Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Kunstmarkt
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
64

Susanne Schreiber Düsseldorf

R

embrandt Harmensz
van Rijn war ein Wun-
derkind. 1606 in Lei-
den geboren, eröffnet
er dort bereits mit 21
Jahren seine eigene Werkstatt und
verkauft seine Bilder sofort erfolg-
reich. Aber oft übernimmt er sich,
Gerichtsverfahren und Bankrott ge-
hören ebenso zu seinem bewegten
Leben wie der Ruhm. Heute jährt
sich der Todestag zum 350. Mal.
Zahlreiche Ausstellungen, Wiederauf-
lagen und Neuerscheinungen feiern
derzeit den Hauptmeister der hollän-
dischen Barockmalerei. Wir stellen
zwei Institutionen vor, die einen be-
sonderen Ansatz verfolgen.
Herauszuheben ist das Wallraf-Ri-
chartz-Museum & Fondation Cor-
boud in Köln. Es ehrt den Meistergra-
fiker, der stets auf Emotion und Ef-
fekt zielt, in der gestern eröffneten
Schau „Experimente. Wettstreit. Vir-
tuosität“ (bis 12.1.). 30 Radierungen
aus eigenem Bestand machen deut-
lich, dass die Druckgrafik für Rem-
brandt absolut gleichwertig war mit
der Malerei.
Die Schau bildet den Prolog zur
großen Ausstellung „Inside Rem-
brandt 1606 – 1669“. Das Leben und
Wirken des Künstlers zwischen
höchster Anerkennung und Insol-
venz, zwischen Komödie und Tragö-
die wird darin nachgezeichnet (1.11.
2019 bis 1.3.2020). Die Ausstellung
bringt einem den Künstler in seiner
Zeit und seine Karrierestrategie nä-
her. Die Gattungen Malerei, Zeich-
nung und Radierung werden neben-
einander gezeigt, veranschaulichen
seinen Weg zur Bildfindung.

Das Innere erforschen
Frühen Marktruhm erlangte Rem-
brandt mit Einzelporträts von Kauf-
leuten und mit Gruppenporträts, in
denen er die Dargestellten in kleine
Handlungen einbettet. Sein Lieblings-
modell war er selbst. Sein eigenes
Konterfei hielt er in Hunderten von
Werken fest. „Er erzählt ganze Ge-
schichten in einem einzigen Ge-
sicht“, sagt Kuratorin Anja Sevcik.
„Und doch ist die Interpretation of-
fen. Jeder Betrachter sieht sich mit
tiefgründigen Physiognomien kon-
frontiert.“ Zu den Stilmitteln seiner
ausgefeilten Bildregie gehören die
Lichtpunkte im Helldunkel und eine
reduzierte Farbpalette von Braun-
und Ockertönen. „Bei allem Markter-
folg bei seinen Kunden in Leiden und
später in Amsterdam“, lobt Sevcik,
„Rembrandt ist nie in einer Manier
erstarrt.“ Schonungslos schildert er
seinen Alterungsprozess, die Ver-

zweiflung über den Tod seiner ersten
Frau und seiner Kinder. Stets verzich-
tet er auf Posen. Stattdessen ver-
schmelzen Gefühlsregungen und Ge-
sichtsausdruck. Es sind innere Zu-
stände, die Rembrandt erforscht,
erkennt und malt. Das unterscheidet
ihn von anderen Malern. Im weltbe-
rühmten Selbstporträt aus Köln malt
er ein Lachen, das auch ein Weinen

ist. „Bei Rembrandt gibt es nie eine
glatte Antwort“, beobachtet der
Künstler Jehuda Bacon.
Das Wallraf-Museum will keine
Auswahl der besten Werke von Rem-
brandt bieten. Das ist gut so. „Inside
Rembrandt“ überrascht. Das Zen-
trum der Schau bildet „Der Gelehrte
im Studierzimmer“ aus der Prager
Nationalgalerie. Gemalt wurde es
1634 in Amsterdam, wo der Leidener
zum bestbezahlten Porträtisten der
Stadt aufsteigt. Den älteren Mann bei
der Lektüre stellt der Künstler als
kontemplativen Denker dar. Und
malt den Moment, in dem er sich –
noch versunken in seine Geisteswelt


