Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
S

chales Licht fällt durch das
kleine Fenster in den Bau-
wagen, der im Westen Mön-
chengladbachs neben Papier-
und Glascontainern steht. Ein
kleiner Tisch lässt sich erken-
nen, eine Doppelkochplatte
und die beigefarbene Stoff-
tapete, mit der die Bude aus-
geschlagen ist. Die LED an der
Videokamera, die vor dem Fenster steht,
wirft einen roten Schein auf Katrin Welters,
47 und André Kehrbusch, 46. Sie hocken am
Tisch und starren hinaus. Man fühlt sich
in Stasi-Zeiten zurückversetzt.
Die beiden sind Mülldetektive – also
eher von der „Müsi“. Im Auftrag der Stadt
jagen sie Bürger, die ihren Unrat wild ent-
sorgen. „An Containerstandorten sind sie
besonders schamlos“, sagt Karin Welters.
Einmal fanden sie bei Schichtbeginn ein
paar prall gefüllte blaue Säcke. „Im ersten
waren Eingeweide. Wir haben gebetet: Lass
es keinen Menschen sein.“ Sie schüttelt sich:
„Es waren zwei geschächtete Schafe.“ „Ach-
tung!“, ruft Kehrbusch und aktiviert die
Kamera. Ein blitzblanker VW-Transporter
fährt vor. Der Fahrer steigt aus, schaut sich
kurz um – und stopft stapelweise Lami-
natböden in den Papiercontainer. „Alles
auf Video“, sagt Kehrbusch. „Gerichtsfest.“
Ihren Job erledigen die Detektive des
kommunalen Entsorgers Mags aus Leiden-
schaft. Mit sieben weiteren Kollegen legen
sie sich jeden Tag auf die Lauer oder strei-
fen in türkis-gelben Jacken umher. Es geht
nicht mehr ohne sie, sagen die Stadt-
oberen: Mönchengladbach drohe sonst
zu ersticken im Müll, der irgendwo hin-
geschmissen wird, in Parks, auf Plätze und
Straßen, in Wälder oder an Bahndämme.
1912 Tonnen fuhren die Mags-Müllautos
2018 ab. Ein bundesweiter Trend im Land
der angeblich so akribischen Mülltrenner.
„Der achtlose Umgang mit Abfall“, meldet
der Deutsche Städte- und Gemeindebund,
„hat in den letzten Jahren drastisch zuge-
nommen.“

Wenn die Mülldetektive verdeckt arbei-
ten wie in der Baubude, bleiben sie es auch.
Sie springen nicht heraus, um den Täter zu
stellen. „Wir wollen ja unsere Tarnung
nicht preisgeben“, sagt Welters. Sie werden
ihn über das Nummernschild enttarnen
und vorladen. Dann wartet ein saftiges
Bußgeld auf ihn – Laminat ist Sondermüll.
Ist er uneinsichtig, kommt er vor den Kadi.
Es drohen bis zu 100 000 Euro Strafe. Meist
kommen Täter wie er aber mit 100 bis 2000
Euro davon.
Über ihre Tablets sind die Mülldetek-
tive mit der Mags-Zentrale am Borussia-
Park verbunden. Bürger können eine App
herunterladen, mit der sie das sündige
Leben der Anderen per Foto und Standort-
daten online anzeigen können. Allein 2018
gingen 6000 Meldungen ein. Im Mags-
Büro sitzt Teamleiter Jörg Wilms, Chef
der Ermittler: „Wir reden immer mit den
Leuten und klären auch in Schulen auf.
Trotzdem können wir höchstens dafür
sorgen, dass das Müllproblem nicht weiter

eskaliert.“ Sind denn die Deutschen nicht
gerade im Umwelt- und Klimaschutz-
modus? Wo bleibt das Einsehen? Wilms
schmunzelt: „Vergessen Sie es. Die Mehr-
heitsgesellschaft ist nicht umweltsensibel.“
Draußen gehen heftige Schauer über
Mönchengladbach nieder. Haluk Sipkali,
55, und sein Kollege Andreas Heines, 56,
ebenfalls Mülldetektive, sind mit ihrem
Mags-Pick-up unterwegs im Stadtteil
Giesenkirchen. Ihr Weg führt über eine
romantische Allee in ein kleines Waldstück.
„Da liegt einer!“, ruft Heines und zeigt nach
links ins Unterholz. Sipkali stoppt und
schaltet den Motor aus. Die beiden ziehen
ihre Handschuhe an. Sie steigen aus und
nähern sich dem Tatort. Ein ganzer Hau-
fen Müllsäcke liegt mitten im Wasser-
schutzgebiet. Sie öffnen eine Tüte nach
der anderen, ziehen Plastikplanen heraus,
Vliestücher, ein Abflussrohr, leere Estrich-
tüten, eine halb volle Flasche Orangensaft,
ein altes Brötchen und jede Menge McDo-
nalds-Verpackungen. Alles durchgesuppt.

„DIE MEHRHEITSGESELLSCHAFT IST NICHT


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