führen. Doch Doskozil hat im Januar selbst
Neuwahlen zu bestreiten.
Gleichzeitig scheint es der FPÖ zu ge
lingen, trotz des Skandalvideos nur un
wesentlich an Stimmen einzubüßen. Mit
20 Prozent konkurriert sie in den Um
fragen mit der SPÖ um den zweiten
Platz. Auf Plakaten und in Wahlspots fleht
die Partei förmlich darum,
weiterregieren zu dürfen.
Selbst abgebrühte Beobach
ter der österreichischen
Politikszene reiben sich ver
wundert die Augen.
Hinterm Tellerrand
Im Wiener Café Landtmann
an der Ringstraße hat Rain
hard Fendrich bei einem star
ken Mokka Platz genommen.
Er gilt als einer der erfolg
reichsten Sänger der öster
reichischen Popgeschichte
und ist fast exakt so alt wie
die Zweite Republik als sou
veräner Staat. „Bitte fragen Sie mich nicht,
wem es von uns beiden schlechter geht“,
scherzt er. Mit „I am from Austria“ ist es
Fendrich vor Jahren gelungen, eine Art kri
tische Volkshymne zu schaffen. Andert
halb Wochen vor dem Wahltermin hat er
nun ein neues Album veröffentlicht, auf
dem er politisch sehr klar Position bezieht.
„Wann immer wo was schief rennt, die
Flüchtlinge san schuld“, heißt es da, und:
„Glei hinterm Tellerrand hebt sich schon
wieder die rechte Hand.“ Er glaube nicht,
dass „die Österreicher per se fremden
feindlicher wären als andere Europäer“,
sagt Fendrich, der selbst Sohn einer Flücht
lingsfamilie sudetendeutscher und serbi
scher Herkunft ist und eher zufällig in
Wien geboren wurde. „Keiner ist genetisch
rassistisch, aber in Österreich wurde nie
eine Vergangenheitsbewältigung wie in
Deutschland betrieben.“
Einmal habe er Kurz per
sönlich gesagt, was er von
seiner Koalition mit der FPÖ
halte – von einer Bühne einer
Geburtstagsfeier herab, auf
der Kurz Gast gewesen war.
„Mir ist der Kragen geplatzt,
und ich habe ins Mikrofon
gesagt, dass er sich schämen
soll.“
Einen Tag später habe Kurz
persönlich angerufen und
ihm erklärt, weshalb er mit
den Sozialdemokraten auf
keinen gemeinsamen Nenner
gekommen sei. „Ich unterstel
le ihm gar nicht, dass er Böses will“, sagt
Fendrich. „Ich glaube, dass ihm die politi
sche Erfahrung fehlt. Ich bin gespannt, ob
Sebastian Kurz in 30 Jahren seine Entschei
dungen vielleicht anders sehen wird, als er
es heute tut.“ Was würde er ihm sagen, wenn
Kurz noch einmal am Telefon wäre? Er denkt
nach, lacht in sich hinein und sagt: „ich
glaube nicht, dass er noch einmal anruft.“
Abgesehen von Kurz’ Distanzlosigkeit
zur politischen Rechten kritisiert Fendrich,
dass er sich von Spenden abhängig gemacht
habe. „Ihm ist vorzuwerfen, wie sehr er mit
der Wirtschaft verbandelt ist“, sagt der Sän
ger. „Wenn ein Industrieller eine Spende
tätigt, dann erwartet er sich davon etwas.“
Tatsächlich wurden im Laufe des Som
mers Millionenspenden von Industriellen
bekannt. Von der Kärntner Kaufhauserbin
Heidi Horten wurden innerhalb der andert
halb Regierungsjahre 931 000 Euro überwie
sen, von einem Tiroler Baulöwen zusam
men ebenfalls fast eine Million Euro. Alles
schön in kleinen Tranchen, um eine Mel
dung an den Rechnungshof zu umgehen.
Wie blank die Nerven in der ÖVP Zentrale
angesichts der permanenten Enthüllungen
liegen, zeigt der unwürdige Vorgang, als die
Journalistin der investi gativen Wochen
zeitung „Falter“ von einer Pressekonfe
renz ausgeschlossen wurde. Die von Kurz
betriebene Öffentlichkeitsstrategie der
„Message Control“ geriet in demokratie
politisch bedenkliche Sphären.
Ein „Bruder“ aus der Partyszene
Die Gegner des Sebastian Kurz kämpfen
mit harten Bandagen gegen eben diese PR
Strategie der ÖVP, so zum Beispiel die zu
nächst anonym auftretende Internetseite
„Zoom.Institute“. Dort beschäftigte man
sich Mitte Juli akribisch mit dem nahen
Verhältnis von Sebastian Kurz zu einem
Unternehmer und Partyveranstalter na
mens Martin Ho. Der hatte Kurz in Medien
als „Bruder“ bezeichnet.
In schillernden Farben werden aus
ufernde Feste in der Wachau geschildert,
wo Champagner geflossen sei und der
damalige Bundeskanzler eine launige
Laudatio auf Herrn Ho gehalten habe. Die
Rechercheure haben sich auf Ho förmlich
eingeschossen. Inzwischen hat sich der
Betreiber der „Zoom.Institute“Seite zu
erkennen gegeben. Es ist Florian Schweit
zer, ein 37jähriger Aktivist und früherer
GreenpeaceSprecher, der mit dem Sperr
feuer gegen Kurz sein MedienStartup zu
etablieren versucht.
Er sitzt an einem Freitagabend Anfang
September vor seinem Laptop am Wiener
Naschmarkt, wo sich die Nachtschwärmer
versammeln. „Es gab schon länger die Idee,
eine investigative Plattform zu gründen“,
sagt Schweitzer. Als er in Martin Hos
Etablissement „Club X“ zu Gast gewesen
sei und festgestellt habe, dass man dort
recht einfach Drogen ordern könne, „habe
ich mir gedacht, dass man sich das genau
er anschauen muss“. Schließlich habe
HeinzChristian Strache in den Videomit
schnitten von Ibiza davon gesprochen,
dass ein hochrangiger Politiker Verbin
dungen zu „einem der größtem Drogen
dealer Wiens“ habe. Für Schweitzer liegt
Das Land hat sich an einen
gewöhnt
Dauerwahlkampf
Ein Bild
machen: Der
afghanische
Asylbewer-
ber Abdul
Waseh Nazai
bittet Kurz
zum Porträt
Rainhard Fendrich
Der Popsänger schuf
eine Volkshymne –
die nicht an Kritik spart
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