Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Malte Reupert

Müsli mit Beigeschmack


M


alte Reupert hat klare Prin-
zipien. Der 49-jährige Be-
treiber der Leipziger Super-
märkte Biomare hat Bio-Hirse-Pro-
dukte der Spreewälder Hirsemühle
aus seinen Müsliregalen verbannt.
Dort hängt nun ein Schild: „Der Inha-
ber der Spreewälder Hirsemühle ist
AfD-Funktionär, diese Partei leugnet
den menschengemachten Klimawan-
del. Damit stellt sich der maßgebliche
Entscheider der Firma gegen die
Werte von Biomare und der gesam-
ten Bio-Branche.“

Reupert erklärte dem Handels-
blatt: „Wenn ein Unternehmer, der
mich beliefern will, das Kernproblem
Klimawandel leugnet, dann passen
wir nicht zusammen.“ Die Hirsemüh-
le wird von Bio-Unternehmer Jens
Plessow geleitet, der im AfD-Vorstand
des Spree-Neiße-Kreises in Branden-
burg sitzt. Der wehrt sich gegen die
Auslistung und nennt den Vorgang
„komplett undemokratisch und frei-
heitsfeindlich“. Er entspringe einem
linksradikalen totalitären Weltbild.
„Ziel ist ganz klar die Zerstörung der
Lebensexistenz“, sagt Plessow.
Die Fehde der Ökounternehmer
hat inzwischen Kreise gezogen. Auch
die Bio-Company aus Berlin boykot-
tiert die Spreewälder Hirsemühle, Al-
natura bezieht dort ebenfalls keine
Produkte mehr. Katrin Terpitz

Thomas Krämer

Plastikfrei kauen mit


„Forest Gum“


T


homas Krämer geht mit sei-
ner Umhängetasche auf einen
Kiosk im Kölner Stadtteil Sülz
zu, jüngst wurde die Bude zu einem
Eisladen umfunktioniert. In seiner
Tasche transportiert der 39-Jährige
etwas, wovon er Inhaberin Kathrin
Scholz überzeugen will. Er hat hier
schon oft privat eingekauft, aber jetzt
geht es ums Geschäftliche: Wenn er
die Besitzerin für sein Produkt be-
geistern kann, werden ab Oktober 20
Packungen Forest Gum an der Theke
zum Verkauf stehen.
Im Februar hat Krämer sein Start-
up gegründet. Angelehnt an den
Filmklassiker ist der Name Forest
Gum, auf Deutsch Waldkaugummi,
hier Programm: ein Kaugummi, des-
sen Kaumasse den Saft des Breiapfel-
baums aus Südamerika enthält. Und
eben nicht aus Erdöl, Plastik oder
synthetischen Stoffen, wie sie in kon-
ventionellen Kaugummis enthalten
sind. 2018 erzielten die Kaugummi-
hersteller laut Bundesverband der
deutschen Süßwarenindustrie einen
Jahresumsatz von einer halben Milli-
arde Euro. Die Mars-Tochter Wri-
gleys dominiert den deutschen
Markt, auf dem Krämer nun mitmi-
schen möchte.
Jetzt holt er aus seiner Tasche eine
Packung und hält sie Kathrin Scholz
entgegen. Krämer erklärt, dass die
Bäume für Forest Gum nicht abge-
holzt, sondern nur angezapft wer-
den. „Die Plantagenbauern haben so
eine nachhaltige Einnahmequelle.“
Nachhaltigkeit ist für Krämer seit
2014 ein Thema, als er nach seinem
Masterabschluss in nachhaltigem
Ressourcenmanagement an der TU
München für die ökologisch und fair
gehandelte Limo-Marke „Lemon Aid“
arbeitete. Zunächst als Vertriebsleiter

für Deutschland, von 2016 an als Ge-
schäftsführer.
Scholz schaut auf den Boden vor ih-
rem Kiosk, wo einige Kaugummis kle-
ben. Krämer erläutert, dass Forest
Gum nur aus biologisch abbaubaren
Stoffen besteht. „Spuckt es jemand
auf den Boden, zersetzt es sich we-
sentlich schneller als herkömmliche
Kaugummis.“ Über Umweltver-
schmutzung müsse sich Kathrin
Scholz keine Sorgen machen. In Ham-
burg engagierte sich Krämer bei „Viva
con Agua de St. Pauli“. Die Non-Profit-
Initiative sammelt bei Veranstaltun-
gen Pfandbecher und spendet das
Geld für Trinkwasserprojekte in Afri-
ka und Lateinamerika. Dabei entstand
bei Krämer der Wunsch, ein nachhal-
tiges Unternehmen zu gründen.

Geld aus Crowdsourcing
Kathrin Scholz dreht sich zu ihrer
Mitarbeiterin Liza um. „Probier mal.“
15 Minuten später unterbricht Liza
das Verkaufsgespräch. „Schmeckt im-
mer noch frisch“, urteilt sie. Dass
Krämer Leute von seinen Ideen be-
geistern kann, berichtet auch sein
früherer Chef bei Lemon Aid, Jakob
Berndt: „Es gelingt ihm, Leuten eine
Vision mit einem Produkt zu verkau-
fen, die sie fasziniert.“
Gegenüber dem Eiskiosk sitzt ein
Elternpaar mit Tochter. Krämer, der
selbst Familienvater ist, fragt sie, ob
sie wüssten, woraus Kaugummi be-
stehe. „Aus viel Zucker vermutlich“,
antwortet der Mann. Krämer nickt
und fügt hinzu, dass die Kaumasse
oft aus Plastik bestehe. Er lässt sie
sein Forest Gum probieren. „Bissfest
und nicht so süß“, meint die Frau.
Das liege am natürlichen Süßstoff Xy-
lit, der sogar Kariesbakterien redu-
ziere, erklärt Krämer. Seine Kunden
sollen wissen, was sie im Mund ha-
ben. Das zeigt er in Filmen und auf
seiner Website. So hat er über die
Crowfunding-Plattform Starnext bis
Ende September 40 600 Euro einge-
sammelt. Nun bringt er Forest Gum
auf den Markt. Matthias Rutkowski

Thomas Krämer:
Die nachhaltigen
Kaugummis des
Unternehmers
entstehen aus
dem Saft des
südamerikanischen
Breiapfelbaums.

Forest Gum (2)


Malte Reupert:
Kein Geschäft mit
Leugnern des
Klimawandels.

Biomare

Der Bio-Unternehmer
boykottiert die Produkte
eines AfD-Funktionärs. Ihr
Streit zieht nun
deutschlandweit Kreise.

Der Gründer hat eine
pflanzliche Alternative zur
plastikhaltigen Kaumasse für
Kaugummis entwickelt und
bringt sie nun auf den Markt.
 



 



 



 




    
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Familienunternehmen des Tages


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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