Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Astrid Dörner, Matthias Streit
New York, Erfurt

D

er Deal sollte WeWorks
Vormarsch im New
Yorker Markt für Bü-
roimmobilien zemen-
tieren. Das Start-up hat
gut ein Drittel eines Wolkenkratzers
an Manhattans nobler Madison Ave-
nue angemietet, wie der Immobilien-
verwalter William Kaufman Organiza-
tion am Freitag mitteilte. Fast 34 000
Quadratmeter auf zwölf Stockwer-
ken. Für William Kaufman ist es ein
Erfolg. Der derzeitige Mieter zieht
erst im kommenden Jahr aus. Typi-
scherweise bleiben so große Flächen
oft Monate leer stehen, bis ein pas-
sender Nachmieter gefunden ist.
Doch Feierstimmung will nicht
recht aufkommen, denn die Verkün-
dung des Deals kommt zur Unzeit.
Erst wenige Tage zuvor musste We-
Work-Mitgründer und Vorstandschef
Adam Neumann gehen. Am Montag
zog WeWork den Antrag zum geplan-
ten Börsengang zurück. Seither
herrscht Krisenstimmung in dem jun-
gen Unternehmen, das noch Anfang
des Jahres mit 47 Milliarden Dollar
bewertet wurde.
Die neue Führung hat eine Priori-
tät: die Finanzen des hochdefizitären
Unternehmens zu stabilisieren und
neue Geldspritzen von Investoren
und Banken zu sichern. Die Lage bei
WeWork wird von den großen Immo-
bilienvermietern und Projektentwick-
lern genau verfolgt, in New York und
London genauso wie in Deutschland.
„Natürlich sind einige Vermieter
nach den vielen negativen Schlagzei-
len rund um WeWork ziemlich ver-
unsichert“, sagt Ruth Colp-Haber
vom New Yorker Broker Wharton
Property Advisor. „Im New Yorker
Markt für Büroimmobilien ist die
Nervosität gerade ziemlich groß.“

WeWork bietet Flexibilität
Das Geschäftsmodell ist simpel, aber
riskant: WeWork und andere Cowor-
king-Anbieter mieten Büroflächen
langfristig an, lassen sie modern ein-
richten und vermieten sie kurzfristig
weiter. Einzelpersonen an sogenann-
ten Hotdesks können binnen Monats-
frist kündigen. Unternehmen, die
ganze Büroräume anmieten, haben
teils längere Kündigungsfristen. Doch
auch sie bleiben flexibler als bei einer
klassischen langfristigen Anmietung.
Die Coworking-Anbieter verdienen,
indem sie eine höhere Miete von ih-
ren Kunden verlangen, als sie selbst
an den Immobilieneigentümer zah-
len. Doch wenn die Mieteinnahmen
zum Beispiel in einer Krise einbre-
chen, kann das zu finanziellen
Schwierigkeiten führen.
In New York und London ist
WeWork zum größten Einzelmieter
von Büroflächen aufgestiegen.
670 000 Quadratmeter hat das Un-
ternehmen, das sich kürzlich in „The
We Company“ umbenannte, in New
York angemietet. In London sind es
laut Branchenschätzungen 350 000
Quadratmeter. Insgesamt macht das
jedoch nur einen Marktanteil von ei-
nem Prozent aus. Dennoch ist der

Coworking-Anbieter ein wichtiger
Treiber für den Markt.
In New York ist in den vergange-
nen Jahren viel neue Fläche entstan-
den, zum einem durch das neue
World Trade Center, zum anderen
durch das Viertel Hudson Yards, das
erst im März im Westen Manhattans
eröffnet wurde und Unternehmen
wie Boston Consulting Group und
das Private-Equity-Haus KKR aus
dem beliebten Büroviertel Midtown
weglocken konnte.
Dan Alpert, der an der Cornell Uni-
versity lehrt und die Investmentbank
Westwood Capital leitet, hat errech-
net, dass der New Yorker Büromarkt
ohne WeWork in den vergangenen
zwei Jahren geschrumpft wäre. „Das
riskante Geschäftsmodell gefährdet
damit nicht nur die Vermieter, die di-
rekt mit WeWork zusammenarbeiten,
sondern auch die, die dem indirekt
ausgesetzt sind“, so Alpert.
In London war WeWork in den ver-
gangenen Jahren ein gern gesehener
Mieter für große Flächen. Schließlich
hat der immer wieder verschobene
Brexit viele andere Mieter vergrault.
Doch nun haben die Ratingagentu-
ren Standard &Poor’s Global Ratings
und Fitch die Bonität des Unterneh-
mens gesenkt. Fitch stutze in der
Nacht zum Mittwoch die Kreditwür-
digkeit gleich um zwei Stufen auf
„CCC+“ mit einem negativen Ausblick
herab. Das bedeutet, dass die Analys-
ten einen Kreditausfall für wahr-
scheinlich halten. Ohne einen Bör-
sengang und eine damit verbundene
Aufnahme neuer Schulden „verfügt
WeWork nicht über ausreichende Fi-
nanzmittel, um seinen Wachstums-
plan zu erfüllen“, erklärte Fitch. Zu-

