Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
ven ÖVP nahestehenden Direktoren Thomas Stei-
ner und Gottfried Haber sowie der Generalrat – das
Kontrollgremium der Nationalbank – unter seinem
Präsidenten Harald Mahrer nicht involviert. Mah-
rer ist Chef der Wirtschaftskammer und enger Ver-
trauter von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Mit seinem
eigenmächtigen Vorgehen verstieß Holzmann ge-
gen das Konsensprinzip der Nationalbank.

Kritik von vielen Seiten
Holzmann löste mit seinen Personalmaßnahmen
einen Sturm der Entrüstung aus. „Das ist eine Ka-
tastrophe“, sagte ein Notenbanker, der bereits seit
mehr als anderthalb Jahrzehnten in den
Diensten der Währungshüter in Wien
steht. „Die Entschuldigung ist zwar
gut. Doch der Ansehensverlust
und die Beschädigung bleiben.“
Die Arbeitnehmervertretung
sieht den neuen Gouverneur
in der Pflicht: „Der Betriebs-
rat fordert vertrauensbilden-
de Maßnahmen“, sagte die
Vorsitzende des Wiener Be-
triebsrats, Birgit Sauerzopf,
dem Handelsblatt. „Die Beleg-
schaft ist verunsichert.“ Für den
1 5. Oktober hat Holzmann eine Be-
legschaftsversammlung angesetzt.
Scharfe Kritik übt auch der frühere Präsi-
dent der österreichischen Notenbank Claus Raidl
an Holzmann. „Er muss zur Kenntnis nehmen,
dass die Oesterreichische Nationalbank keine One-
Man-Show ist“, sagte Raidl, der sein Amt als Chef-
aufseher der Notenbank im vergangenen Jahr auf-
gab, dem Handelsblatt. Holzmann müsse sich ein-
ordnen und Besonnenheit zeigen. „Sein Vorgehen
ist in einer humanen Gesellschaft unmöglich. Ein
Zimmer versiegeln zu lassen ist unmöglich.“ Auch
Nowotny richtete beim Festakt mahnende Worte
an seinen Nachfolger. „Ich kann nur empfehlen,
das Engagement der Mitarbeiter zu schätzen und
zu nutzen“, sagte der 75-jährige Ökonom, der die
Nationalbank elf Jahre geführt hatte.
In den eigenen Reihen wird Holzmann von man-
chen als Fehlbesetzung empfunden: „Er hat nie in
seinem Berufsleben eine große Organisation ge-
führt. Holzmann besitzt nicht die Demut und Zu-
rückhaltung“, sagte ein Notenbanker.
Der frühere Weltbank-Mitarbeiter Holzmann war
vom damaligen Vizekanzler und ehemaligen FPÖ-
Chef Heinz-Christian Strache in der Koalition mit
der ÖVP unter Kurz durchgesetzt worden. Er ist für
sechs Jahre als Gouverneur bestellt. Politische Rü-
ckendeckung von der FPÖ kann er sich unterdessen
nicht erwarten. Die Rechtspopulisten haben bei den
Wahlen eine schwere Wahlschlappe erlitten. Der
neuen Regierung unter Kurz werden sie voraussicht-
lich nicht mehr angehören. Strache hat sich nach
verschiedenen Affären aus der FPÖ zurückgezogen.
Holzmann steht vier Wochen nach Amtsantritt
nun vor einem Scherbenhaufen. Sein vierköpfiges Di-
rektorium zur Führung der Notenbank hat er durch

