Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Geschickt macht sichSixt die Klimadebatteund
das veränderte Verhalten zum Auto als Besitz- und
Prestigeobjekt zu eigen und kontert mit der Sha-
ring-Philosophie: Anstatt ein Auto ungenutzt in der
Garage stehen zu lassen und dafür Steuern, Versi-
cherung, Reparaturen und Stellplatz zu bezahlen, cherung Reparaturen und Stellplatz zu bezahlen
sei es logischer, Autos zu leihen. Sixt will Carsha-
ring an allen 2 200 Standorten weltweit anbieten,
allein in Deutschland an 500 Orten. Die Krise der
Automobilindustrie dürfte sich für Sixt eher positiv
auswirken, weil Autos immer häufiger geliehen als
gekauft werden – und das gilt längst nicht mehr nur
für die Weiterfahrt nach dem Flug.
Die Wachstumsperspektiven erscheinen immer
noch groß. Während Sixt mehr als 70 Prozent des
europäischen Marktes abdeckt, gibt es in den USA
noch viel zu erschließen. Der Markt hat ein Volu-
men von über 25 Milliarden Dollar, doch Sixt er-
wirtschaftet dort weniger als 500 Millionen Euro –
in Deutschland ist es das Vierfache. Die Schweizer
Großbank UBS lobt die Wachstumsstory. Für das
Bankhaus Lampe zählt Sixt zu den Top-Favoriten
in der gesamten Transport- und Logistikbranche.
Nach dem Übergangsjahr 2019, das durch hohe,
aber wertsteigende Investitionen geprägt sei, wer-
de Sixt wieder Wachstumsraten im zweistelligen
Prozentbereich schaffen.
Die vielen Investitionen haben allerdings ihren
Preis. Hohe Ausgaben für den Wagenpark und der
Aufbau der Digitalplattform setzten zuletzt den
G ewinn unter Druck und trieben die Verschuldung
nach oben. Im laufenden Jahr rechnen Analysten
im Schnitt mit knapp 270 Millionen Euro Netto -
gewinn – nach 426 Millionen Euro im vergangenen
Jahr. Einem Eigenkapital von 1,3 Milliarden Euro
stehen Finanzverbindlichkeiten von knapp vier
Milliarden Euro gegenüber. Beides rechtfertigt
erst einmal keine Kurssprünge mehr. Zumal An -
leger die Aktie mit dem knapp 17-fachen erwarte-
ten Gewinn bezahlen. Ein Schnäppchen ist Sixt
nicht.

Jenoptik: In Zukunftstechnologien
gut aufgestellt
Zu den gefallenen Stars zählt Jenoptik. Die Aktie ist
in den vergangenen sechs Monaten um mehr als
ein Drittel eingebrochen. Zu den Kunden des Opto-
elektronikkonzerns zählen einerseits Unternehmen
aus sehr konjunkturempfindlichen Branchen wie
der Halbleiter-, Automobil- und Zulieferindustrie.
Sie bremsen derzeit das Wachstum und sind haupt-
verantwortlich dafür, dass Jenoptik in diesem Jahr
rund 15 Prozent weniger verdienen wird als 2018.
Andererseits ordern bei den Thüringern auch viele
Unternehmen aus konjunkturresistenteren Zwei-
gen. Dazu zählen Firmen aus der Medizin-, Sicher-
heits- und Wehrtechnik sowie der Luft- und Raum-
fahrtindustrie.

