Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Minister Seit Mai 2017
gehört der 50-Jährige
als Finanz- und Wirt-
schaftsminister der
Regierung unter Prä-
sident Emmanuel
Macron an. Von Juni
2009 bis zum Mai
2012 war er Minister
für Ernährung, Land-
wirtschaft und Fische-
rei in der Regierung
von François Fillon.

Deutschlandkenner
Le Maire spricht
Deutsch, ist in der
deutschen Politik bes-
tens vernetzt, bei der
Union wie der SPD. Im
Mai 2015 erhielt er das
Bundesverdienstkreuz
für sein „großes Enga-
gement für die
deutsch-französische
Verständigung“.

Vita
Bruno Le Maire

Wenn die


Geldpolitik


ihre Wirkung


entfalten soll,


müssen die


Länder, die


den Spielraum


haben,


fiskalpolitisch


mehr tun.


Es liegt an Deutschland, zu entscheiden, wofür es
sein Geld ausgeben möchte. Wir sind der Ansicht,
dass Deutschland weiterhin finanziellen Spielraum
hat, um mehr Geld für Innovationen, die Energie-
wende und die Infrastruktur auszugeben. Ich spre-
che über Investitionen in die Zukunft, in Innovatio-
nen und in disruptive Technologien. Deutschland
und Frankreich ist es zusammen gelungen, den
Weg dafür zu bereiten. Elektrische Batterien,
Künstliche Intelligenz und die Speicherkapazitäten
für sensible Daten sind gute Beispiele. Und es gibt
noch viel mehr Möglichkeiten für gemeinsame In-
vestitionsprojekte zwischen unseren beiden Län-
dern oder auch auf europäischer Ebene.


In Deutschland sind nicht alle davon überzeugt,
dass Frankreich wirklich seinen Job zur Stabilisie-
rung der Euro-Zone tut. Der neue französische
Haushalt für 2020 sieht eine Steuersenkung von
zehn Milliarden Euro vor, die durch neue Kredite
finanziert wird. Auch die Rentenversicherung
wird mehr Geld benötigen als erwartet. Was be-
deutet das für Ihren langfristigen Plan zur Redu-
zierung des Defizits?
Deutschland kann beruhigt sein und auf die strate-
gischen Entscheidungen seines wichtigsten Part-
ners vertrauen. Mit Präsident Macron haben wir
von Anfang an darauf gesetzt, unser Defizit und un-
sere Schulden abzubauen. Wir haben uns vorge-
nommen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Deshalb haben wir beispielsweise beschlossen, die
Körperschaftsteuer für alle Unternehmen bis 2022
von 33 auf 25 Prozent zu senken. Wir werden da-
ran festhalten, die Wettbewerbsfähigkeit der fran-
zösischen Wirtschaft zu steigern. Ich erinnere da-
ran, dass Frankreich mittlerweile das attraktivste
Euro-Land für Auslandsinvestitionen ist. Ich denke,
das ist ein klarer Beweis für unsere Bereitschaft,
den Reformweg weiterzugehen.


Sie planen aber Ihren Haushalt mit neuen Schulden.
Wenn Sie einen Haushalt aufstellen, müssen Sie
auch die wirtschaftliche Lage berücksichtigen. Wir
stehen vor einer konjunkturellen Abkühlung. Und
ich denke, da wäre es schlecht, Entscheidungen zu
treffen, die zu brutal sind und die französische
Nachfrage gefährden würden. Wir müssen auch die
soziale Situation in Frankreich berücksichtigen.
Wir standen bei der Gelbwesten-Bewegung vor ei-
ner der schwierigsten sozialen Krisen der vergan-
genen 25 Jahre. Die Menschen fordern etwas völlig
Legitimes: dass Jobs gut bezahlt werden und dass
sie von ihren Jobs leben können. Das ist nur fair.
Deshalb haben wir zum Beispiel beschlossen, die
Steuern für die privaten Haushalte zu senken. Aber
noch einmal: Deutschland kann voll und ganz da-
rauf vertrauen, dass wir den eingeschlagenen Re-
formweg weitergehen. Und das öffentliche Defizit
wird seit 2017 stetig abgebaut.


