Handelsblatt - 04.10.2019

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pharmazeutische und insbesondere biopharma-
zeutische Industrie. „Einfach gesagt: Krebsmedika-
mente werden auch in einer Rezession benötigt“,
so Kreuzburg. Der Bereich wachse langfristig und
sei zugleich ein stabiles Geschäft, weil es sich „zu
einem erheblichen Teil um Verbrauchsmaterialien
und damit Wiederholgeschäft“ handele.
Mit einer größeren Akquisition 2007 und einer
ganzen Reihe von kleineren Zukäufen in den Folge-
jahren hat Kreuzburg diese Strategie vorangetrie-
ben. Bei der Auswahl der Zielunternehmen folgt er
einer klaren Linie: Zugekauft werden nicht Kun-
den, Marktanteile oder geografische Präsenz – son-
dern in erster Linie Technologie und Know-how,
um mit dem bestehenden Kundenstamm mehr
Umsatz zu machen. Zu den Bestsellern im Sartori-
us-Sortiment zählt heute der Einweg-Bioreaktor, in
dem sich Zellkulturen ohne aufwendige und fehler-
anfällige Reinigung und Desinfektion züchten las-
sen. Dank solcher Produkte hält Kreuzburg an sei-
ner ehrgeizigen Wachstumsprognose fest: „In der
Mischung aus starkem organischen Wachstum und
komplementären Akquisitionen glauben wir, unse-
ren Umsatz auch in Zukunft etwa alle fünf Jahre
verdoppeln zu können.“
Generell lässt es sich nicht ausschließen, dass die
BCG-Studie an einem sogenannten „Survivor Bias“
leidet: Ins Ranking eingeflossen sind nur Unterneh-
men, die es heute noch gibt. Nicht jedoch jene, die
wegen Insolvenz oder als Übernahmeobjekt aus
dem Markt ausgeschieden sind. Theoretisch wäre es
möglich, dass die herausgefilterten Erfolgsfaktoren
wie klarer strategischer Fokus und entschlossene In-
vestitionen in Wachstum zu extremen Ergebnissen
führen: zu außergewöhnlichem unternehmerischen
Erfolg – oder eben Misserfolg. Moldenhauer hält das
jedoch für wenig wahrscheinlich. Seiner Erfahrung
nach scheitern nur wenige Firmen daran, dass sich
eine klar definierte und entschlossen umgesetzte
Strategie als falsch erweist. „Die Väter des Misser-
folgs im Management sind eher Attentismus, Kurz-
fristdenken, häufige Strategieschwenks oder die un-
zureichende operative Umsetzung einer einmal be-
schlossenen Strategie. Unternehmen scheitern nicht
durch zu viel Unternehmergeist – sondern durch zu
wenig“, so Moldenhauer.
Was an der Bestenliste auffällt: Fast alle der Top-
Ten-Unternehmen besitzen einen dominierenden
Aktionär. Für Moldenhauer ist das keine Überra-
schung: „Die erfolgreichen Unternehmen in unse-
rem Ranking verfolgen in der Regel eine langfristi-
ge, auf mehrere Jahre angelegte Strategie. Die lässt
sich leichter durchhalten, wenn sie von einem star-
ken Ankeraktionär eingefordert und vorangetrie-
ben wird.“ Erfolgreiche Unternehmen mit zersplit-
tertem Aktionärskreis seien zudem anfälliger für
Übernahmeangebote.


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Erfolgsfaktor
Gesundschrumpfen

Zu einem Übernahmeobjekt hätte leicht auch das
einzige ostdeutsche Unternehmen im Ranking wer-
den können, die Jenoptik AG in Jena. „Es gab defini-
tiv Momente, in denen man um die Existenz des Un-
ternehmens fürchten musste“, sagt der im Mai 2017
angetretene Vorstandschef Stefan Traeger. Für den
Optik- und Photonikspezialisten sei es teilweise
schwierig gewesen, genug Kapital aus den laufenden
Geschäften bereitzustellen. „Das war nicht nur ein


großes Thema 2008 oder 2009, sondern beschäftig-
te uns auch davor und auch danach noch extrem.“
Die Jenoptik AG ist aus dem DDR-Kombinat Carl
Zeiss Jena hervorgegangen und gehört zu den we-
nigen ehemaligen ostdeutschen Staatskonzernen,
die bis heute überlebt haben. Von 1991 bis 2003
führte der frühere baden-württembergische Minis-
terpräsident Lothar Späth das Unternehmen, seit
1998 ist Jenoptik börsennotiert.
Noch immer reden sie bei Jenoptik respektvoll
vom „Dr. Späth“, wenn es um die Ära des 2016 ver-
storbenen Übervaters geht. Doch in die Hochach-
tung mischt sich längst auch Kritik: „Dr. Späth hat-
te damals viel zusammengekauft, und man war da-
durch losgelöst voneinander, ohne wirkliche
Synergien tätig. Man hatte keine gemeinschaftliche
Strategie“, so Thomas Fritsche, der langgediente
Investor-Relations-Chef von Jenoptik.