Die wohl größten (Kurs-)Perspektiven schlum-
mern im rasanten Wachstum des Fotonikbereichs,
also der technischen Nutzung von Licht in all sei-
nen Formen: in Smartphones, Autos, Flugzeugen,
der Laserdiagnostik und -therapie sowie der ener-
gieeffizienten Beleuchtung mit LEDs – und OLEDs, gieeffizienten Beleuchtung mit LEDs – und OLEDs
das sind organische Leuchtdioden, wie sie in der
Displaytechnik zum Einsatz kommen. Researchun-
ternehmen wie Marketsandmarkets und Mordor
Intelligence prognostizieren, dass der Markt für Fo-
tonik Jahr für Jahr um gut acht Prozent wachsen
wird. Wer auf den schnellen Gewinn aus ist, dürfte
mit Jenoptik eher schlecht beraten sein, denn die
schwächere Nachfrage aus den vielen konjunktur-
empfindlichen Branchen setzt der Aktie hart zu.
Doch die langfristigen Perspektiven erscheinen un-
verändert gut.

VTG: Amerikanischer Großaktionär
setzt Börsenrückzug durch
Aktien des Schienenlogistikunternehmens VTG gal-
ten lange Zeit als der Börsentraum für Langfristan-
leger, die ihre Nerven schonen wollen. Der Wag-
gonvermieter, einschließlich Reparatur und In-
standhaltung, überzeugt seit Jahren mit stetig
wachsenden Erträgen, Dividenden und Aktienkur-
sen. Es schien die perfekte Langfriststory zu sein.
Leider etwas zu perfekt, denn das Geschäftsmodell
überzeugte den amerikanischen Ankeraktionär, ei-
nen Infrastrukturfonds der amerikanischen Groß-
bank Morgan Stanley, so sehr, dass er VTG kom-
plett aufkaufte. Die Hamburger Gesellschaft zieht
sich von der Börse zurück.
Ein paar Aktien werden zwar noch immer an der
Hamburger Börse gehandelt – und auch nur dort.
Doch seit dem Übernahmeangebot der wenigen
Restbestände für 53 Euro je Aktie ist die Fantasie
raus. Experten raten davon ab, die Aktie auf die-
sem Niveau noch zu erwerben. Erstens, weil die
Perspektiven fehlen. Zweitens, weil bei einem
Komplettrückzug von der Börse kein Kurs mehr ge-
stellt wird und verbliebene Aktionäre der künftigen
Entwicklung recht hilflos ausgeliefert sind.

Axel Springer: Nach dem KKR-
Einstieg lohnt sich der Einstieg nicht
Ebenso wenig wie bei VTG lohnt sich ein Einstieg
bei Axel Springer. Deutschlands größter Zeitungs-
und drittgrößter Zeitschriftenverlag notiert zwar
noch an der Börse. Doch die US-Beteiligungsgesell-
schaft KKR hat ein Übernahmeangebot in Höhe
von 63 Euro je Aktie unterbreitet. So viel kostet ei-
ne Aktie auch aktuell. Ein Kauf lohnt sich also nur
für Anleger, die auf eine noch höhere Offerte spe-
kulieren. Darauf deutet bislang nichts hin. Exper-
ten gehen davon aus, dass KKR bis Anfang 2020 al-
le gesetzlichen Freigaben für eine Übernahme des
Medienkonzerns hat. Ob sich anschließend im au-

ßerbörslichen Handel für die dann verbleibenden ß
frei handelbaren Aktien ein fairer Preis erzielen fr
läässt, ist mehr als fraglich. Wer Axel-Springer-Ak-
tiien weiterhin hält oder sie gar neu kauft, setzt sich
nach einem möglichen Komplettrückzug von der n
Börse höheren Risiken als Chancen aus. B