Die neue EU-Kommission unter Ursula von der
Leyen startet mit ihrer Arbeit. Was sollten die
wichtigsten deutsch-französischen Projekte zur
Stärkung der EU sein?
Zunächst möchte ich Ursula von der Leyen meine
volle Unterstützung zusagen. Ich bin überzeugt,
dass sie eine großartige EU-Kommissionspräsiden-
tin wird. Aus meiner Sicht gibt es drei Schwer-
punktthemen für die deutsch-französische Zusam-
menarbeit in den kommenden Jahren, um die An-
strengungen der europäischen Institutionen zu un-
terstützen: Klimawandel, Innovation und Stärkung
der Euro-Zone.


Was kann die EU gegen den Klimawandel tun?
Europa könnte und sollte sich zum Ziel setzen, die
erste Wirtschaftsregion der Welt mit einem nachhal-
tigen Wachstumsmodell zu werden. Wir müssen alle
verfügbaren privaten und öffentlichen Instrumente
nutzen, um den Kampf gegen den Klimawandel zu
beschleunigen. Es besteht ein Bedarf an mehr Inno-
vation, mehr Investitionen und auch an mehr politi-
scher Bereitschaft, dieses neue Modell für nachhal-
tiges Wachstum zu entwickeln, das sich von dem un-
terscheidet, was China und die USA vorschlagen.


Als zweite Priorität nannten Sie Innovationen.
Klingt gut, aber was kann die Politik hier tun?
Es gibt einen Wettlauf um neue Technologien zwi-
schen den drei großen Wirtschaftsmächten China,
den USA und Europa. Wenn wir hier den An-
schluss nicht verlieren wollen, müssen wir mehr in
disruptive Technologien investieren, zum Beispiel
in Speicherkapazitäten für erneuerbare Energien
und in Künstliche Intelligenz. Das sind genau die
Entscheidungen, die wir bereits in Frankreich ge-
troffen haben, auch gemeinsam mit Deutschland.

Ein Vorpreschen von Berlin und Paris erzeugt bei
anderen Staaten mitunter Skepsis. Wie wollen Sie
die anderen EU-Länder einbeziehen?
Das ist ein Schlüsselfaktor. Wenn Frankreich und
Deutschland vorangehen, sind unsere Kooperatio-
nen offen für alle anderen Mitgliedstaaten. Genau
das haben wir zum Beispiel bei unserem Projekt der
Batteriezellfertigung getan. Die Unternehmen woll-
ten eine Lieferkette für Batterien in Europa und nicht
mehr in China oder Südkorea. Kurz nach unserer In-
vestitionsentscheidung haben wir anderen Mitglied-
staaten unsere Initiative vorgestellt. Polen war das
erste Land, das beigetreten ist. Und ich denke, dass
es für das Recycling von Elektrobatterien eine
Schlüsselrolle bei dieser Initiative spielen wird. Es
gibt auch andere interessierte Staaten, beispielsweise
Spanien und Schweden. Das Gleiche ist bei unseren
Projekten für Künstliche Intelligenz oder die Speiche-
rung von Daten möglich. Die Tür steht allen offen.

Reichen die bisherigen EU-Instrumente aus, um
die Investitionen in Klimaschutz und Innovatio-
nen anzukurbeln?
Wir müssen vorhandene Werkzeuge anpassen, und
wir brauchen auch neue. Wir möchten zum Bei-
spiel, dass die Europäische Investitionsbank (EIB)
eine grüne Bank wird, die ihre Investitionen auf
den Kampf gegen den Klimawandel konzentriert.
Da muss die EIB auch noch mutiger bei ihren In-
vestments werden. Diesen Vorschlag hat Emmanu-
el Macron auf den Tisch gelegt, und die nächste
Kommission hat ihn in ihren Green Deal aufgenom-
men. Die große Mehrheit der Mitgliedstaaten ist
eindeutig bereit, in diese Richtung zu gehen.

Wenn sich die EIB ganz auf grüne Technologie
konzentrieren wird, welche Instrumente könnten
für die Digitalisierung eingesetzt werden?
In Frankreich haben wir einen Fonds zur Finanzie-
rung disruptiver Innovationen in vielen Technologie-
bereichen wie Künstlicher Intelligenz oder Gesund-
heit geschaffen. Dieser Fonds wird durch den Ver-

intertopics/eyevine/Magali Delporte

kauf öffentlicher Vermögenswerte finanziert. Zum
Beispiel werden wir die Regierungsanteile an der öf-
fentlichen Lotterie bis Ende des Jahres veräußern.

