Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1

Karriere
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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Business-WGs machen sich den Stress bei der
Wohnungssuche zunutze und werben mit möblier-
ten Zimmern und kurzen Kündigungsfristen. In
der Düsseldorfer Business-WG etwa liegt diese bei
nur bei einem Monat. „Diese Flexibilität ist ein
wichtiges Verkaufsargument“, sagt Hausverwalte-
rin Patricia Dickhaus. Kein Zimmer habe in den
vergangenen Jahren leer gestanden, berichtet sie.
Eine Business-WG scheint nicht nur für Bewohner
eine lohnenswerte Alternative. Für Vermieter kann
es eine Gewinnmaschine sein: Die Bewohner sind
finanzkräftig und haben einen geregelten Tagesab-
lauf, mit ihnen lassen sich höhere Erlöse erzielen
als etwa mit Studenten oder einer Familie.
Ein fertig eingerichtetes Zimmer, schnelle Ein-
und Auszugsmöglichkeiten – das hat auch Finn Bo-
de überzeugt. Der 22 Jahre alte Teamleiter des Fi-
nanzdienstleisters Tecis ist im Mai in die WG4U
eingezogen. Er habe schon mit der Auflösung sei-
ner alten Wohnung genug zu tun gehabt, sagt der
jüngste Bewohner der Düsseldorf WG. „Für die
Business-WG musste ich nur meinen Koffer packen
und konnte einziehen.“ Bett, Schrank, Stuhl und
Tisch waren schon da. Küche einbauen? Trockner
kaufen? Rundfunkbeitrag anmelden? Blieb ihm al-
les erspart. „Der Umzug ist bequem und man
kommt in ein funktionierendes System.“
Doch das hat seinen Preis: Die Bewohner müs-
sen jeden Monat zwischen 660 und 890 Euro Mie-
te zahlen – für zweckmäßig eingerichtete Zwölf- bis
20-Quadratmeter-Zimmer. Mit Flexibilität, Kontakt-
netzen und auch ein wenig Nestwärme lässt sich
für die Vermieter gut Geld verdienen, typischerwei-
se müssen die Bewohner überdurchschnittliche
Mietpreise zahlen. Dafür sind Nebenkosten für
Strom und Internet im Preis enthalten.
Während Bode von den Bequemlichkeiten des
Einzugs erzählt, sitzt er auf der Couch in der WG-
Küche. Aus dem Radio ertönt Popmusik, am Tisch
arbeiten zwei Bewohner mit Kopfhörern in den
Ohren und tippen konzentriert auf ihren Laptops.
Für einige Bewohner ist ihr Büro dort, wo sie den
Computer aufklappen – und das kann inmitten der
gemeinsamen Küche sein. „In einer Business-WG
setzt sich das fort, was wir vom Coworking ken-
nen: der einfache und kreative Austausch, sagt Fa-
bian Hoose, der an der Universität Duisburg-Essen
zur Veränderung der Arbeitswelt forscht. So werde
aus Coworking schnell Co-Living. Doch das muss
nicht nur Vorteile haben: Einige der Düsseldorfer
Bewohner sitzen manchmal auch noch nachts um
2 Uhr über ihren Projekten – in einer Business-WG
ist die Gefahr, sich selbst auszubeuten, größer. Die
Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem wür-
den sich in einer solchen Lebensform zusehends
vermischen, sagt Experte Hoose, „und das kann
sich belastend auf die Arbeitenden auswirken“.
Dennoch: Anke Bernecke-Kaus schätzt an der
WG den abendlichen Austausch mit den Mitbe-
wohnern. Die 33-Jährige leitet beim Industriekon-
zern Linde die Kundenbetreuung in der Vertriebs-
region Mitte/West. Letztens habe sie spontan eine
Stunde lang über Digitalisierung geredet, erzählt
sie. „Es ist spannend mit Menschen zu sprechen,
die unterschiedliche Perspektiven zu einem The-
ma haben.“ Bernecke-Kaus arbeitet mal im Büro in
Düsseldorf, mal in Wiesbaden – einen festen
Rhythmus hat sie nicht. Wenn sie nach einem an-
strengenden Tag in die WG kommt, will sie biswei-
len auch nur eines: abschalten. „Wir diskutieren
hier nicht jeden Abend die Börsenkurse“, sagt sie.
Auch in einer Business-WG muss es nicht immer
nur um Arbeit gehen.


Zwei neue Mitbewohner pro Monat


Die neuen Business-Kontakte beschränken sich
nicht nur auf die Bewohner. In Düsseldorf gibt es
auch mit den WG-Alumni regelmäßige Treffen. Seit
Eröffnung im Herbst 2010 haben fast 300 Berufstä-
tige in der WG4U gelebt. Einer von ihnen: Bela
Seebach, Co-Gründer des Gewürzhersteller-Start-


