Kunstmarkt
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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Stephanie Dieckvoss London
D
er Eintritt in das Zelt der „Frieze Lon-
don“-Kunstmesse in London ist ein
Eintritt in eine andere Welt. Hier lässt
der Flaneur für kurze Zeit den Alltag
hinter sich, um in die aktuelle Kunst
einzutauchen. Die Frieze hatte von Anfang an den
Anspruch, eine Messe zu sein, in der auch die
Künstler selbst präsent sind. Die Galerien bemühen
sich in diesem Jahr besonders, diesem schon fast
vergessenen Anspruch gerecht zu werden.
Der Künstler Ryan Gander kreierte für die japani-
sche Galerie Taro Nasu eine Soloinstallation und
war am Eröffnungstag anwesend. Bei der Good-
man Gallery aus Südafrika, die unter großem fi-
nanziellen Einsatz jetzt Galerieräume in London er-
öffnet, stellt sich der britisch-afrikanische Yinka
Shonibare seinen Fans. Die Galerie wird seine Ar-
beiten erst zum Wochenende zeigen, wenn sie den
Stand, der sich zur Eröffnung auf William Ken -
tridge konzentriert, umgebaut hat. Das wird auch
nötig sein, denn Goodman konnte in den ersten
Stunden bereits vier Bronzeskulpturen des Künst-
lers verkaufen (Auflage: drei, jeweils 300 000 Dol-
lar). Angeheizt haben die Nachfrage die zahlrei-
chen internationalen Museumsausstellungen der
letzten Zeit.
Überzeugende Themenschauen
Krinzinger aus Wien zeigt Wandobjekte von Rad-
hika Khimji, die sich mit Fragen der Identität als
Frau und Künstlerin in Oman auseinandersetzen
(um 3 000 Euro). Krinzinger kommt eine wichtige
Rolle zu, da die Galerie eine der wenigen ist, die
künstlerische Positionen aus dem Mittleren Osten
vertritt, deren oftmals stille Poesie gemischt mit
politischen Themen fast nicht mehr gezeigt wird.
Die Expertin Janet Rady bedauert: „Es gibt fast
nichts mehr hier zu sehen, niemand kauft mehr
Kunst aus dem Mittleren Osten.“
Das visuell stimmige Thema Künstler als Lehrer
präsentiert Waddington Custot auf der anderen
der beiden Londoner Topmessen, der „Frieze Mas-
ters“. Unter dem Titel „Schools of London“ zeigt
sie Künstler, die an Londoner Kunsthochschulen
lehrten. Die Galerie konnte bereits Arbeiten von
Bill Woodrow, Joe Tilsen und Patrick Caulfield
(180 000 Pfund) verkaufen. Die Londoner Lisson
Galerie, deren Messestände für gewöhnlich wenig
kuratorisches Feingefühl zeigen, widersetzte sich
ebenfalls dem Druck, das Neueste und Beste der
sich gerade im Trend befindenden Künstler zu zei-
gen. Lisson würdigt stattdessen zwei kürzlich ver-
storbene Künstlerinnen. Auf der Frieze Masters
ehrt sie Susan Hiller (1940–2019) mit einer Installa-
tion früher Arbeiten. Hillers Konzeptkunst war
wegweisend für eine jüngere Generation von
Künstlerinnen. Die Preise liegen zwischen 10 000
und 180 000 Pfund. Auf der Frieze London erin-
nert sie an die New Yorkerin Joyce Pensato
(1941–2019), deren großformatige Bilder sich über
Jahrzehnte mit amerikanischer Popkultur ausei-
nandersetzten. Ihre unverkäuflichen Arbeiten wer-
den im Dialog mit Werken ihres Kollegen Stanley
Whitney gezeigt. Die wurden bereits alle verkauft
für Preise von 350 000 bis 450 000 Pfund.
Insgesamt sind Einzelpräsentationen auf der
Messe selten. Gagosian stellt eine Ausnahme dar,
die Galerie zeigt seit einigen Jahren ausschließlich
Solopräsentationen. Sterling Rubys Gemälde, ob-
wohl erschreckend gelb-orange-farbig, finden rei-
ßenden Absatz, da er so wenig produziert. Den-
noch kann man im Gewirr der vielen Positionen
Trends ausmachen.
Medienkunst feiert ein Comeback. Auf der Mas-
ters widmet die Galerie Hyundai dem Pionier der
Videokunst, Nam June Paik, eine große Auswahl an
Arbeiten. Für Preise von 180 000 bis 1,5 Millionen
Dollar wechseln sie den Besitzer. Auf der Frieze
stellt Esther Schipper in den Mittelpunkt ihres
nur Künstlerinnen gewidmeten Stands eine neue
Installation von Hito Steyerl, „Power Plants“. Die
Pace Gallery stellt den irischen Künstler John Ger-
rard mit einem Film von 2009 vor. 125 000 Dollar
werden erwartet, eine Edition von fünf ist bereits
verkauft.
Die Präsenz medialer Arbeiten vor allem bei
etablierten Galerien hat allerdings weniger mit der
Akzeptanz des Mediums zu tun als mit der Ent-
wicklung der Technik. Diese ist nunmehr in der La-
ge, handliche Wandbilder passgerecht für jede
Sammlerwand zu fertigen. Denn an der Marktdo-
minanz des Bildes ist nicht zu rütteln, wie auch die
sehr dekorativen Gemälde von Alex Katz bei Gavin
Brown und Thaddäus Ropac zeigen. Für Katz’
popartige Bilder müssen 500 000 bis 800 000 Dol-
lar auf den Tisch gelegt werden.
Plakative Positionen
Einige wenige Einzelpräsentationen und hohe Preise für Pop-Art: Ein Rundgang über die
Frieze und die Frieze Masters, die Prestigemessen in London.
Sandro Botticellis Männerporträt
„Michele Marullo“: Zieht bei Trinity
Fine Art Menschenmengen an.
Trinity Fine Art
Alex Katz „Rosy 1“:
Ein dekorativer
Hingucker am Stand
der Galerie Thaddäus
Ropac.
Paul Takeuchi/VG Bild-Kunst,
Simphiwe Nzubes
Arbeiten „The Spirit
People I“ und
„The Spirit People II“:
Lassen sich auf
der Frieze London
bestaunen.
AFP
Joseph Beuys
„Gekreuzigter
Christus (mit Sonne)“
von 1949.
Ropac/VG Bild-Kunst,