Compugroup: Marktführer mit
zukunftsträchtigem Geschäftsmodellz
Nur nach oben ging es lange Zeit für Compugroup. N
Doch seit einigen Quartalen ist die Rally abgebro-D
chen. Grund dafür sind verfehlte Gewinnprogno-c
sen und ein gesenkter Jahresausblick. An der s
grundsätzlichen Erfolgsstory, dass der Marktführer g
vom Bedarf nach elektronischen Patientendaten v
und Abrechnungssystemen überproportional pro-u
fitiert, hat sich indes nichts geändert.fi
Als einer der führenden Anbieter von Software
im Gesundheitswesen mit Produkten für rund eine
Million Nutzer in 55 Ländern profitiert Compu-
group von der Einführung elektronischer Informa-
tionssysteme in Arztpraxen, Apotheken und Kran-
kenhäusern. Der Kurseinbruch um ein Viertel in
den vergangenen zehn Wochen hat die Aktie wie-
der auf ein etwas attraktiveres Bewertungsniveau
geführt. Anleger bezahlen das Unternehmen mit
dem 22-fachen erwarteten Jahresnettogewinn. Das
ist in einer Branche mit dem zukunftsträchtigen
Mix aus Software und Gesundheit nicht teuer.
Kursfantasie birgt das Geschäft mit Krankenhäu-
sern, in dem das Unternehmen von Frank Gott-
hardt, dem seit 1992 alle Stammaktien gehören,
bislang nur schwach vertreten ist.
Stabilisierend wirkt der Effekt, dass der Anteil
wiederkehrender Erträge, etwa durch regelmäßige
Softwareupdates, kontinuierlich zunimmt. Da-
durch werden die Erlöse und Gewinne berechen-
barer. Deshalb sollten Gewinnwarnungen wie in
diesem Jahr eher die Ausnahme bleiben.

Grammer: Börsenkrimi ist zu Ende,
Einstieg nicht zu empfehlen
Ein Börsenkrimi entwickelte sich um den Oberpfäl-
zer Automobilzulieferer Grammer. 2016 war bei
dem Spezialisten für die Innenausstattung von Ge-
ländewagen, Lkws, Bussen und Bahnen der Schre-
cken groß, als die in der Branche gefürchtete bos-
nische Familie Hastor Aktienpakete kaufte und
nach der Macht griff. Die Belegschaft fürchtete um
ihre Arbeitsplätze und der Vorstand um die Firma.
Doch zur Rettung eilte ein zweiter Aktionär: der
chinesische Autozulieferer Ningbo Jifeng. Die Chi-
nesen halten inzwischen 84,2 Prozent der Anteile


  • und haben die Bosnier verjagt. Zuvor hatte Ning-
    bo den freien Aktionären ein Übernahmeangebot
    von 60 Euro je Aktie unterbreitet. Wer es annahm,
    machte ein gutes Geschäft, denn so hoch notierte
    die Aktie noch nie – und danach auch nicht mehr.
    Inzwischen kostet eine Aktie knapp über 30 Euro.
    Der Krimi ist zu Ende und die Fantasie raus. Statt-
    dessen hat die Krise der Automobilindustrie Gram-
    mer längst erreicht.
    Angesichts der Mehrheitsverhältnisse erscheint
    die Kursfantasie begrenzt. Es sei denn, der Großin-
    vestor macht die Übernahme komplett und strebt
    den Rückzug Grammers von der Börse an. Dafür
    wäre ein erneutes Übernahmeangebot nötig. Doch
    darauf zu spekulieren erwies sich in der Börsenge-
    schichte selten als kluge Entscheidung.


VTG
Aktienkurs
in Euro

Nettoergebnis
in Mio. Euro

HANDELSBLATT

2009 2019

K. A.

Nettoergebnis 2019: Prognose; Aktienkurs 2019: aktuell; VTG: Seit dem 8.4.2019 nicht mehr an der Frankfurter Börse gehandelt. Noch kann über die Hamburger Börse gehandelt werden. • Quelle: Bloomberg

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Axel Springer
Aktienkurs
in Euro

Nettoergebnis
in Mio. Euro

2009 2019

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Compugroup Medical
Aktienkurs
in Euro

Nettoergebnis
in Mio. Euro

2009 2019

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Grammer
Aktienkurs
in Euro

Nettoergebnis
in Mio. Euro

2009 2019

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Die besten deutschen Unternehmen
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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Wolfgang Rieger

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