seine eigenmächtigen Personalmaßnahmen irritiert.
„Jeder, der in eine neue Position kommt, muss sein
Umfeld erst einmal kennen lernen. Jeder Schritt
muss im Direktorium im Konsens erzielt werden.
Holzmann ist nur der Sprecher“, sagt der frühere
Präsident Raidl. „Die Oesterreichische Nationalbank
ist ein Kollegialorgan. Man braucht einen Konsens.“
Formell besitzt der Gouverneur ein sogenanntes
Dirimierungsrecht – das heißt, im vierköpfigen Di-
rektorium entscheidet in Pattsituationen seine Stim-
me. Doch dieses Recht wurde von seinem Vorgän-
ger niemals in einer Abstimmung ausgeübt. „Ich ha-
be das Dirimierungsrecht nie gebraucht“, sagte
Nowotny am Dienstagabend und warnte
vor Alleingängen: „Es ist notwendig, al-
len Betroffenen offene und umfas-
sende Informationen zu geben.“
Ex-OeNB-Chefausseher Raidl
rügt auch das forsche Auftre-
ten Holzmanns im EZB-Rat:
„Man kann die EZB kritisie-
ren, aber nicht, wenn ich
zum ersten Mal in der Sitzung
bin.“ Mitte September hatte
die EZB ein umfangreiches Pa-
ket zur Lockerung ihrer Geldpo-
litik beschlossen, das unter ande-
rem eine Zinssenkung und die Neu-
auflage ihres Anleihekaufprogramms
vorsieht. Holzmann gehörte neben Bundes-
bank-Präsident Weidmann und dem niederländi-
schen Notenbankchef Klaas Knot zu den Vertretern,
die die Entscheidung unmittelbar danach öffentlich
kritisierten. Personen, die Holzmann kennen ge-
lernt haben, glauben, dass er geldpolitisch der Linie
der Bundesbank nahesteht. Allerdings hat sich der
70-Jährige in seinem bisherigen Berufsleben nicht
mit Geldpolitik befasst.
„Eine Nationalbank sollte ein Hort der Stabilität
sein“, fordert Raidl. Das sei bisher nicht erreicht
worden. Harald Mahrer, sein Nachfolger als OeNB-
Chefaufseher, werde alles versuchen, wieder Ver-
trauen herzustellen. „Ich bin optimistisch, dass ihm
das gelingt“, sagte Raidl. „Herr Holzmann und Herr
Schock haben verstanden, dass sie nicht wie ein
Elefant im Porzellanladen herumlaufen können.“
Mahrer selbst betonte, wie wichtig ein konstruktives
Miteinander ist. „Das Menschliche und Zwischen-
menschliche ist besonders bedeutend“, sagte er.
„Die Oesterreichische Nationalbank ist eine Fami-
lie.“
Beim Festakt am Dienstag war von familiärer At-
mosphäre wenig zu spüren. Bundesbank-Präsident
Weidmann lobte den früheren österreichischen
Notenbankchef Nowotny, dem er freundschaftlich
verbunden ist. „Deine Erfahrung und deine klare
Orientierung werden dem EZB-Rat fehlen“, sagte
er. Die österreichische Bundeskanzlerin Bierlein
richtete hingegen mahnende Worte an die versam-
melten Notenbanker. „Die Entscheidungen der ehr-
würdigen Institution haben Einfluss auf das Anse-
hen unseres Landes“, sagte die seit Juni im Amt be-
findliche Regierungschefin.

Robert Holzmann:
Seit Anfang
September leitet er
die österreichische
Notenbank und
ist damit auch Mit-
glied im Rat der
Europäischen
Bloomberg Zentralbank (EZB).


Ich hoffe, dass sich die


Notenbank nun mit voller


Energie ihrer Arbeit


widmen kann.


Ewald Nowotny
Ex-Gouverneur der
Oesterreichischen
Nationalbank

Raiffeisen Polbank:
Über ihre frühere
polnische Tochter
hatte die österrei-
chische RBI viele
Franken-Kredite
vergeben.

