Handelsblatt - 04.10.2019

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Kunstmarkt
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
63

Nachlass Rudi Neumeister

Aus der Hand eines Kenners


D


er Auktionator und Kunsthändler Rudolf
Neumeister war eine Institution in
München. Kantig und charmant, baju-
warisch und weltmännisch im selben Mo-
ment. Aber vor allem war er erfolgreich. Un-
vergessen bleibt, wie er 1979 in nur 68 Mi-
nuten mit 54 gotischen Skulpturen der
Sammlung Oertel 5,1 Millionen D-Mark
(inkl. Aufgeld) umsetzte. Aufsehen erregte
1988 der Weltrekord von 1,2 Millionen
D-Mark für Carl Spitzwegs „Friede im Lan-
de“. Zwei Jahre nach seinem Tod verstei-
gert vom 22. bis 24. Oktober das Auktions-
haus Neumeister die Privatsammlung des
Firmengründers. Doch kein einziges Ge-
mälde von Spitzweg befindet sich unter
den 800 Losen der Offerte. Katrin Stoll,
zweite von drei Neumeister-Töchtern und
seit 2008 Geschäftsführerin des Hauses,
sagt dem Handelsblatt: „Unser Vater hat
den Händler vom Sammler strikt ge-
trennt.“ Top-Los ist mit einer Taxe von
200 000 bis 300 000 Euro Max Lie-
bermanns Gemälde „Der Nutzgarten
im Wannsee nach Nordost“ von 1920,
gefolgt von Balthasar Permosers weich

und schwungvoll modellierter, kleiner „Flora“
aus Lindenholz von 1710/15 zur Taxe von
150 000 Euro. Die drei Kataloge lassen erken-
nen, dass der Berater von Industriellen wie
Rudolf-August Oetker, Friedrich Karl Flick
und Georg Schäfer, aus dessen Samm-
lung das gleichnamige Museum in
Schweinfurt hervorging, die Leiden-
schaft seiner Kundschaft im Wirtschafts-
wunder-Deutschland teilte. Das Angebot
an gotischen und barocken Skulpturen ist
breit. Zu den Highlights zählt die expressi-
ve „Beweinungsgruppe“ des Südtiroler
Bildhauers Hans Klocker, die auf 120 000
bis 180 000 Euro geschätzt ist. Den feinsin-
nigen Kenner spiegelt auch das Silberange-
bot. Als „berühmtester Künstler in getriebe-
ner Arbeit“ wurde Johann Andreas Thelott
in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts her-
vorgehoben. Für einen Monatsbecher des
frühbarocken Meisters werden 12 000 Euro
erwartet. Eine Lücke in einer bedeutenden
Sammlung könnte auch Carl Blechens post-
kartengroße Ölskizze „Der Golf von Neapel
vom Posilipp aus“ (Taxe 15 000 bis 20 000
Euro) von 1828/30 schließen. S. Spindler

Balthasar
Permoser:
Neumeister/Christian Mitko „Flora“, um 1715.

Wer aber kauft Kunst auf einer der Frieze-Mes-
sen? Mary Rozell, Leiterin der Kunstsammlung der
UBS, flog aus New York ein, betont: „Wir kaufen
eher wenig auf Messen, hier informieren wir uns.“
Wie kommen Galerien damit zurecht, dass viele
Sammler nur schauen, während das große Geld an
die Großgalerien geht? So sprach das Presseteam
von Hauser & Wirth schon nach den ersten drei
Stunden von einem Rekordjahr, da Arbeiten im
Wert von 14 Millionen Dollar verkauft wurden. Eine
Antwort: Judy Lybke von Eigen + Art bringt bei-
spielsweise einen Künstler mit, der sich gut ver-
kauft. Die Rechnung ging auf, fünf Arbeiten von Da-
vid Schnell ließen sich für jeweils um die 50 000
Euro absetzen. Aber er widmet auch eine ganze
Wand den Papierarbeiten von Martin Groß, die mit
2 400 Euro auch Einsteiger ansprechen. Arbeiten
in verschiedenen Preiskategorien anzubieten ist ei-
ne häufig anzutreffende Strategie.

Die Briten kaufen nicht
Doch wie findet man Einsteigerarbeiten? Einfach
fragen! Denn die Fokussektion zeigt weder nur jun-
ge Galerien noch junge, erschwingliche Kunst. Die
Berlinerin Tanja Wagner zeigt die Kanadierin Kap-
wani Kiwanga, die gerade etliche Museumsausstel-
lungen hat. Ihre Marmorskulpturen unter dem Ti-
tel „Glow“ beziehen sich auf ein Gesetz von 1713,
das in New York Sklaven untersagte, nach Ein-
bruch der Dunkelheit ohne Kerze oder in Beglei-
tung einer weißen Person unterwegs zu sein. Die
minimalistischen Stelen kosten allerdings 38 000
Euro. Die Museumsqualität der Arbeiten ist keine
Kunst für Anfänger. Allen Galeristen ist klar, dass
etwaige Käufer nicht von der Insel, sondern aus
dem Ausland kommen. Niru Ratnam, Londoner Di-
rektor der König Galerie, betont lapidar: „Die Bri-
ten kaufen nicht, das ist ganz klar.“
Das internationale Publikum ist angereist, wie
man am Stimmengewirr der Europäer auch auf der
Frieze Masters erkennt. Dort geht es zwar etwas
ruhiger zu. Gerade mit der Spotlight-Sektion, die
historisch-zeitgenössische Positionen ins Auge
rückt, zeigen sich die Galerien zufrieden. Aurel
Scheibler, seit einigen Jahr schon nicht mehr auf
der Insel vertreten, zeigt eine farbintensive Aus-
wahl aus dem Spätwerk von Ernst Wilhelm Nay.
Ihm schräg gegenüber widmet Victor Gisler von
Mai 36 aus Zürich der kanadischen Künstlergrup-
pe General Idea eine Hommage. Das Kollektiv hatte
sich 1994 durch den Aids-Tod von zweien der drei
Mitglieder aufgelöst.
Alle diese Galerien erhoffen sich, abseits des Rum-
mels auf der Frieze einem vor allem europäischen
Publikum wichtige Werke vermitteln zu können.
Dass ein historisches Bewusstsein immer mehr un-
ter dem Vormarsch plakativer Positionen leidet, ist
vielen Ausstellern auf der Masters mehr als bewusst.
Das Messepublikum steht Schlange, um „den
letzten Botticelli“ zu sehen. Die einzige Arbeit auf
dem Stand von Trinity Fine Art ist mit einem ver-
öffentlichten Preis von 30 Millionen Pfund wohl
die teuerste Arbeit auf der Masters. Das sagt mehr
über die Medienmaschinerie der Messe aus als
über die Qualität dieses Altmeisterbildes. Das recht
farblose Porträt eines jungen Mannes ist kein be-
deutendes Werk des Renaissancekünstlers; aber,
wie ein Besucher süffisant bemerkte, „wenigstens
ist es echt“. Damit bezog er sich auf den letzten
Leonardo, dessen Authentizität nach dem Aukti-
onsverkauf bei Christie’s umstritten bleibt.

Ryan Mosley
„Yesterday Past“:
Zu finden bei
Eigen + Art.

Jules Lister


Die Frieze London
zeigt zeitgenös -
sische Kunst.
Die Frieze Masters
kombiniert antike
Kunst und Alte
Meister mit
Zeitgenössischem
Bis 6.10., 17 Uhr,
im Regent’s Park.

  




 
 






   


   



   



  

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