Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Die besten deutschen Unternehmen
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
51

Christian Rickens Hamburg

A

n einem sonnigen Septemberdiens-
tag hat die Jungheinrich AG in ihre
Firmenzentrale geladen. Ein Gebäu-
de, das mit seinen lichten Glaswän-
den und weißen Kunststoffpanelen
auch in Bangalore oder San José stehen könnte
statt in Hamburg-Wandsbek. Zu feiern gibt es einen
Stabwechsel: Der langjährige Vorstandschef Hans-
Georg Frey übergibt an den Nachfolger Lars Brzos-
ka, der den CEO-Posten zusätzlich zu seinem bishe-
rigen Amt als Technikvorstand übernimmt.
„Jungheinrich vergaß nicht die Heimat, als das
Outsourcing modern wurde“, lobt Festredner Olaf
Scholz. Nach der Ansprache des Vizekanzlers soll
eigentlich Kent Nagano auftreten, doch der Elbphil-
harmonie-Dirigent verspätet sich. Das angekündig-
te Quintett spielt seinen Brahms ohne musikalische
Leitung. Erst bei den letzten Klängen betritt Naga-
no den Saal und nimmt wenig später den obligato-
rischen Blumenstrauß in Empfang.
Dass der Stargast zu spät zur Firmenfeier er-
scheint, klingt zunächst nach einer kleinen Kalami-
tät. Aber auf den zweiten Blick passt die Episode
ziemlich gut zu der Entwicklung, die Jungheinrich
in den vergangenen zehn Jahren genommen hat:
Das Ensemble kann jetzt auch ohne Dirigenten
spielen. Den Wirtschaftsboom der vergangenen
zehn Jahre hat die familienkontrollierte Aktienge-
sellschaft für einen radikalen Umbau ihres Manage-
mentteams genutzt. Oberstes Ziel: mehr internes
Unternehmertum, bessere Führungskultur.
Die Zahlen sprechen für den Erfolg dieser Strate-
gie. Der Umsatz des Spezialisten für Gabelstapler
und Lagersysteme hat sich von Anfang 2009 bis
2019 mehr als verdoppelt, der Nettogewinn stieg
um 100 Prozent. Über 8 000 neue Arbeitsplätze
wurden neu geschaffen, davon die Hälfte in
Deutschland. „Die Entwicklung der Jungheinrich
AG in den vergangenen zehn Jahren zeigt beispiel-
haft, was die erfolgreichsten deutschen Unterneh-
men ausmacht“, sagt Ralf Moldenhauer, Senior
Partner bei der Unternehmensberatung Boston
Consulting Group (BCG). In einer Studie haben Mol-
denhauer und sein vierköpfiges Team aus 153 bör-
sennotierten deutschen Unternehmen mit mehr als
500 Millionen Euro Umsatz jene zehn herausgefil-
tert, die sich in den Geschäftsjahren 2009 bis ein-
schließlich 2018 am besten entwickelt haben.
Es ist Deutschlands unternehmerische Elite, ge-
ordnet nach strengen und nachvollziehbaren Krite-
rien. Zu den Gewinnern zählen Firmennamen, die
nicht jedem sofort in den Sinn kommen würden.
So steht auf dem ersten Platz die Siltronic AG, die
Siliziumplatten für die Halbleiterbranche herstellt.
Die Silbermedaille erringt Infineon. Der Konzern
arbeitet ebenfalls in der Halbleiterbranche und
schafft es als einziger Dax-Wert unter die Top Ten.
Auf den Rängen danach folgen Pharma- und Labor-
zulieferer Sartorius sowie Jungheinrich (siehe Ta-
belle auf S. 52).

Zwei Kriterien entscheiden. Zum einen die Ver-
besserung der Marge im operativen, um Sonder-
einflüsse bereinigten Geschäft (Ebitda) zwischen
2009 und 2018. Zum anderen der Total Sharehol-
der Return im selben Zeitraum, also die absolute
Wertsteigerung, die Anleger mit der Aktie des Un-
ternehmens erzielen konnten. Der Total Sharehol-
der Return setzt sich zusammen aus der Kursstei-
gerung der Aktie und den Dividendenzahlungen.
„Die Finanzkrise und die darauffolgende Rezession
2009 war eine Art gemeinsamer Nullpunkt für alle
Unternehmen“, sagt Moldenhauer, der sich vor al-
lem als Restrukturierungsexperte einen Namen ge-
macht hat. „Unsere Studie zeigt, wie gut die Unter-
nehmen die Krise bewältigt und den anschließen-
den Aufschwung genutzt haben.“
Dabei liefere die Entwicklung der Ebitda-Marge
eher eine rückwärtsgewandte Betrachtung (Mol-
denhauer: „Wie gut hat sich das Geschäft entwi-
ckelt?“). Der Total Shareholder Return weise eher
nach vorn und zeige, welchen Unternehmen am
Kapitalmarkt auch in Zukunft profitables Wachs-
tum zugetraut wird. Unternehmen aus der Finanz-
und Immobilienbranche sind wegen der fehlenden
Vergleichbarkeit ihrer Kennzahlen nicht mit in das
Ranking eingeflossen.

