolgerin oder Nachfol-
ger muss einen Konsens unter den
verschiedenen Interessen herstellen,
braucht einen guten Draht in die Po-
litik und muss vor allem glaubhaft
die Diskussion um die Zukunft der
Autoindustrie in die Öffentlichkeit
tragen. Viele Namen bieten sich
nicht an. Ex-SPD-Chef Sigmar Ga-
briel wäre ein Kandidat, der alle ge-
nannten Anforderungen erfüllt.

Die Autolobby braucht einen
starken Präsidenten. Sigmar
Gabriel wäre einer, glaubt
Markus Fasse.

Der Autor ist stellvertretender
Resortleiter.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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