Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Corinna Nohn Berlin

I

n der Vitrine stehen mehr als 100 zierliche
Apothekerfläschchen, die kostbare Essen-
zen und Düfte von Jasmin oder Vanille ver-
wahren. Im Regal daneben natürlich „Das
Parfum“, der Bestseller von Patrick Süs-
kind. „Ich liebe das Buch, oui!“, ruft Marie Urban-
Le Febvre, während sie ein Glas öffnet und vorsich-
tig einen Tropfen zur Geruchsprobe entnimmt. „Er
hat wirklich fantastisch recherchiert!“ Die 42-jähri-
ge Pariserin ist in genau demselben Metier wie der
Protagonist aus Süskinds Roman unterwegs, wenn
auch nicht unter so düsteren Umständen: Sie ist
ausgebildete Parfümeurin, eine von wenigen Hun-
dert weltweit in ihrer Klasse, und mit einem in
Deutschland einzigartigen Geschäftsmodell.
In einer Seitenstraße des Berliner Kurfürsten-
damms führt sie mit ihrem Mann Alexander Urban
ein Geschäft. „Urban Scents“ haben die Französin
und der Österreicher, die vor ihrer Unternehmens-
gründung Karriere in der Parfumbranche gemacht
haben, ihre Marke andeutungsvoll genannt. Im La-
den werden ihre bislang acht Düfte präsentiert,
hergestellt aus hochwertigen Rohstoffen. Bis hin zu
Flakon und Verpackung stammt alles aus kleinen,
unabhängigen Manufakturen. Mit Verkaufspreisen
im dreistelligen Bereich sind die Parfums im geho-
benen Segment angesiedelt, darunter auch die
jüngste Kreation „BER.Cavok“.
Diesen Duft haben die beiden Hobbypiloten dem
oft kristallblauen Himmel ihrer Wahlheimat und
dem Sehnsuchtsort, dem Berliner Flughafen, ge-
widmet: „Cavok“ ist die in der Luftfahrt gebräuch-

liche Abkürzung für „Ceiling and visibility o. k.“, al-
so quasi „gute Sichtbedingungen“. Überhaupt in-
spiriert die beiden ihr Hobby. Ein stilisierter
Propeller fungiert als Logo, und Urban sinniert:
„Beim Fliegen müssen Sie immer hervorragend
vorbereitet sein, Fehler sind tödlich. Und Sie ler-
nen, die Dinge aus ganz verschiedenen Perspekti-
ven zu sehen, das ist oft hilfreich.“
Während der 57-Jährige seine Expertise im Mar-
keting hat, besitzt seine Frau quasi den richtigen
Riecher fürs Geschäft. Jetzt teilt sie ein paar Crois-
sants in mundgerechte Happen, nippt am Kaffee,
erzählt und führt dann in ihr Atelier. Es ist nur we-
nige Quadratmeter groß, hinter einer Glasscheibe
für alle Besucher des Geschäfts einsehbar – eine
Schatzkammer der Riechstoffe. Wobei es nicht nur
Wohlgerüche sind. Der teilweise extreme Geruch
der Substanzen weckt Erinnerungen an den Che-
miebaukasten, nicht an Luxus.
In einem Glas findet sich zum Beispiel ein stein-
ähnlicher Klumpen, der für sich allein, nun, keinen
Wohlgeruch ausströmt: ein Stoff aus dem Inneren
des Wals. Erst durch die Verdauung entstehe das
Material, das dann ausgeschieden und an die Küste
angetrieben werde. Heute verwenden viele Herstel-
ler synthetischen Ersatz, aber bei Urban-Le Febvre
hat es seinen Platz im Regal. Sie erklärt: „Ein Duft
lebt wie eine gute Musikkomposition von Dissonan-
zen und Obertönen.“
Die Pariserin hat das Metier des Riechens, Erpro-
bens, Komponierens an der berühmten Ausbil-
dungsstätte Isipca in Versailles gelernt. Zuletzt lei-

tete sie in Paris das Kreativzentrum des japani-
schen Aromenherstellers Takasago. Der Konzern
mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Milliar-
de Euro ist einer der großen globalen Player am
Markt, deren Namen kaum ein Kunde kennt – die
aber das Gros der Düfte in der Parfümerie herstel-
len. Urban-Le Febvre wiederum zählt zu jenen we-
nigen Hundert Parfümeuren weltweit, die tatsäch-
lich Düfte kreieren. Die Plätze an der Isipca sind
rar, viele Absolventen werden nie zu Meistern des
Fachs, sondern verdingen sich später als Chemiker
oder in der Geruchsanalyse eines Waschmittel -
fabrikanten.

