Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
In „Gelobt sei Gott“ erzählt
François Ozon tatsachengetreu den
verzweifelten Versuch eines
französischen Katholiken, seinen
früheren pädophilen Peiniger,
den Priester Preynat, zu einer Ent-

schuldigung zu bewegen. Daraus
wird ein zäher Kampf vieler, den der
Regisseur auch in seiner unge-
wöhnlichen Erzählform spürbar
werden lässt. Eine Herausforderung,

die sich lohnt. (^22222)
Ein britischer Übersetzer und seine
polnische Freundin, die aus Warschau
fliehen. Eine Familie aus Berlin, die
ihre behinderte Tochter vor den Nazis
versteckt. Eine US-Reporterin (Helen
Hunt), die den Hitler-Terror kommen
sieht, aber nicht gehört wird. Die
Dramaserie „World On Fire“ (bei TV
Now) erzählt von Verwüstungen
des Zweiten Weltkrieges im Leben ganz
normaler Menschen. Nachhaltiger
und vor allem spannender als jede
Guido-Knopp-Doku. (^22222)
SERIE
Der 13-jährige Theo verliert bei einem
Bombenanschlag in einem Museum
seine Mutter, ein Trauma, das sein un-
stetes Leben prägen wird, wobei Carel
Fabritius’ Gemälde „Der Distelfink“
von 1654 eine bedeutende Rolle spielt.
John Crowleys Adaption gelingt
es nur punktuell, die Magie von Donna
Tartts komplexem, preisgekröntem
Bestseller-Tableau einzufangen.
Der Film ringt in jeder Szene um
Bedeutsamkeit, schafft es aber nicht,
wirklich zu berühren. (^22222)
Fröhliche Mädchen. Sie tanzen um
einen blättergeschmückten Baum in
die Sommersonnenwende hinein. Das
alles gibt es auch in „Midsommar“,
doch das Psychodrama des Horrorspe-
zialisten Ari Aster („Hereditary“) kippt
bald in einen, wenngleich kunstvoll
inszenierten, Albtraum. Immer wenn
man schon ahnt, der Bildungsurlaub
einer Gruppe von US-Studenten in
einer schwedischen Kommune könnte
schlimm ausgehen, kommt es noch
verstörender. Definitiv kein Film für
schwache Nerven. (^22222)
getitelt: „So haben wir uns das Ende des KINO
Patriarchats aber nicht vorgestellt“.
Wieso stellen ausgerechnet die Konser-
vativen die mächtigen Frauen Europas?
Das ist das Thatcher-Phänomen, die stren-
gen Muttertypen setzen sich erst einmal
durch. Das ist ein Stereotyp, von dem wir
schnell wegmüssen.
Auch die sexuelle Revolution der Sech-
ziger und Siebziger hat ihre Opfer gefor-
dert, viele Linke spielen diese dunklen
Seite ihrer Geschichte herunter. Bedarf
es einer ähnlichen Aufarbeitung?
Es hat im Zuge von 68 eine pro-
blematische Entwicklung ge-
geben, was Sexualität zwischen
Kindern und Erwachsenen anbelangt. Die
Gesellschaft hat aber verstanden, dass das
falsch war.
Finden Sie, dass in der Schwulenszene
ausreichend Sensibilität besteht? Unter
homosexuellen Männern wird das
Thema immer noch heruntergespielt.
Es gibt das Gesetz – und das muss man res-
pektieren. Viele Jugendliche sind sich ihrer
Sexualität und ihrer Wünsche aber auch be-
wusst und wissen, was sie tun. Da besteht
sicher eine Grauzone. Es ist immer eine Fra-
ge des gegenseitigen Einverständnisses. Es
sollte aber nicht dazu führen, dass vor jedem
Sex ein Vertrag verhandelt werden muss.
Französische Intellektuelle wie Sie,
Didier Eribon oder Michel Houellebecq
sind in Deutschland sehr präsent. Welche
aktuellen deutschen Künstler sind denn
heute in Frankreich von Bedeutung?
Als ich in Deutschland den Film „Frantz“
gedreht habe, ist mir bewusst geworden,
wie sehr die Deutschen schätzen, dass
man als Franzose ihre Geschichten erzählt.
Sie verfolgen unser Kulturleben mehr als
umgekehrt. Man kennt tatsächlich nur
wenige deutsche Intellektuelle, Thomas
Ostermeier ist eine Ausnahme. Das hat
leider mit einem gewissen französischen
Chauvinismus zu tun.
Ihr Idol Rainer Werner Fassbinder hat ge-
sagt, dass man das, was man nicht verän-
dern kann, zumindest beschreiben muss.
War das der Antrieb für diesen Film?
Leider kannte ich das Zitat nicht, sonst
wäre es das vielleicht gewesen. In diesem
Fall stimmt es aber auch nicht – denn ich
habe mit diesem Film tatsächlich bereits
einiges verändert.
Sicher wird so etwas existieren, auch
außerhalb der Kirche. Doch diese muss sich
die Frage stellen, welche Rolle der Zölibat
spielt. Es braucht eine Art Revolution, was
die Sexualmoral anbelangt.
Papst Franziskus wird als Lichtgestalt
gefeiert. Täuschen wir uns in ihm?
Ich war selbst überrascht, aber viele der
Opfer sind der Meinung, dass Benedikt XVI.
diesbezüglich ein besserer Papst war.
Joseph Ratzinger hat sich als erster Papst
gegen die Pädophilenskandale positioniert
und Taten gesetzt. Vielleicht ist er des-
halb gescheitert. Bei Franziskus
glaubten viele, es gäbe eine Art
linken Papst, weil er sich gegen
die Armut starkmacht. Es hat sich heraus-
gestellt, dass er sehr konservativ ist und
voller Widerspruche steckt.
Sprechen wir über die Opfer, die im Mit-
telpunkt Ihres Filmes stehen. Das sind
fragile Männer, die sich ihrer Verletzlich-
keit stellen. Was erzählt uns das über den
Mann von heute?
Die #MeToo-Bewegung hat versucht, eine
Gleichstellung unter den Geschlechtern zu
erreichen. Ich wollte zeigen, dass auch
Männer Opfer sein können, traumatisiert
durch Missbrauch, Pädophilie, Ignoranz.
Die Generation meiner Eltern hatte natür-
lich auch gewisse Erfahrungen mit Pries-
tern und anderen Männern in Machtposi-
tionen, aber darüber noch flapsige Witze
gemacht. Dabei war ihnen nicht bewusst,
was das für manche der Opfer bedeutet.
Ist die Emanzipation der Frauen letztend-
lich auch eine für Männer geworden –
weil sie endlich nicht mehr gezwungen
sind, „das starke Geschlecht“ zu reprä-
sentieren?
Männer sind besorgt, dass sich das Jahr-
hunderte währende Patriarchat in Auf-
lösung befindet. Frauen wissen gemeinhin,
was sie möchten, welche Rechte sie be-
anspruchen. Die Männer sind verunsichert.
Sie müssen Macht abgeben, aber erst ihre
Männlichkeit neu definieren.
Viele Männer scheinen sich der Existenz
patriarchalischer Strukturen nun erst
bewusst zu werden.
Ich befürchte, das wird noch einige Gene-
rationen brauchen, bis das bewältigt ist.
Die Zeitung „Taz“ hat die Politikerinnen
Merkel, von der Leyen und Kramp-Kar-
renbauer auf einem Bild gezeigt und dazu
Von David Baum
26.9. 20 19 105

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