Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Anne Wiktorin Düsseldorf

F

ür Eigentümer von Ge-
schäftshäusern war die
Welt vor zehn Jahren
noch in Ordnung. Wer in
einer der Top-Einkaufs-
straßen zwischen Kiel und Kempten
eine Ladenfläche besaß, musste sich
keine Gedanken über Leerstand, sin-
kende Mieten oder hohe Investitio-
nen machen. Das hat sich gründlich
geändert. „Damals galten Einzelhan-
delsimmobilien als immer vermiet-
bar, das ist jetzt nicht mehr so“, sagt
Dirk Wichner, der beim internationa-
len Immobilienberatungshaus JLL
das deutschlandweite Geschäft mit
Einzelhandelsvermietungen leitet.
„In keinem Segment des deutschen
Immobilienmarkts verändern sich die
Strukturen so schnell wie im Einzel-
handel“, sagt Christoph Scharf, der
beim Wettbewerber BNP Paribas Real
Estate (BNPRE) diesen Bereich leitet.
Wesentlicher Treiber sei der Online-
handel, der seine Marktanteile Jahr
für Jahr weiter ausbaue. Laut Erhe-
bungen des Handelsverbands
Deutschland (HDE) werden 2019 fast
elf Prozent des Einzelhandelsumsat-
zes in Höhe von insgesamt 537 Milliar-
den Euro mit Käufen via Internet ge-
macht. In den für Ladenvermieter be-
sonders wichtigen Branchen – allen
voran den Anbietern von Mode und
Accessoires – sind die Anteile der On-
lineumsätze deutlich höher: Bei Elek-
tronikhändlern machen sie schon
knapp ein Drittel des Geschäfts aus,
im Fashion-Bereich liegt ihr Anteil bei
27 Prozent – Tendenz steigend.
JLL-Experte Wichner sieht vor al-
lem den Textileinzelhandel als Verlie-
rer der vergangenen Jahre. Die Aus-
gaben für Mode seien rückläufig, er-
läutert er, und dies sei auch eine
Folge des veränderten Zeitgeistes:
„Viele möchten keine vollen Schrän-
ke mehr – und müssen sich auch kei-
ne spezielle Business-Kleidung mehr
anschaffen.“ Zudem gewinnen beson-
ders unter jungen Leuten Themen
wie Nachhaltigkeit oder das Teilen
von Produkten an Bedeutung, er-
gänzt BNPRE-Experte Scharf. Online-
händler Zalando hat darauf bereits
reagiert: Über die eigens entwickelte
App Wardrobe können Kunden Ge-

tragenes Zalando verkaufen – erhal-
ten dafür allerdings kein Bargeld,
sondern Einkaufsgutscheine.
„Was der Buchhandel vor Jahren
durchgemacht hat, das sehen wir
jetzt beim Textileinzelhandel“, sagt
Wichner. Übertrage man die Erfah-
rungen auf den aktuellen Umbruch,
so könnten bis zu 25 Prozent der
heute von Fashion-Händlern genutz-
ten Ladenflächen demnächst neue
Mieter brauchen, schätzt er.
Wie tief der Umbruch geht, zeigt
die Statistik: Nur noch 24 Prozent der
in deutschen Städten neu vermiete-

ten Einzelhandelsfläche entfielen im
ersten Halbjahr 2019 auf Textilshops


  • in mittelgroßen Städten sogar nur
    noch 14 Prozent (siehe Grafik). 2014
    hatte deren Anteil deutschlandweit
    noch bei mehr als 30 Prozent gele-
    gen. Aufsteiger sind Gastronomen
    und Supermärkte: Sie werden als
    Mieter und als Kunden der Makler
    immer wichtiger.
    Für viele Eigentümer von Ge-
    schäftshäusern macht sich dieser
    Wandel bereits finanziell bemerkbar.
    „Bei den Mieten sind die Auswirkun-
    gen deutlich“, sagt JLL-Berater Wich-


ner. Laut Analyse von BNPRE sanken
2018 die Mieten für Top-Flächen in 24
von 64 deutschen Städten, darunter
auch in Berlin und Hamburg. Die
Rückgänge bewegten sich zwischen
zwei und elf Prozent. Im Durchschnitt
aller analysierten Städte gaben die
Spitzenmieten im Vergleich zum Vor-
jahr um knapp zwei Prozent nach.

Miete je nach Umsatz
Mindestens so gravierend wie die
Entwicklung der Mieten sind nach
übereinstimmender Ansicht der Ex-
perten die ausgehandelten Vertrags-
konditionen. Immer öfter nämlich
bringen Mieter eine an ihren Umsatz
gekoppelte Miete ins Spiel – insbeson-
dere an Standorten, wo Händler be-
sonders unter Druck stehen. Vermie-
ter würden somit einen Teil des Ge-
schäftsrisikos mittragen – eine
Konstellation, mit der sich viele
schwertun, weiß Christoph Scharf.
Meist werde daher ein Kompro-
miss geschlossen: Vereinbart werde
zwar eine umsatzabhängige Miete –
meist zwischen acht und zwölf Pro-
zent des Umsatzes. Zusätzlich werde
aber eine monatlich zu zahlende
Mindestmiete festgelegt. Am Ende ei-
nes vereinbarten Zeitraums werde
abgerechnet: Liegt die Umsatzmiete
höher als die Mindestmiete, zahlt der
Händler die Differenz nach. „Verträge
ohne Mindestmiete sind eher selten“,
sagt Scharf, und sie funktionierten
auch nur bei sehr großen Mietern.
Denn in diesem Fall müssten Umsät-
ze durch Wirtschaftsprüfer testiert
werden, ein administrativer Auf-
wand, den kleinere Händler nicht
leisten könnten.
Noch ist der Konsolidierungspro-
zess im deutschen Einzelhandel nicht
abgeschlossen, sind die Experten
überzeugt. Entsprechend flexibel
müssten Ladenvermieter reagieren:
Sie könnten ihre Flächen restruktu-
rieren, um sie für neue Nutzer inte-
ressant zu machen, frei werdende
Obergeschosse in Büros, Hotels oder
sogar Wohnungen umwandeln, Ver-
träge und Vertragslaufzeiten den Be-
dürfnissen ihrer Mieter anpassen,
sagt JLL-Manager Wichner: „Ein No-
Brainer jedenfalls ist die Vermietung
von Einzelhandelsflächen schon lan-
ge nicht mehr.“

Einzelhandelsflächen


Herausforderung


für Vermieter


E-Commerce, Sharing-Economy und der Trend zu


nachhaltigen Produkten führen zu Umwälzungen im


Einzelhandel. Betroffen sind auch Immobilieneigentümer



  • sie müssen mit sinkenden Erträgen rechnen.


Wandel im Handel
Anteil der Top-Branchen an Vermietungen
und Neueröffnungen in Prozent*

Entwicklung der Branchenanteile an den Ver-
mietungen und Neueröffnungen im 1. Halbjahr

HANDELSBLATT *1. Halbjahr 2019 • Quelle: BNP Paribas Real Estate

Deutschland A-Städte B-Städte

(^2524)
39
(^2423)
14
(^1110)
31
29
24
17 15
19
25
Gastronomie Textil Lebensmittel
Textil Gastronomie
2014–2018 1. Hj. 2018 1. Hj. 2019
Hohe Straße in Köln:In
vielen deutschen Städten
sinken die Ladenmieten.
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Spezial Expo Real
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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