Der Befreiungsschlag folgte gerade noch recht-
zeitig vor der Finanzkrise. Jenoptik war 2005 ein
Konzern mit zweieinhalb Milliarden Euro Umsatz,
2007 waren nur noch 500 Millionen Euro Umsatz
übrig. Die Jenoptik trennte sich damals von Spar-
ten wie den Gebäudeausrüstungen für Reinräume,
der Weltraumsparte und der Fotovoltaik. In der
Krise 2008 und 2009 ging es dann noch einmal auf
470 Millionen Euro Umsatz runter. Doch der Ver-
kauf der Sparten, die nicht zum Kerngeschäft ge-
hörten, war die Grundlage für den Erfolg von Jen-
optik ab 2010.
Der promovierte Physiker Traeger, Jahrgang
1967, stammt aus Jena und ist nach einer interna-
tionalen Managementkarriere für den Chefposten
bei Jenoptik in seine Geburtsstadt zurückgekehrt.
Er hat den einstigen Gemischtwarenladen Jenoptik
weiter fokussiert und in drei Sparten aufgeteilt. Das
bisherige Rüstungsgeschäft hat Traeger ausgeglie-
dert und zum Verkauf gestellt.
Als ostdeutsches Unternehmen will Traeger Jen-
optik nicht verstanden wissen, sondern als „globa-
les Unternehmen mit Standort Jena“. Die Stadt bie-
tet in seinen Augen viele Vorteile, „vor allem das
enge Netzwerk für Optik und Photonik, wo man
viele Dinge auch mal in Zusammenarbeit zum Bei-
spiel mit einem Fraunhofer-Institut ausprobieren
und sich gegenseitig befruchten kann“.
Traeger sagt aber auch: „Wir müssen aufpassen,
dass Thüringen ein weltoffenes Land bleibt.“ So
müsse man attraktiv sein für Fachkräfte aus allen
Himmelsrichtungen. „Es gab konkrete Fälle von
Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht zur
Jenoptik kommen wollten aus Angst vor ausländer-
feindlichen Übergriffen.“

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Welche Firma wächst
in der Zukunft?
Bei allen Unternehmen im Ranking muss man die
Frage stellen, inwieweit die Erfolge der Jahre 2009
bis 2018 auch eine günstige Prognose für die Zu-
kunft erlauben. Die BCG-Berater haben im Wesent-
lichen einen Konjunkturzyklus betrachtet: vom
steilen Abschwung Anfang 2009 über die ebenso
rasche Erholung, die dann in die zweitlängste
Wachstumsphase in der Geschichte der Bundesre-
publik mündete.
Nun gehen diese in vielerlei Hinsicht paradiesi-
schen Zeiten für Unternehmen zu Ende. Nach An-
sicht des Handelsblatt Research Institute (HRI)
steckt Deutschland bereits in einer Rezession.
„Ausgehend von der Autoindustrie hat sich die
Schwäche ölfleckartig auf die anderen Industrie-
branchen ausgebreitet“, sagt HRI-Präsident Bert
Rürup. Wie gehen die erfolgreichen Unternehmen
mit dieser Situation um?
„Wir merken den Abschwung, aber wir wissen,
was zu tun ist, auch wenn es richtig schwierig
wird“, sagt der frisch bestellte Jungheinrich-Chef-
kontrolleur Frey. Auch die Sixt SE hat eine ausgear-
beitete Krisenplanung. „Sobald wir die ersten Vor-
boten einer tatsächlichen Rezession sehen, würden
wir entsprechende Maßnahmen umsetzen“, sagt
Alexander Sixt. Dies betreffe „insbesondere die Re-
duzierung der Flotte und so weiter“.
Bei Siltronic hat Vorstandschef von Plotho schon
die ersten Abwehrmaßnahmen eingeleitet: „Bereits
jetzt haben wir die Zahl der Leiharbeiter um die
Hälfte reduziert, schauen im Moment sehr genau,
ob wir frei werdende Stellen in der Stammbeleg-
schaft wieder besetzen. In den USA haben wir Mit-
arbeiter in unbezahlten Urlaub geschickt.“ Momen-
tan sei die kurzfristige Entwicklung sehr schwer
einzuschätzen, vor allem aufgrund des schwinden-
den Verbrauchervertrauens. „Aber wenn ich auf
die nächsten fünf Jahre schaue, bin ich sehr zuver-
sichtlich, dass die Nachfrage nach unseren Produk-
ten weiter steigen wird.“
Noch gelassener angesichts des Abschwungs gibt
sich Sartorius-CEO Kreuzburg: „Wenn ich heute bei
irgendeiner Veranstaltung den konjunkturellen Aus-
führungen des Chefvolkswirts einer Bank lausche,
dann interessiert mich das nur sehr begrenzt.“ Für
sein Geschäft entscheidender seien andere Fragen:
„Wo wächst unser Kernmarkt, in welcher Region, in
welchen Anwendungsfeldern? Welche Technolo-
gien brauchen unsere Kunden? Welche Innovatio-
nen können wir auf den Markt bringen?“
Gegen böse Überraschungen sind auch gut ge-
führte Firmen nicht gefeit. Aber: Das Management
der Top-Ten-Unternehmen hat im Dauerauf-
schwung die Hände nicht in den Schoß gelegt, als
diese Versuchung nahelag. Insofern stehen die
Chancen gut, dass diese Unternehmen auch den
nächsten Abschwung meistern werden. Für lang-
fristig denkende Anleger sind sie daher auf jeden
Fall interessant. Eine genauere Analyse der zehn
Aktien bieten wir auf den nächsten Seiten.

Mitarbeit: Anja Müller, Cornelia Zoglauer

Die besten deutschen Unternehmen
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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Wir merken den Abschwung,


aber wir wissen, was zu tun


ist, auch wenn es richtig


schwierig wird.


Hans-Georg Frey
Aufsichtsratschef Jungheinrich

Jenapotik, Sixt, PantherMedia / Wolfgang Rieger
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