Handelsblatt - 04.10.2019

(nextflipdebug5) #1
K

limawandel und digitale Transfor-
mation prägen die öffentlichen
und politischen Diskurse. Jeweils
stellt sich die Frage, inwieweit Un-
ternehmen – zumal in globaler
Aufstellung – in diesen gesellschaftlichen Kontex-
ten Verantwortung tragen, neu und fundamen-
tal. Die marktwirtschaftliche Ordnung gerät da-
mit in Schwierigkeiten, denn grundsätzlich wird
die Moral in der Rahmenordnung der Märkte ver-
ortet. Der Bedarf an individuell entscheidungs-
und handlungsleitender Ethik wird dadurch je-
denfalls minimiert. Die Moral des Einzelnen er-
scheint als Relikt einer vormodernen Weltsicht,
die durch die unsichtbare Hand verdrängt wur-
de. Indem in der Marktwirtschaft nach den Moti-
ven grundsätzlich nicht gefragt wird beziehungs-
weise gar nicht gefragt werden muss, ist auch der
Eigennutz als individuelles Vorteilsstreben funk-
tional und ethisch kein Problem.
Diese idealtypische Vorstellung eines Marktes,
der umfassend machtzerstörend wirkt und den
individuellen Einfluss auf das Marktergebnis mit
dem Gesetz der großen Zahl ausschaltet, trifft
freilich auf reale Bedingungen, die politische und
regulatorische Herausforderungen begründen.
Durch Wettbewerbspolitik wird versucht, die Stö-
rung der Markteffizienz durch Machtmissbrauch,
Marktmacht und unlauteren Wettbewerb zu un-
terbinden. Durch Vertragsrecht und Verbrau-
cherschutz wird versucht, die Steuerungswir-
kung der Konsumenten für die volkswirtschaftli-
che Produktionsstruktur zu stärken. Mittels der
Finanzmarktordnung wird der Sparer geschützt
und das moralische Risiko der Ausbeutung durch
unfaire finanzwirtschaftliche Praktiken einge-
hegt. Nicht zuletzt sind unsere Unternehmen
durch die Arbeitsmarkt- und Sozialordnung viel-
fältig in gesellschaftlicher Verantwortung.
Schon mit diesen wenigen Hinweisen wird
klar, dass die ordnungstheoretische Position aus-
schließlich auf Gewinnerzielung fokussierter Un-
ternehmensverantwortung in der Realität nicht
zu halten ist und der theoretischen Verankerung
bedarf. Dafür hat der Nobelpreisträger Edmund
Phelps eine konstruktive Perspektive für altruisti-
sches Verhalten in realen (nicht-perfekten) Märk-
ten erkannt. Denn indem Unternehmen durch
Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Offenheit und
altruistisches Verhalten als vertrauenswürdig er-
scheinen, wird die Koordination in solchen Märk-
ten zu geringeren Transaktionskosten möglich,
was die ökonomische Effizienz steigert.


Abstrakte Idee fern
ökonomischen Denkens


So bleibt es keine abstrakte Idee fern ökonomi-
schen Denkens, systematisch von Marktakteuren
gesellschaftliche Verantwortung einzufordern be-
ziehungsweise diese dazu funktional als berech-
tigt zu sehen. Es gibt auf der einen Seite hinrei-
chenden Bedarf, sich an der Entwicklung der Re-
gelwerke und Institutionen zu beteiligen. Denn
die „rules of the game“ fallen ja nicht vom Him-
mel, sondern sind Ergebnis kooperativer Lö-
sungssuche im demokratischen Raum der Gesell-
schaft, der sich auf das Parlament konzentriert,
aber zugleich auf zivilgesellschaftlichen Diskur-
sen beruht. Auf der anderen Seite kann nicht al-
les durch Regeln vorhersehbar geregelt werden.
Diskretionäre Spielräume gibt es in jedem Regel-
werk und erst recht dort, wo technische und in-


stitutionelle Innovationen gänzlich neue Fragen
stellen. Gesellschaftliche Verantwortung ist da-
mit für Unternehmen nicht nur möglich, son-
dern geradezu notwendig.
Doch das ist konfliktträchtig. Denn ein Unter-
nehmen ist kein Corporate Citizen, der in gesell-
schaftlichen Bezügen als Handlungseinheit auf-
tritt. Das kann nur bei strategischer Verankerung
der gesellschaftlichen Verantwortung gelingen,
allerdings können individuelle Positionen, Ein-
stellungen und Haltungen der Mitarbeiter davon
abweichen, intern Konflikt sowie extern Reputa-
tionsprobleme verursachen.

