Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1

W


ie eine Zeitkapsel schwebte der
gläserne Kasten über dem Lauf-
steg. Neonlichter blitzten auf,
Elektro-Beats der französischen
Indie-Band Embrasse Moi dröhnten aus den
Boxen. Die Gäste der Celine-Show waren sich
sicher, gleich eine typische Hedi-Slimane-Vor-
führung zu sehen: Babydollkleider, ultrakurze
Röcke, dazu der unverkennbare Rockstar-Vibe.
Mit dieser Formel hatte der Designer bereits den
Umsatz bei Saint Laurent fast verdreifacht, doch
bei Celine war er damit, zumindest bei Mode-
kritikern, im vergangenen Jahr fulminant ge-
scheitert. Die Fans von Slimanes Vorgängerin
Phoebe Philo, verwöhnt von minimalistischem
Stil, konnten mit Disco-Chic nichts anfangen.
Umso überraschter reagierte die Modewelt
auf die Botschaft, die der Designer mit seiner
zweiten Show für Celine verkündete: Die Mode
wird wieder schön. Und so war es nur passend,
dass der von der Decke schwebende Glas-
kasten an die Umkleidekabine einer eleganten
Boutique vergangener Dekaden erinnerte. Wie
aus einer fernen Zeit schritten die Models über
den Laufsteg und brachten die Eleganz der
70er Jahre zurück. Sie trugen Blazer zu knie-
langen Röcken und Culottes, Overkneestiefel,
Wollcapes, Seidenfoulards, ebenso adrette
Blusen unter Kaschmirpullovern. Slimanes
Mode sah très bourgeois aus und erinnerte
an elegante Frauen vom linken Seine-Ufer,
dem Rive Gauche. Man dachte an Catherine
Deneuve und Farrah Fawcett, ebenso an intel-
lektuelle Sorbonne-Studentinnen, die nach der
Vorlesung, Rotwein und Zigarette genießend,
im Straßencafé weiterdiskutierten.
Es waren Looks, die nichts mit dem Rockstar-
Image zu tun hatten und auch den Ugly Chic,

der seit einigen Saisons in der Mode spukt, wie
eine pubertäre Laune der Designer aussehen
ließen. Die modeinteressierten Kunden atmen
jedenfalls auf: Viel zu lange hatte man sich zum
Clown machen sollen und sich als DHL-Fahrer
(Vetements) oder Bankräuber mit Sturmmaske
(Gucci) verkleidet. Umso frenetischer feiert die
Branche nun die Rückkehr der Eleganz, die in
der effekthaschenden Instagram-Welt bislang
als zu madamig galt. Sich einfach mal wieder
hübsch anziehen: Es klingt wie die zurzeit
größtmögliche Provokation.
Ähnlich wie Celine setzen auch andere Mar-
ken auf den Bourgeois-Look. Bei Burberry expe-
rimentierte Riccardo Tisci mit Kostümen und
Trenchcoats, bei Givenchy entwarf Clare Waight
Keller scharf geschnittene Anzüge, die mit
schmalen Gürteln spielten. Wegweisend war
auch die Kollektion von Balenciaga. Demna
Gvasalia, der den Ugly Chic einst mit seiner
Zweitlinie Vetements geprägt hatte, zeigte eine
Linie, die sich allein auf die Kleider konzen-
trierte. Er setzte auf klare Silhouetten wie
reverslose Anzüge und entwarf Mäntel mit
hohem Kragen, die an die Schneiderkunst von
Firmengründer Cristóbal Balenciaga erinner-
ten. Viele Kollektionen, die auf dem Laufsteg
zu sehen waren, erinnerten damit an den Ur-
sprung der Prêt-à-porter-Mode. Damals waren
Shows wie ein Tagesablauf aufgebaut: vom
Tageskleid bis zur Abendrobe. Es ging um Mode,
die nicht trendy, sondern tragbar war.
Doch sosehr Eleganz auch herbeigesehnt
wurde: Neu ist sie nicht. Mode-Ikonen wie Bet-
ty Catroux, einst Muse von Yves Saint Laurent,
und die französische Stil-Legende Inès de la
Fressange können dem erneuten Auf flammen
des eleganten französischen Looks nichts ab-
gewinnen. „Die Bourgeoisie hinkt den Trends
hinterher: Sie ignoriert sie wie ein Snob“,
sagte de la Fressange dem Branchenmagazin
„Women’s Wear Daily“. „Für mich klingt der Be-
griff negativ: Er steht für Konventionen, Angst
vor Fantasie und ist ein bisschen reaktionär.“
Aber vielleicht ist es genau das, was die Mode
jetzt braucht. Übersättigt von immer wieder neu
aufkeimenden Trends funktioniert die Eleganz
wie eine Detox-Kur und entschleunigt in tur-
bulenten Zeiten. Man darf sich diese Auszeit
gönnen. Der nächste Hype kommt bestimmt. 2

Zurück zu alter Klasse


Schluss mit Logowahn,


Hoodies und Sneakern:


Die Mode feiert die


Eleganz – und wird


wieder tragbar


Trench, Tweed und
Taillengürtel: Die Mode
von Burberry,
Celine und Givenchy
(von oben) lässt den
„Rive Gauche“-Look
wieder aufleben

Tex t^ CATHRIN WISSMANN

30 Das Comeback der Eleganz MODE
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