Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
David Baum und Fotograf
Michael Rathmayr erlebten
amüsante Momente mit Kurz.
Nach dem Interview eines
TV-Senders rief er den Kameraleuten zu:
„Vorsicht, der stern-Fotograf klaut euer Licht!“

der Verdacht nahe, dass es sich dabei um
Kurz und Ho handeln könnte.
„Wir sind in einen anderen Club von Ho
gegangen und haben gesehen, dass dort
systematisch Kokain verkauft wurde – und
zwar so offen, dass die Clubbetreiber davon
wissen müssten.“ Natürlich könne man
das nicht Kurz anlasten, „aber wir wollen
die Frage aufwerfen, ob er das richtige
Gespür dafür hat, mit wem er
sich als Repräsentant der Re-
publik privat umgibt“, sagt
Schweitzer. Inzwischen hat
die Staats anwaltschaft Wien
ein Verfahren gegen Martin
Ho eingeleitet. Wie stets gilt
die Unschuldsvermutung.

Held seiner Wähler


Etwa zehn Menschen arbeiten
laut Angaben von „Zoom.In-
stitute“ ehrenamtlich für das
Portal. Die ÖVP und auch Kurz
weisen die Vorwürfe zurück
und sprechen von „Dirty
Campaigning“. Sebastian Kurz
selbst nimmt auf der Unter-
stützer-Wanderung im Burgenland knapp
Stellung. „Es ist schade, dass der Wahlkampf
nicht fairer verläuft“, sagt er. „Aber schauen
Sie sich hier einmal um, das hier sind mei-
ne Unterstützer und Wähler. Glauben Sie,
dass sich die von etwas beeinflussen lassen,
was irgendwelche Homepages streuen?“
Der Wahlkampftross von Sebastian Kurz
tourt indessen unermüdlich durchs Land
und verbreitet gute Laune. In Murau, einer

bezaubernden Kleinstadt in der Steier-
mark, spielt ein Volksmusikduo den Schla-
ger „Aber Dich gibts nur einmal für mich“.
Wie in jedem Ort wartet ein beliebter
Lokalpolitiker und darf dem Spitzenkan-
didaten Fragen stellen.
Kurz antwortet überall mit ähnlichen
Sätzen und gut ausgearbeiteten Gags. Nach
einem kleinen Seitenhieb auf Pamela Ren-
di-Wagner erzählt Kurz, wie
er nach seiner Amtsenthe-
bung mit zwei Freunden auf
die Rax, einen kleinen Berg
im Burgenland, gewandert
sei und danach zu Hause Spa-
ghetti gekocht habe. „Als die
Susanne, meine Freundin,
nach Hause gekommen ist
und die Verwüstung in der
Küche gesehen hat, hat sie
mich gefragt: ,Du, Sebastian,
wie lange wirst du jetzt öfter
zu Hause sein?ʻ“ Die Anekdo-
te ist bei jeder Veranstaltung
ein Hit und garantierter La-
cher. Und zeichnet nebenbei
das Bild eines ganz norma-
len, bodenständigen Mannes, den man sich
überall eher vorstellen kann als in schlech-
ter Gesellschaft.
Manchmal trägt die PR-Maschinerie
auch etwas zu dick auf. Etwa wenn die ÖVP
die Schauspielerin Christiane Hörbiger in
einem Videoclip sülzen lässt, wie „froh und
glücklich“ man gewesen sei, als Kurz Kanz-
ler geworden sei. Der Misstrauensantrag
von Rendi-Wagner sei „vollkommen ver-

blödet“, schimpft die Grande Dame. „Da
muss der Hass und der Neid so groß sein,
damit man so etwas macht.“ Der Aufruf ge-
riet zur Lachnummer, andere Mitglieder
der Schauspielerdynastie sahen sich zur
Distanzierung veranlasst. „Große Familie,
sehr unterschiedliche politische Ansich-
ten“, twitterte etwa Burgschauspielerin
Mavie Hörbiger.
Trotz aller medial begleiteten Fehltrit-
te – inklusive der Veröffentlichung einer
peinlich distanzlosen Biografie – weiß
Sebastian Kurz die Republik, die er regiert
hat, gut einzuschätzen. Er setzt auf die
persönliche Begegnung. Nach der aus
drei Urnengängen bestehenden Präsident-
schaftswahl 2016, den Nationalratswahlen
2017 und nun 2019 hat sich das Land an eine
Art Dauerwahlkampf gewöhnt. Viele Bür-
ger scheinen die permanenten Skandale und
Enthüllungsgeschichten als Wahlkampf-
getöse zu ignorieren. Und machen lieber
Selfies mit ihrem Kanzler der Herzen.
Nach einem langen Wahlkampftag, wäh-
rend dessen er seinen 33. Geburtstag auf
diversen steirischen Marktplätzen bege-
hen durfte, verlässt Sebastian Kurz ein
Weinfest in der Stadt Leibnitz. Schnell
noch ein Interview mit einem Privatsen-
der, der dafür ein grelles Lichtset in einem
öffentlichen Park aufgebaut hat. Danach
bittet ein Kind aus der Zuschauermenge
um ein Selfie, und plötzlich noch ein paar
Jugendliche. Sebastian Kurz gewährt jede
Anfrage wie stets, strahlt wie gewohnt in
die Kameras. Dann ruft er allen ein fröh-
liches „Ciao“ zu und steigt in die wartende
Limousine.
Es ist unklar, ob er bemerkt hat, dass er
gerade mit afghanischen Asylbewerbern
Fotos geschossen hat. „Vielleicht können
wir die Bilder zeigen, wenn wir die nächs-
te Anhörung für das Asylverfahren haben“,
sagt Abdul Waseh Nazai, ein höflicher jun-
ger Mann, dessen erster Asylantrag gerade
abgelehnt worden ist. „Wir möchten hier-
bleiben, wollen anständige Österreicher
sein, arbeiten und Steuern zahlen“, sagt er.
Die jungen Afghanen haben verinner-
licht, auf welche Werte und Worte es den
Österreichern ankommt. Vielleicht ist es
das, was Sebastian Kurz am meisten aus-
macht: Projektionsfläche für alle mög-
lichen Hoffnungen zu sein. Für manchen
bedeutet eines dieser Selfies mit ihm die
ganze Welt. 2

Hat er noch das richtige


für sein Umfeld?


Gespür


Türkis ist das
neue Schwarz:
Wie schon im
vergangenen
Wahlkampf
lässt die ÖVP
die Farbe
spielen


Florian Schweitzer
Der Kurz-Kritiker hat
früher für das „Liberale
Forum“ gearbeitet und war
Sprecher von Greenpeace

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