REUTERS

Franken-Kredite

EU-Gerichtshof


stärkt Bankkunden


in Polen


Hans-Peter Siebenhaar, Elisabeth Atzler
Wien, Frankfurt

I


m Streit über Franken-Kredite bekommen pol-
nische Bankkunden Rückendeckung vom Eu-
ropäischen Gerichtshof (EuGH). Er stellte in ei-
nem Urteil am Donnerstag fest, dass ein Vertrag
nach EU-Recht aufgrund bestimmter missbräuchli-
cher Klauseln unwirksam werden kann. Das War-
schauer Bezirksgericht hatte 2018 in einem laufen-
den Verfahren den EuGH angerufen und um die In-
terpretation einer EU-Richtlinie zu missbräuchli-
chen Klauseln gebeten.
In dem Rechtsstreit geht es um zwei Verbrau-
cher, die 2008 einen Kredit bei der österrei-
chischen Raiffeisenbank Bank International (RBI)
aufgenommen hatten. Das Darlehen wurde zwar in
polnischen Zloty vergeben, ist aber an den Schwei-
zer Franken gebunden. Der Grund: Die Zinsen in
Franken waren deutlich niedriger. Doch im Zuge
der Finanzkrise wurde die Franken-Bindung zum
Problem, weil der Zloty gegenüber der Schweizer
Währung an Wert verlor. Die Kredite wurden so un-
erwartet teuer für die Darlehensnehmer.
Die Bedeutung möglicher Änderungen bei Fran-
ken-Krediten ist enorm für die polnischen Banken.
Ihnen drohen hohe Belastungen. Der polnische
Bankenverband ZBP rechnet, dass sich die Kosten
für alle betroffenen Banken auf insgesamt knapp 14
Milliarden Euro belaufen, wenn sich alle Kläger vor
Gericht durchsetzen. Schätzungen zufolge sind
mehr als 11 000 Klagen von Kreditnehmern anhän-
gig. Was genau mit diesen Verträgen passiert, er-
gibt sich aus dem EuGH-Urteil allerdings nicht.
Aus Sicht der RBI verlangen die Luxemburger
Richter immerhin nicht, dass sämtliche Franken-
Kredite in Polen zwangsweise in Zloty umgestellt
werden müssen. „Damit ist uns eine Sorge genom-
men. Denn es werden nicht pauschal alle Kredite
in Schweizer Franken in Polen zur Disposition ge-
stellt. Das ist unsere Lesart“, sagte Gunter Deuber,
Osteuropa-Spezialist der RBI, dem Handelsblatt.
Der EuGH ermögliche nun den Abschluss eines
neuen Kreditvertrags in Zloty oder eine Änderung
des bestehenden Franken-Kredits.
Der EuGH hat zudem entschieden, dass als miss-
bräuchlich festgestellte Kreditklauseln nicht durch
allgemeine Bestimmungen im polnischen Recht er-
setzt werden können. Im konkreten Fall muss nun
das Warschauer Gericht urteilen, wie mit den Ver-
trägen genau zu verfahren ist. Zudem gilt die
EuGH-Entscheidung als komplex. „Sie ist sehr de-
tailliert, und es ist daher schwierig, zum jetzigen
Zeitpunkt alle Auswirkungen abzuschätzen“, sagte
eine RBI-Sprecherin in Wien. Die RBI-Aktie sank
um 2,5 Prozent auf 19,70 Euro.
RBI hat nach eigenen Angaben rund zwei Milliar-
den Euro an Franken-Krediten in Polen vergeben.
Von weiteren Gerichtsurteilen zu Franken-Krediten
dürfte auch die Commerzbank-Tochter M-Bank be-
troffen sein. Sie hat Franken-Kredite in Höhe von
umgerechnet 3,4 Milliarden Euro ausgereicht. Die
M-Bank teilte auf Anfrage mit: „Wir erwarten nicht,
dass wir als Reaktion auf das EuGH-Urteil dringend
die Risikovorsorge erhöhen oder das Kreditportfo-
lio neu bewerten müssten.“ Das Urteil betreffe ei-
nen bestimmten Fall und eine bestimmte Bank, es
habe keinen direkten Effekt auf die M-Bank.
Im Zuge des Konzernumbaus will die Commerz-
bank die M-Bank verkaufen. Doch das Portfolio an
Immobilienkrediten darf die Commerzbank dann
nicht losschlagen – zumindest, wenn es nach dem
Willen der polnischen Finanzaufsicht KNF geht, be-
richtete Reuters. RBI hat die Raiffeisen Bank Polska
(Polbank) an die französische BNP Paribas veräu-
ßert. Ihr Portfolio an Fremdwährungskrediten
mussten die Österreicher aber nach einer Auflage
der polnischen Behörden behalten.

Finanzen & Börsen


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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