Und wie kann daraus ein europäischer Fonds wer-
den?
Ich denke, diese Art von Fonds für disruptive Tech-
nologien könnte in eine europäische Agentur um-
gewandelt werden, wie es von der EU-Kommission
mit dem Europäischen Innovationsrat für den
nächsten EU-Haushalt vorgeschlagen wurde. Ein
Vorbild dafür könnte die Darpa in den USA sein,
die einst das Internet erfunden hat.

Die Darpa ist eine Behörde des US-Verteidigungs-
ministeriums. Sollte die europäischer Agentur für
zivile oder militärische Projekte zuständig sein?
Ich denke, dass es sehr schwierig ist, eine Grenze
zwischen zivilen und militärischen Investitionen zu
ziehen. Die Wahrheit ist, dass in der Luftfahrt bei-
spielsweise beides völlig miteinander verbunden ist.
Wenn wir wollen, dass Europa eine starke Macht zwi-
schen China und den USA ist, müssen wir sowohl im
zivilen als auch im militärischen Bereich investieren.

Als dritte Priorität für die künftige EU-Politik
nannten Sie die Stärkung der Euro-Zone. Was er-
warten Sie hier?
Wir müssen eindeutig weitere Schritte unterneh-
men, um den Euro zu stärken. Es wurde viel getan,
um ein Euro-Budget für wirtschaftliche Konvergenz
und Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen und um die
Bankenunion auszubauen. Aber wir müssen darü-
ber hinausgehen. Unser Ziel sollte es sein, den
Euro im 21. Jahrhundert so stark wie den Dollar zu
machen. Eine starke Euro-Zone ist ein Garant für
mehr Stabilität für die europäischen Bürger und
für die Sparer. Und für die Euro-Länder besteht die
Chance auf mehr politische Souveränität.

Es wird seit vielen Jahren über weitere Euro-Refor-
men debattiert, ohne dass es große Fortschritte
gibt. Was macht Sie zuversichtlich, dass sich daran
jetzt etwas ändert?
Ich bin zuversichtlich, da wir bereits einige Fort-
schritte erzielt haben. Zum ersten Mal in der Ge-
schichte der Währungsunion haben sich Frank-
reich und Deutschland auf die Notwendigkeit eines
Haushalts für die Euro-Zone geeinigt.

Im Grundsatz hat man sich verständigt, aber über
die Einzelheiten des Euro-Budgets wie das genaue
Volumen und die Finanzierung wird weiter ge-
stritten.
Ich bin optimistisch. Es ist der gemeinsame Wille,
die Euro-Zone zu stärken, um einer möglichen neu-
en Wirtschafts- oder Finanzkrise etwas entgegenset-
zen zu können. Die EZB, der Internationale Wäh-
rungsfonds und viele Ökonomen erwarten ein gerin-
geres Wirtschaftswachstum. Ich denke, eine Arbeits-
losenversicherung, wie Olaf Scholz und Ursula von
der Leyen sie vorgeschlagen haben, wäre ein geeig-
netes Instrument, um den Euro zu stabilisieren.

Projekte wie die europäische Arbeitslosenversi-
cherung sind selbst innerhalb der Bundesregie-
rung umstritten. Warum sollten sich die Länder
der Euro-Zone dann auf solche weiteren Integrati-
onsschritte einigen können?
Es ist sich jetzt jeder der Notwendigkeit bewusst,
die Souveränität und Unabhängigkeit des Euros
durchzusetzen, aufgrund der geopolitischen Verän-
derungen, die wir sowohl in China als auch in den
USA beobachten. Die Handelssanktionen der USA
sind ein klarer Anreiz für uns, einen stärkeren Euro
und mehr Souveränität als Währungsunion zu ha-
ben. Wir brauchen einen starken Euro, wenn wir in
der Lage sein wollen, mit den Ländern Handel zu
betreiben, mit denen wir das wollen – unabhängig
davon, was die USA denken.

Herr Minister, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Jan Hildebrand und Donata
Riedel.

Diskussion um Finanzpolitik


WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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