Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
Immer tiefer wühlen sich die Männer in
den Moder. Dann hält Sipkali zwei feuch-
te Briefumschläge in die Luft: „Mist, keine
Adresse drauf!“ Den Verursacher auszuma-
chen, irgendwelche Indizien zu finden, das
ist ihr Hauptziel. „Ich bin Naturfreund und
hasse so was. Wenn ich den erwische, der
den Mist hier hinschmeißt, ramme ich ihn
ungespitzt in den Boden“, sagt der bullige
Mann, der sonst eher sanft daherkommt.
Hinter den Säcken findet Sipkali Press-
spanplatten: „Die sind supergut!“ Könnte er
gebrauchen. Aber mitnehmen darf er nichts.
„Der Dreck gehört jetzt unserem Oberbür-
germeister“, scherzt er. Und meint: Die Stadt
muss ihn entsorgen. Auf Kosten der Bür-
ger. Sipkalis Erfahrung lehrt, dass der Ver-
ursacher wohl aus der Umgebung stammt,
„wollte den Hunni für die Müllkippe spa-
ren“. Warum man sein eigenes Nest derart
beschmutzt, ist ihm auch nach Hunderten
Einsätzen ein Rätsel. Es gibt für sie hier
nichts mehr zu tun. Heines greift zum
Handy und bestellt die Müllabfuhr.

Dann blickt er auf sein Tablet. Der nächs-
te Auftrag: überfüllte Mülltonnen und
Verdreckung im Hirtenweg im Ortsteil
Mülfort. Ein sozialer Brennpunkt, hierhin
werden sie oft gerufen. „Müllfort nennen
wir das auch“, ulkt Sipkali. Heines scannt
während der Fahrt den Gehweg: „Guck,
ein Waschbecken mit Armatur! Und da –
gelbe Säcke!“ Am Einsatzort finden sie
keine überquellenden Mülleimer – ihre
Kollegen von der Müllabfuhr haben sie am
frühen Morgen geleert. Dafür wächst rund
um eine Altkleiderbox ein veritabler Müll-
haufen heran, darunter Hausmüll und ein
Beutel mit stinkender Blumenerde. Als
Heines den Fund in sein Tablet tippt, rollt
der Lieferwagen eines Trockenbauers vor-
sichtig heran – und gibt Gas, als er die De-
tektive entdeckt. Sipkali schaut ihm nach:
„Den Kollegen kennen wir. Der hat auch
schon viel Mist abgeladen.“
Ein altes Paar trippelt heran. Es wohnt seit
53 Jahren im Viertel. „Das ist eine Sauerei“,
sagt die Frau verzweifelt, „seit zehn Jahren

wird das immer schlimmer mit dem Müll
hier. Können Sie denn gar nichts machen?“
„Wir tun ja was, deshalb sind wir hier“, sagt
Sipkali. Dann dreht er sich um. Vor einem
der Reihenhäuser lagern Abfall und Sperr-
müll aus einer Wohnungsrenovierung,
darunter Farbeimer. Auch das erfasst
Heines mit dem Tablet.

Wilde Müllentsorgung nimmt zu


Dass es immer schlimmer wird, bestätigen
Kommunen bundesweit. Sicher, es gab
auch schon früher wilde Deponien und
übervolle Mülleimer, und Raucher schnipp-
ten wie selbstverständlich ihre Kippen in
die Landschaft. Aber seit rund zehn Jahren
erfahre Deutschland eine „Mediterra-
nisierung“, heißt es: Mit den steigenden
Temperaturen zieht es die Menschen ins
Freie – mit Folgen für die Umwelt.
In Nürnberg beispielsweise hat sich das
Volumen achtlos weggeworfenen Mülls
seitdem versiebenfacht. 200 große Müll-
Lkws sind nötig, um den Abfall eines 4

UMWELTSENSIBEL“


Unrat an der
Mülforter Straße:
Allein 2018 meldeten
Mönchengladbacher
Bürger 6000-
mal wilden Müll

Spitzeljob: André
Kehrbusch und
Katrin Welters
lauern in einem
Bauwagen Umwelt-
sündern an einem
Containerstandort
auf. Hier sind die
Leute besonders
hemmungslos

26.9. 20 19 49
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