Starkes Signal von Daimler-Chef
Ola Källenius
Die klare öffentliche Stellungnahme des Vor-
standsvorsitzenden der Daimler AG, Ola Källeni-
us, im Juli 2019 gegenüber jeder Form der Frem-
denfeindlichkeit und Ausgrenzung war nicht nur
ein starkes öffentliches Signal, sondern zugleich
eine unternehmensinterne Positionierung, der
eine Sanktion entsprechenden Fehlverhaltens
einzelner Mitarbeiter durch Kündigung zugrun-
de lag.
Unternehmen sehen sich über vielfältige Zu-
sammenhänge auf Beschaffungsmärkten und Ab-
satzmärkten, über die Finanzierung, über unter-
schiedliche Produktionsstandorte oder strategi-
sche Allianzen mit anderen Unternehmen sehr
diversen Ansprüchen gegenüber. Lieferanten ha-
ben eine andere Bedeutung als potenzielle Mitar-
beiter oder mögliche Kapitalgeber für Stellung
und Ansehen des Unternehmens, die sich nicht
nur auf die Kompetenzvermutung für das Ange-
bot an Gütern und Dienstleistungen beziehen.
Diese Ansprüche müssen sich zwangsläufig in
der inneren Verfassung des Unternehmens spie-
geln. Einzelne Anspruchsgruppen zu ignorieren
oder gar gegeneinander auszuspielen kann zu er-
heblichen Reputationsrisiken führen.
Versucht man, die verschiedenen Interessen
am unternehmerischen Handeln mit den grund-
sätzlich denkbaren Verantwortungskonzepten
zu verbinden, dann bietet sich dafür die Unter-
scheidung von Ergebnisverantwortung, Reputa-
tionsverantwortung und Ordnungsverantwor-
tung an. Während die Ergebnisverantwortung
das unabdingbare einzelwirtschaftliche Kalkül
zum Ausdruck bringt, greifen die Reputations-
verantwortung (unternehmerisches, vor allem
innovatives Handeln als gesellschaftlicher Mehr-
wert) sowie die Ordnungsverantwortung (Mitge-
staltung relevanter Regelwerke und Institutio-
nen) weit darüber hinaus. Diesem Dreiklang
kann sich grundsätzlich kein Unternehmen ent-
ziehen, egal welcher Größe, Kategorie oder In-
ternationalität. Alle drei zahlen darauf ein, dass
der Markt wirtschaft von den Bürgen das not-
wendige Lösungs- und Zukunftsvertrauen entge-
gengebracht wird.

Negative Haltung gegenüber
den Unternehmen
Trotz dieser prinzipiell gesellschaftlich orientier-
ten Unternehmensverantwortung bleiben Politik
und Gesellschaft skeptisch. Die Haltung gegen-
über Unternehmen ist insgesamt negativ geprägt.
Die immer dreister laut werdenden Antikapitalis-
ta-Rufe an den Zukunftsfreitagen belegen dies.
Und die Bundesregierung plant eine Verschär-
fung der Sanktionen bei Ordnungswidrigkeiten