Bei keinem der zehn bestplatzierten Unterneh-
men ist BCG nach Handelsblatt-Recherchen derzeit
als Berater aktiv. Ob die Aktien der zehn Unterneh-
men auch zu den heutigen Kursen noch einen Kauf
wert sind, analysieren wir ab Seite 55.
Wie haben die besten deutschen Firmen das
Comeback nach der Finanzkrise geschafft? Was
kann man aus ihrem Erfolg lernen? Kurz gesagt: Es
kommt auf eine klare Strategie an, die zum jeweili-
gen Unternehmen passt – und vor allem auf deren
entschlossene Umsetzung auch außerhalb einer
unmittelbaren Krisensituation. Oder wie es Alexan-
der Sixt formuliert, Vorstandsmitglied der gleich-
namigen, ebenfalls in den Top Ten platzierten Au-
tovermietung: „Die Tat zählt.“

1


Erfolgsfaktor
Kulturwandel
Am Tag nach der Übergabefeier sitzt Hans-Georg
Frey in seinem bereits nahezu leer geräumten Vor-
standsbüro und erinnert sich an die Jahre des Kul-
turwandels, der sich für manche Betroffenen eher
wie eine Kulturrevolution angefühlt haben mag.
Auch an seinem letzten Arbeitstag als Vorstands-
chef trägt Frey die Anstecknadel mit dem Junghein-
rich-Logo am Revers und den Schlips in den Fir-
menfarben Gelb und Grau. Künftig wird er den
Aufsichtsrat von Jungheinrich führen.
Den Wirtschaftsboom der vergangenen zehn Jah-
re hat Frey für einen radikalen Umbau des Manage-
mentteams genutzt. Von rund 120 Führungskräften
wurden bei Jungheinrich etwa 60 ersetzt. Einige
konnten auf niedrigeren Ebenen weiterarbeiten,
doch die überwiegende Zahl musste das Unterneh-
men verlassen. Auch die Verträge von mehreren
Vorständen wurden nicht verlängert. „Unser
Hauptkriterium waren die unternehmerischen
Qualitäten“, sagt Frey, „die Bereitschaft, für den ei-
genen Bereich wirklich Verantwortung zu überneh-
men und bei Fehlschlägen die Schuld nicht auf an-
dere zu schieben.“ Bei einigen habe es auch am
Führungsstil gehapert, sagt Frey, sie seien gegen-
über Mitarbeitern zu forsch und verletzend aufge-
treten.
Der Kulturwandel bei Jungheinrich war kein
Selbstzweck, kein Kuschelprojekt, wie es sich viele
andere Unternehmen in Boomzeiten leisten. Er
diente einem eng umrissenen Zweck: Das Unter-
nehmen sollte durch mehr internes Unternehmer-
tum schlanker und schneller werden und so den
Größennachteil gegenüber den deutlich umsatz-
stärkeren Wettbewerbern Kion (früher Linde) und
Toyota ausgleichen.
Die BCG-Studie lässt sich auch als ein Loblied auf
solche unternehmerischen Taten lesen – in der Kri-
se, vor allem aber im darauffolgenden Boom. „Ge-
rade im Aufschwung ist die Versuchung groß, ei-
nen Gang zurückzuschalten und einfach die ent-
spannte Fahrt zu genießen“, sagt BCG-Experte
Moldenhauer. „Doch die wirklich erfolgreichen Un-
ternehmen sind diejenigen, die die Jahre des Auf-
schwungs genutzt haben, um konsequent ihr Ge-
schäft voranzubringen.“
Klingt eigentlich selbstverständlich, ist es aber
nicht. Deutschland hat zwischen Ende 2009 und

Die wirklich erfolg reichen Unterneh men


haben die Jahre des Auf schwungs


genutzt, um konsequent ihr Geschäft


voranzu bringen.


Ralf Moldenhauer
Senior Partner
BCG

Wachstumsstars


made in Germany


Es geht die längste Aufschwungphase seit dem


Wirtschaftswunder zu Ende. Welche Unternehmen


haben den Dauerboom am besten genutzt, was


sind ihre Erfolgsstrategien – und welche Aktien


soll man in unsicheren Börsenzeiten kaufen? Eine


Exklusivstudie.


Satorius, PantherMedia / Wolfnagn Rieger [M]

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