Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
FOTOS: SANDRA SCHILDWÄCHTER/STERN; IMAGO

Buschbaum, 1980
in Ulm geboren,
wurde als Yvonne
mehrmals Deut-
sche Meisterin im
Stabhochsprung
und holte zweimal
EM-Bronze. 2007
beendete Busch-
baum seine aktive
Karriere und ver-
kündete, sich einer
geschlechtsanglei-
chenden Operation
zu unterziehen.
Schon in frühester

Kindheit habe er
gewusst, dass er
ein Junge sei, nur
hätten sich seine
Geschlechtsmerk-
male falsch ausge-
bildet. Er arbeitete
später als Stütz-
punkttrainer der
Stabhochspringer
in Mainz und lebt
heute als Autor,
Vortragsredner,
Business- und
Life-Coach in
Aschaffenburg.

Y


vonne Buschbaum war eine Welt-
klassestabhochspringerin. Hät-
te Balian Buschbaum noch mal
Lust, über eine Latte zu springen?
Nein. Nach meiner Sportlerkarrie-
re arbeitete ich noch vier Jahre als
Trainer und hatte weiterhin die Möglich-
keit, Stabhochsprung zu betreiben. Es ist
eine schöne Sportart, die mich ausmachte
und prägte, mir auch viel fürs Leben bei-
brachte. Trotzdem brauche ich das Streben
nach höher, schneller, weiter heute nicht
mehr.
Mittlerweile organisieren Sie Wüstenrei-
sen. Ganz schöner Wandel. Wie kam es
dazu?
Das ist die Erfüllung eines großen Traums:
Während einer Reise durch die Sahara wur-
de mir bewusst, dass viele Menschen, die
hierherkommen, einen Rucksack mit emo-
tionalen Steinen aus der Vergangenheit
mit sich herumschleppen. In der Wüste ha-
ben sie die Möglichkeit, das zurückzulas-
sen, was sie für ihr weiteres Leben nicht
mehr brauchen. Reisen verändert Men-

schen. Die Wüste ist aus meiner Erfahrung
mit Gruppenreisen sehr speziell. Wenn wir
mit unserer Dromedarkarawane, eigenem
Koch und Guide in der unbeschreiblichen
Weite unterwegs sind, machen manche
Teilnehmer in sich Quantensprünge, weil
sie endlich Zeit haben, sich um sich selbst
zu kümmern.
Ist das Ihr einziges berufliches Stand-
bein?
Nein. Ich bin als Speaker unterwegs, halte
in Firmen Vorträge und berate Firmen im
Change- und Diversity-Management. Ak-
tuell finalisiere ich mein drittes Buch, zum
Thema Bewusstsein, habe einen gleichna-
migen Podcast dazu.
2007 beendeten Sie Ihre sportliche Kar-
riere und verkündeten, sich einer Ge-
schlechtsangleichung zu unterziehen.
Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Was da auf mich einprasselte, hätte ich nie
erwartet: Ich bekam Tausende Mails aus
der ganzen Welt, plötzlich standen Kame-
rateams vor meiner Haustür und belager-
ten mich. Ich ließ dann einfach eine Woche
lang meine Rollläden unten.
Als Aktive gewannen Sie zweimal EM-
Bronze. Wenn Sie Bilder von damals heu-
te sehen: Was geht Ihnen durch den Kopf?
In jeder Körperbewegung sehe ich: Das bin
nicht ich als vollständiger Mensch. Das war
nur ein Teil von mir; ich fühlte mich da-
mals nie ganz. Heute bin ich bei mir ange-
kommen und helfe anderen Menschen auf
ihrem Weg. Ich weiß aus Erfahrung, dass
jeder von uns sein Päckchen zu tragen hat
und es für jedes Problem eine Lösung gibt.
Machen Ihre früheren sportlichen Erfol-
ge Sie heute noch stolz?
Ach, die Pokale habe ich weggeschmissen.
Das sind nur Staubfänger. Stolz bin ich,
wenn ich Menschen weiterbringe, wenn
ich zum Beispiel an Schulen Aufklärungs-
vorträge halte, mit den Jugendlichen über
Schubladendenken, Diskriminierung und
Mobbing spreche und sie plötzlich verste-
hen, dass Vielfalt für uns alle überlebens-
wichtig ist. Das sind Momente, die mir
Gänsehaut verschaffen.
Haben Sie mittlerweile eigentlich auch
Ihre Traumfrau gefunden?
Ja, ich bin fest liiert und sehr glücklich.
Was ist Ihnen im Leben wichtig?
Ich habe verstanden, dass alle Kompensa-
tion im Außen nur ein Füllen der Leere im
Inneren ist. Ich habe es persönlich erlebt.
Ich war psychisch und körperlich in den
tiefsten Schluchten in mir und weiß heu-
te, dass sich der Aufstieg gelohnt hat. Ich
bin dankbar, dass ich leben darf, und ver-
suche, aus jedem Augenblick das Beste zu
machen. 2 Interview: Sabine Hoffmann

Als Yvonne war er eine der weltweit besten Stabhochspringerinnen,
dann unterzog er sich einer Geschlechtsangleichung

Balian Buschbaum


Balian Buschbaum,
39, in einer Naturheil-
praxis in Aschaffen-
burg, in der er einmal
wöchentlich arbeitet

122 26.9. 20 19

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