von Unternehmen („Verbandssanktionengesetz“)
unter der sachlich fragwürdigen Überschrift „Un-
ternehmensstrafrecht“, das es rechtssystema-
tisch hierzulande nicht gibt. Es wird damit das
Schuldprinzip auf Unternehmen als Organisation
unabhängig vom willentlichen Handeln eines
Einzelnen ausgedehnt.
Tatsächlich sind Unternehmen mit zunehmen-
der Komplexität ihrer Produkte und Prozesse
vor Herausforderungen gestellt, die letztlich
Konflikte zu allen drei Kategorien unternehmeri-
scher respektive gesellschaftlicher Verantwor-
tung begründen können. Libor-Manipulation,
Dieselabgas-Betrug, Cum-Ex-Geschäfte und an-
deres mehr haben gezeigt, dass und wie diskre-
tionäre Spielräume auch für rechtswidrige Prak-
tiken genutzt werden können. Die Frage, inwie-
weit neben die individuellen Verantwortung von
Mitarbeitern eine besondere Verantwortung des
Unternehmens als Ganzes tritt, ist jedenfalls
nachvollziehbar.

Zunehmendes Interesse an ausländi-
schen Zivilgesellschaften
Die interne Organisation des Unternehmens er-
langt damit zentrale Bedeutung für die Verant-
wortungswahrnehmung des Ganzen. Die ver-
schiedenen Anspruchsgruppen müssen darüber
hinsichtlich ihrer Interessen ausgeglichen wer-
den, zugleich muss eine konsistente Steuerung
bei unvermeidbar dezentral diskretionären Spiel-
räumen gesichert werden, indem diese transpa-
rent sind. Die Herausforderung verschärft sich
bei multinationalen Unternehmen, wie es für vie-
le deutschen Mittelständler ebenso gilt wie für
Großkonzerne. Unternehmen geraten dann in
ein Spannungsfeld unterschiedlicher Wertestruk-
turen und werden zum Ort einer Konfliktaus-
handlung. Dabei geht es zunächst um die Frage,
welche Kultur der Anker für die Aushandlung
sein soll. Gibt es überhaupt einen Heimatmarkt?
Oder: Gibt es überhaupt multinationale Unter-
nehmen ohne einen Heimatmarkt?
Mit zunehmender Integrationstiefe an auslän-
dischen Standorten durch Direktinvestitionen
nimmt das Interesse der dortigen Zivilgesell-
schaft an dem Unternehmen zu. Gleichzeitig
aber muss der Heimatstandort aufgrund seiner
historischen Wurzeln mit zunehmender transna-
tionaler Unternehmensaufstellung die Anker-
funktion für die Unternehmenskultur ausprägen.
Daraus folgt, dass Reputationsverantwortung
und Institutionenverantwortung des Unterneh-
mens im Heimatstandort definiert werden und
damit zugleich Orientierung für die Reputation
auf den ausländischen Märkten schaffen, wäh-
rend die Ergebnisverantwortung auf allen Märk-
ten gleichermaßen greift.
Gesellschaftliche Verantwortung multinationa-
ler Unternehmen steht damit im Konflikt zwi-
schen den verschiedenen Standortidentitäten.
Unternehmen müssen deshalb Kulturarbeit leis-
ten, ihre DNA definieren und damit zugleich den
Spielraum definieren, der für standortspezifische
Lösungen besteht. Es ist zu klären, was die un-
verrückbaren, weil identitätsstiftenden Werte
des Unternehmens sind. Diese Aufgabe zu ver-
kennen kann Unternehmen letztlich in Existenz-
risiken bringen.

Verantwortung


der Unternehmer


Sowohl in der Klimadebatte als auch in der


Digitalisierung geht es um Wesensfragen der


marktwirtschaftlichen Ordnung, meint Michael Hüther.


Die klare


Stellungnahme


von Daimler-


Chef Källenius


gegenüber


jeder Form


der Fremden-


feindlichkeit


war nicht nur


ein starkes


öffentliches


Signal, sondern


zugleich eine


unternehmens-


interne Positio-


nierung, der


eine Sanktion


entsprechenden


Fehlverhaltens


einzelner


Mitarbeiter


durch


Kündigung


zugrunde lag.


Der Autor ist Direktor des Instituts der
deutschen Wirtschaft Köln.

dpa [M]

Gastkommentar
WOCHENENDE 4./5./6. OKTOBER 2019, NR. 191
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