Zehn Projekte gleichzeitig
In der Pariser Niederlassung von Takasago lernte
Marie Urban-Le Febvre ihren Mann kennen. Beide
waren oben angekommen in dieser Branche, die
trotz aller Internationalität eng vernetzt ist. Alexan-
der Urban, der einst zum Filmstudium nach Lon-
don gegangen war, bevor ihn ein Freund für eine
Karriere im Marketing der Duftindustrie gewann,
sagte dann aber: „Entweder machen wir hier unser
Leben lang weiter – oder noch etwas ganz anderes,
eigenes.“ Also gründeten sie 2013 ihre Firma, zogen
2014 nach Berlin. Damals kam auch ihr Sohn zur
Welt, und parallel zum neuen Lebensabschnitt
bauten sie ein einzigartiges Geschäftsmodell auf.
Urban Scents mixt auch Düfte für Kerzen, stellt
Gerüche für Hotels, Museen oder Krankenhäuser
her. Schließlich wirken Düfte auf das Gehirn, kön-
nen etwa die Konzentrationsfähigkeit verbessern.
Bis zu zehn Projekte bearbeitet Urban-Le Febvre
gleichzeitig, in einem geht es zum Beispiel um die
Wirkung auf Krebskranke und deren Genesung im
Spital. Für eine Ausstellung des Berliner Pergamon-
Museums wiederum hat sie den historischen Duft
von Teppichen, die 1945 während des Kriegs ver-
brannten, kreiert. Im Louvre in Abu Dhabi ging es
darum, Riechstationen mit Weihrauch, Myrrhe und
Zedernholz für eine Ausstellung über historische
Handelswege zu kreieren. „Der Eindruck ist viel
prägender und nachhaltiger, wenn auch der Ge-
ruchssinn angesprochen wird“, erklärt Urban den
Wert des Geschäftsmodells.
„Ich bin nicht nur über den Standort überrascht,
auch über den Erfolg“, so drückt Thomas Schnitz-
ler, Gründer und Chef der Wiesbadener Parfum-
Distributionsfirma Nobilis, die Bewunderung über
den Geschäftssinn seines langjährigen Freundes
aus. „Sascha liebt die Branche, und nun hat er mit
seiner Frau Marie seine Berufung gefunden.“

Berlin ist wie ein guter Duft
Für Berlin haben sich die beiden Kosmopoliten,
die auch die Leidenschaft fürs Kochen teilen, be-
wusst entschieden. Sie haben die Wahl nicht be-
reut. Nicht nur, weil es „beim Bäcker direkt unter
unserer Wohnung die wirklich besten Croissants
von ganz Berlin gibt“, wie Urban-Le Febvre erzählt.
Die Stadt sei offen, pulsierend, voller Widersprü-
che. Ein wenig so wie ein guter Duft.
Über Umsätze schweigt das Paar. Natürlich ist es
nur in einer Nische dieses Marktes unterwegs, auf
dem in Deutschland knapp 1,6 Milliarden Euro und
weltweit knapp 40 Milliarden Euro umgesetzt wer-
den. Auf Branchentreffs wie der Jahrestagung des
Kosmetikverbands VKE bezeugen Konkurrenten
Urban Scents eine gelungene Markenarbeit und re-
gistrieren die wachsende Bekanntheit. In Zeiten, in
denen der Massenmarkt stagniert, die Konzerne
mit immensem Aufwand nach neuen Trends fahn-
den und Luxus- und Nischenprodukte gefragt sind,
ist das eine Auszeichnung. Bislang haben die bei-
den die Gründung aus eigener Kraft gestemmt. Sie
sind jedoch offen dafür, mit einem Investor zu ar-
beiten. „Aber es muss passen“, sagt Urban.

Marie Urban-Le Febvre und Alexander Urban


Eine dufte Nische


Die Französin und der Österreicher haben in Berlin ein Parfumlabel und ein ganz eigenes Duftatelier


geschaffen. Dort kreiert die ausgebildete Parfümeurin auch Gerüche für Museen oder Krankenhäuser.


Alexander Urban,
Marie Urban-Le Febvre:
Teure Düfte.

navina neuschl

Ein Duft lebt


wie eine gute


Musik-


komposition


von


Dissonanzen


und


Obertönen.


Marie Urban-Le Febvre
Parfümeurin

Familienunternehmen


des Tages


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
68
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