ups Just Spices. Als er zwischen 2015 und 2017 in
der Unterkunft wohnte, versorgte er seine Mitbe-
wohner jede Woche mit Gewürzpackungen aus
der eigenen Firma. Seebach war eigentlich nicht in
die WG gezogen, um sich mit den anderen Bewoh-
nern über Kümmel und Knoblauchflocken oder
sein Geschäftsmodell auszutauschen. Auch er
schätzte die Flexibilität. Aber: „Rückblickend be-
trachtet war der berufliche Austausch schon sehr
lohnenswert.“ Seebach bekam Denkanstöße für
seine Produkte und auch der Blick von Außenste-
henden habe ihm geholfen. Auch wenn er keinen
Geschäftspartner in der WG gesucht hat, allein die
Gespräche über seine Firma waren für ihn hilf-
reich. Nach 14 Monaten in der WG ist Seebach An-
fang 2017 ausgezogen – „um mein eigenes Zuhause
zu haben“.
Danach streben fast alle Bewohner der Business-
WG. Sie haben zwar eine gemeinsame Bleibe ge-
funden, doch eigentlich sind sie nur auf der Durch-

reise. Im April hat Linde-Mitarbeiterin Bernecke-
Kaus ihr Zimmer in der Riesen-WG bezogen. An
den Auszug denkt sie zwar noch nicht, doch der
komme irgendwann infrage: „Entweder ich ent-
wickle mich beruflich weiter – und dann bin ich
auch offen für einen Job in einer anderen Stadt.“
Oder es trete ein Partner in ihr Leben, mit dem sie
zusammenwohnen möchte. Der ein oder andere
Bewohner hat den auch in der WG selbst gefun-
den. Die bietet offenbar nicht nur Gelegenheit, be-
rufliche Kontakte zu schließen, sondern ist auch
eine Art Hochzeitsbörse. Selbst die ersten Busi-
ness-WG-Babys wurden schon geboren.
Im Schnitt lebt ein Bewohner gerade einmal an-
derthalb Jahre in der WG. Ein bis zwei Zimmer
wechseln jeden Monat ihren Besitzer. Und die Rie-
senwohngemeinschaft hat auch ihre anonymen
Seiten: Viele Bewohner kennen sich wegen der
ganzen Wechsel dann doch nur beim Vornamen.
Soziologe Müller sagt: „Eine Business-WG ist eine
Gesellschaft, die Gemeinschaft spielt – und das
zeitlich begrenzt.“
Gerade wird in der Düsseldorfer WG gebaut,
weitere 15 Zimmer sollen bis Jahresende dazukom-
men. Mit 65 Leuten unter einem Dach leben – mit
so vielen direkten Nachbarn kommt schon jetzt
nicht jeder klar. Beim sonntäglichen WG-Brunch
sitzt ein Pilot, der seinen Auszug verkündet. Nach
der dreimonatigen Mindestmietdauer hat er ge-
nug, er zieht in ein Einzelapartment. Ihm fehle die
Privatsphäre, erzählt er, und auch der Stauraum
falle bei so vielen Bewohnern doch arg klein aus.
Nach dem Brunch haben die Ersten schon wie-
der ihren Dienstlaptop aufgeklappt, andere ma-
chen noch ihren Teller sauber. Denn gespült wird
in der Düsseldorfer Business-WG per Hand – eine
Spülmaschine gibt es nicht. Das allerdings ist auch
das Einzige, was hier an eine Studentenbude erin-
nert. Unternehmensberater Neupert geht hoch in
sein Zimmer, um sich auszuruhen. Um 15 Uhr hat
er sich mit einem Mitbewohner verabredet – zum
Golf spielen.

Ich musste


nur meinen


Koffer


packen


und konnte


einziehen.


Finn Bode
Teamleiter

Die WG war ein guter


Ausgangspunkt,


um schnell neue Leute


zu finden.


Norman Neupert
Unternehmensberater

Es ist spannend


mit Menschen


zu sprechen,


die unter -


schiedliche


Perspektiven


zu einem


Thema haben.


Anke Bernecke-Kaus
Leiterin
Kundenbetreuung

Düsseldorf Pempelfort;
50 Bewohner; Sauna, Fitnessraum
und Dachterrasse, Reinigungsser-
vice; Zimmer: 12 bis 20 Quadrat-
meter; Miete: 660 bis 890 Euro.

Gundelsheim bei Heilbronn
14 Bewohner; Einzel- und Mehr-
bettzimmer für Pendel- und
Zeitarbeiter. Putzservice, Bett -
wäsche inklusive, zwei Küchen;
Zimmer: 15 Quadratmeter;
Miete: 500 Euro.

Dortmund Bövinghausen; zehn
Bewohner; Zimmer mit eigenem
Bad und teils eigener Kochnische,

Bettwäsche/Handtücher
werden wöchentlich gewechselt;
Zimmer: 15 Quadratmeter;
Miete: 350 Euro.

Frankfurt Sachsenhausen; neun
Bewohner, auf zwei Etagen; zwei
Gemeinschaftstoiletten, drei
Duschen, Wohnküche; Zimmer:
15 Quadratmeter; Miete: 710 Euro.

München Maxvorstadt; fünf
Bewohner, für Berufsanfänger
und Studenten, Gemeinschafts -
küche, Laufweite zum Englischen
Garten; Zimmer: 22 bis 30 Qua-
dratmeter; Miete: ab 950 Euro.

Fünf große Business-WGs in Deutschland
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