  • dem Betrachter zuwendet. Für Ku-
    ratorin Sevcik typisch Rembrandt,
    Handlung statt Stillstand. „Hier ist
    der Umschlag zu sehen vom Maler
    kleiner Tafeln ins lebensgroße For-
    mat.“ Und zum Historienmaler, der
    für die Geschichte des Gelehrten des-
    sen orientalisches Gewand detail-
    reich malt. Dazu muss man wissen,
    dass die Gattung Historienbild im 17.
    Jahrhundert am höchsten angesehen
    war, noch vor Bildnissen und Land-
    schaften.
    Ähnlich packend ist auch das Bar-
    tholomäus-Porträt aus dem Getty
    Museum. Der sitzende Apostel mit
    dem Messer und der zerfurchten
    Stirn wirkt so modern, als hätte es


Max Liebermann gemalt. „Man kann
nicht vorbeisehen“, beschreibt Kura-
torin Sevcik die Bildmacht. Eine na-
türliche Beweglichkeit einzufangen,
ist Rembrandts Ziel. Das antwortete
er auch Kunden, die sich beschwer-
ten, dass sie ihre Bildnisse noch nicht
erhalten hätten.
Köln zeigt mit beiden Ausstellun-
gen nur einen Ausschnitt aus Rem-
brandts reichem Schaffen und stellt
ihn in der Kontext seiner Mitstreiter
Govaert Flinck, Ferdinand Bol, Aert
de Gelder und Christopher Paudiß.
Wer sich Rembrandts Gesamtwerk
nähern will, wird in zwei neuen Bü-
chern aus dem Taschen Verlag fün-
dig. Pünktlich zum 350. Todestag legt
der ein Projekt der Superlative vor.
Fünf Autoren arbeiteten fünf Jahre
daran: 330 Gemälde, 708 Zeichnun-
gen und 314 Radierungen aus 180 Mu-
seen und Sammlungen wurden auf-
genommen und neu fotografiert. Das
Buchprojekt ist das teuerste des Ver-
lags aller Zeiten.

Rembrandt im Pappkoffer
Dieses geballte Wissen auf 1 500 Sei-
ten wiegt schwer. Wer beide Bände
kauft, schleppt 15 Kilo Buch aus der
Buchhandlung. Dafür hat Taschen
extra Pappkoffer herstellen lassen.
Die Fotos sind fabelhaft. Der Leser
kann quasi Eintauchen in die „Anato-
mie des Dr. Nicolaes Tulp“, in die
„Nachtwache“, aber auch in Gesich-
ter wahrer Personen oder biblischer
Figuren. Abbildungen und Ausschnit-
te sind extragroß. So erkennt auch
der Laie, dass Rembrandt seine ab-
stehenden Locken mit dem Pinsel-
stiel in die feuchte Farbe kratzt.
Der Leser kann alle menschlichen
Emotionen in Nahsicht entdecken.
Rembrandt schert sich nie um den
guten Geschmack. Und malt ohne
Scheu, was ihn interessiert: den Men-
schen in allen denkbaren Lebensla-
gen. In Band 2 stößt der Leser auf
zwei Zeichnungen einer gehängten
Magd am Galgen. Die wenig bekann-
ten Blätter besitzt das Metropolitan
Museum in New York.
Die Texte von Erik Hinterding und
Peter Schatborn führen den Leser
nur knapp ein in die Arbeiten auf Pa-
pier. Dem Gemälde-Band hingegen
geben Volker Manuth, Marieke de
Winkel und Rudie van Leeuwen klei-
ne Einführungen und kurze For-
schungszusammenfassungen – ohne
Provenienzangaben – mit. Der Fokus
der Prachtbände liegt auf der Aus-
wahl und den 1 803 Abbildungen. Ein
Fest der Schaulust.

Rembrandt Harmensz van Rijn


Der beste


Menschenkenner


Eine besondere Ausstellung in Köln und zwei neue


Bücher mit Rekordgewicht: Der Todestag des großen


Barockmalers Rembrandt jährt sich zum 350. Mal.


Rembrandt: „Gelehrter im
Studierzimmer“ von 1634.

Wallraf-Richartz-Museum & Fond. Corboud,

Rembrandt
„Selbstporträt
mit Barett, mit
erstauntem Blick“:
Ausdruck und
Emotion sind
wichtiger als
Schönheit.

Albertina, Wien/Taschen Verlag

Rembrandt – Sämtliche
Werke in zwei Bänden,
Taschen Verlag

Sämtliche Gemälde
744 Seiten, 150 Euro

Sämtliche Zeichnungen
und Radierungen
756 Seiten, 150 Euro
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