dem fürchten die Analysten, dass
sich Großkunden von WeWork ab-
wenden könnten.
Vorsichtiger werden laut Ben Bar-
tels vom Berliner Büro von Colliers
International auch Projektentwickler.
Sie hielten sich zurück, große Flä-
chen an WeWork & Co. zu vermieten.
Das Start-up hatte ursprünglich
vorgesehen, durch den Börsengang
drei Milliarden Dollar einzusammeln:
Das hätte den Weg für frische Kredite
in Höhe von sechs Milliarden Dollar
freigemacht. Nach dem abgesagten
Börsengang sucht das Unternehmen
nun neue Finanzierungsmöglichkei-
ten. Im Gespräch ist eine Finanzsprit-
ze des Großinvestors Softbank, der
fast ein Drittel der Anteile hält. Auch
könnten Banken bereit sein, über
Kredite zu verhandeln.
Die Zeit drängt. „We hat in diesem
Jahr 2,36 Milliarden Dollar an Cash
verbraucht“, sagt Dan Morgan, Port-
foliomanager des Vermögensverwal-
ters Synovus. Bei der Geschwindig-
keit könnte dem Unternehmen im
kommenden Frühjahr das Geld aus-
gehen. Ende Juni hatte WeWork noch
Cash-Reserven von 2,5 Milliarden
Dollar, wie aus dem nun zurückgezo-
genen Börsenprospekt hervorgeht.
David Erickson, Professor der
Wharton Business School, hält es gar
für wahrscheinlich, dass sich We-
Works größte Vermieter, darunter
Beacon Capital Partners, Nuveen
Real Estate und Moinian Group, an
dem Start-up beteiligten, um es zu
stabilisieren. Schließlich hätten die
Immobilienfirmen selbst Kredite bei
Finanzinstituten aufgenommen, um
Gebäude zu übernehmen, die sie an
WeWork vermietet haben.

Das Start-up ist so strukturiert,
dass große Mietverträge in separaten
Einheiten, sogenannten Special Pur-
pose Vehicles, geführt werden. Sollte
eines von diesen die Miete für einen
Standort nicht bezahlen, bringt das
noch nicht das gesamte Unterneh-
men in Schwierigkeiten.
Auch in Deutschland verfolgt man
die Situation genau. „Die ganze Dis-
kussion um WeWork bringt natürlich
Unruhe in den Markt und dämpft die
Stimmung. Bislang ging es für alle Be-
treiber ja nur bergauf “, sagt Helge
Scheunemann, der die Analyseabtei-
lung des Immobiliendienstleisters
JLL in Deutschland leitet.

Coworking boomt
Seit Jahren nehmen auch in Deutsch-
land die Anmietungen rasant zu. In
den vergangenen Jahren sind die er-
öffneten Flächen jährlich um rund
ein Drittel gewachsen, wie aus Daten
von JLL hervorgeht. In den sieben
größten Städten Deutschlands sind
mittlerweile mehr als eine Million
Quadratmeter von Betreibern flexib-
ler Büroflächen angemietet. Den-
noch: Der Anteil am Büromarkt ist
noch gering. In den Top-7-Städten
liegt er bei einem Prozent.
In Deutschland seien die Anbieter
weiter „sehr expansionsfreudig“,
heißt es von JLL. Branchenkenner
gehen davon aus, dass nun Konkur-
renten von WeWork bessere Chan-
cen haben werden, Marktanteile zu
gewinnen. WeWork will zwar weiter
expandieren, jedoch nicht mehr so
schnell wie ursprünglich geplant,
heißt es bei dem Unternehmen. Mit
Knotel aus den USA und der Instant
Group aus Großbritannien wollen
seit diesem Jahr zwei neue Firmen
mit den Platzhirschen Design Office,
WeWork, Spaces und Rent24 wettei-
fern. Knotel hat gerade frisches Kapi-
tal bei Investoren eingesammelt. Der
größte Coworking-Betreiber in
Deutschland ist Design Offices. We-
Work liegt hinter Regus auf dem drit-
ten Rang.

> Kommentar Seite 28

Bürovermieter


WeWorks langer Schatten


Die Probleme des Coworking-Anbieters könnten einen Dominoeffekt im


Büromarkt auslösen, warnen Experten. Vermieter sind alarmiert.


WeWork-Büro in New
York: Das Start-up ist
der größte Einzel -
mieter in der Stadt.

HARUKA SAKAGUCHI/The New York Ti

Im New Yorker


Markt für


Büro -


immobilien


ist die


Nervosität


ziemlich


groß.


Ruth Colp-Haber
Wharton Property
Advisor

Immobilien
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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