Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
Rolf-Herbert Peters und
Fotografin Carolin Windel
gönnten sich und den
Müllwerkern unterwegs einen
Kaffee aus Wegwerfbechern. Weil es nichts
anderes gab. Mit schlechtem Gewissen
entsorgten sie die Gefäße – im Mülleimer

Wohin mit dem Müll?


Natürlich gehört Papier
in die eine Tonne und
Glas in die andere. Aber
was genau sollte noch
mal in den Gelben Sack?
Antworten zur Mülltren-
nung finden Sie unter
stern.de/muelltrennung

FOTO: IMAGO

einzigen Wochenendes aus den Grünan-
lagen abzutransportieren. In Mainz liegen
120 Tonnen mehr Müll im Stadtgebiet
herum als noch 2014. Selbst eine etwa halb
so große Stadt wie Gütersloh muss allein
an öffentlichen Containerstandorten
jedes Jahr um die 330 Tonnen wilden
Unrat beseitigen. Mags in Mönchenglad-
bach lässt seine städtischen Mülleimer in-
zwischen nahezu rund um die Uhr leeren,
auch sonntags – zur Vorsorge: „Wo einmal
wilder Müll liegt, wächst der Berg sofort,
da fallen die Hemmungen“, sagt Heines.
Warum die Deutschen ihre Heimat
zumüllen, erforschen Wissenschaftler am
Institut für Psychologie der Berliner Hum-
boldt-Universität. Katalysator des „Litte-
rings“, wie sie den Sittenverfall nennen,
seien vor allem Take-away-Verpackungen.
Die waren vor gut zehn Jahren noch kein
Thema, da mussten sich die Ordnungsäm-
ter vor allem mit Hundekot befassen. Heu-
te benutzen die Deutschen pro Jahr allein
2,8 Milliarden Einwegbecher – und werfen

sie oft gleichgültig weg. Bundesumwelt-
ministerin Svenja Schulze will deshalb nun
die EU-Einweg-Plastik-Richtlinie schnell
umsetzen. Sie nimmt die Verpackungs-
und Zigarettenhersteller für die Entsor-
gung mit in die Pflicht.
Sipkali und Heines eilen von Auftrag zu
Auftrag. In der Gaußstraße hat ein Mieter,
der gerade auszieht, Sperrmüll auf den
Gehweg gestellt – drei Wochen bevor er ab-
geholt wird. Sie schellen bei ihm, aber es
ist niemand zu Hause. „Am liebsten kon-
frontieren wir die Leute sofort mit ihrer
Tat“, sagt Sipkali. Da wird es schon mal
ungemütlich. Sie werden vom Arbeitgeber
in Deeskalation geschult, um bei Lügen
und Ausreden und Sturheiten nicht aus-
zuflippen. Sipkali wirft ein Mahnschreiben
in den Briefkasten, sein Kollege fotogra-
fiert die Amtshandlung.
Sie fahren weiter und passieren einen
Bahndamm, wo jemand sein altes Mobi-
liar abgekippt hat – einschließlich eines
Kühlschranks. Auf der Lürriper Straße wer-
den sie von einem langen Ast, der abge-
brochen ist, abrupt aufgehalten. Heines,
der früher bei der Verkehrssicherung ge-
arbeitet hat, stellt orangefarbene Pylone
auf. „Ist ja auch irgendwie wilder Müll“,
sagt er. Während sie auf die Feuerwehr
warten, entdecken sie an der nahen Bus-
haltestelle die nächste wilde Müllkippe,
einen knappen Meter neben dem Gehweg
auf einem Privatgelände. Kleidung, altes
Spielzeug, Eisenteile, Schlacke. Die Umge-
bung ist übersät mit Wegwerfbechern und
Fast-Food-Verpackungen. Heines tippt

alles ins Tablet. Entsorgen muss das der
Grundstückseigentümer. Das kann dauern.
Inzwischen folgen immer mehr deut-
sche Städte dem Vorbild Mönchen-
gladbachs und schicken Fahnder los. Mal
heißen sie „Mülldetektive“, mal „Waste
Watchers“. Auch lassen sie – wie die Nieder-
rheiner – Apps programmieren, damit
die braven Bürger Schuldige bequem per
Smartphone anschwärzen können. In-
zwischen gibt es sogar eine bundesweite
Lösung, die wilden Unrat GPS-genau er-
fasst: Die App „MÜLLweg!“ funktioniert
laut Entwickler in mehr als 10 000 Gemein-
den und 85 Prozent der Republik.

Bald kommt Verstärkung
Im Bauwagen starren Welters und Kehr-
busch weiter aus dem Fenster. Ein Opel
rollt an. Ein Postbote in Uniform. Er kramt
Styropor aus dem Kofferraum und stopft
es ebenfalls in den Papiercontainer. Müll-
sünder, sagen die Detektive, entstammten
keiner bestimmten sozialen Schicht: „Die
kommen mit dem Porsche wie mit dem
klapprigen Golf.“ Ihr Chef Wilms glaubt:
„Den Deutschen ist der Anstand verloren
gegangen.“ Es seien nicht vorwiegend
Ausländer, wie manche sagen, auch wenn
Zuwanderer oft nicht aufgeklärt seien, wie
das deutsche Abfallsystem funktioniere,
und so Fehler machten.
Die Berliner Forscher sehen das ähnlich:
Littering sei eine echte Volkskrankheit.
Geschlecht, Bildung, Wohnort oder Wohn-
dauer spielten keine signifikante Rolle.
Das Alter schon: Hauptverursacher sind
junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jah-
ren, gefolgt von 14- bis 17-Jährigen und
Leuten über 50. Was alle eint: Bequemlich-
keit, Faulheit, Gleichgültigkeit. Manche
entwickeln regelrecht kriminelle Energie:
Sie entfernen sämtliche Adressetiketten,
bevor sie ihren Dreck in die Landschaft
schmeißen.
Am Abend fahren die vier Gladbacher
Mülldetektive aus der Baubude und dem
Pick-up zurück in die Mags-Zentrale. Am
nächsten Tag werden sie erneut auf-
brechen. Und alles wird wieder so sein
wie an diesem Morgen – vermüllt. Sipkali
ist dennoch gut gelaunt. Bald wird er drei
weitere Detektivkollegen zur Verstärkung
bekommen. Er grient: „Wir kriegen euch!
Wir sind überall.“ 2

„ DEN DEUTSCHEN IST DER ANSTAND


VERLOREN GEGANGEN“


Volltreffer: Ein
Postmann stopft
Styropor in den
Papiercontainer.
Ihm droht eine
hohe Geldstrafe

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