Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1
FOTOS: STEFAN VOLK/STERN

D


as Radio schalte ich nicht mehr
ein“, sagt Andrej Moor und
schließt die Tür der Fahrerkabine.
Dann startet er den Wagen. „Ich
genieße die Ruhe.“ Er spricht jetzt
leise, fast verschwörerisch, als
wolle er die Stille nicht stören. Moor sitzt
in einem Batterie-Lkw mit elektrischem
Antrieb, einem der ersten seiner Art.
Routiniert und fast lautlos steuert er
den 18-Tonner zwischen den dröhnenden
Dieseln über den Betriebshof und deu-
tet auf die Lüftung: „Man hört nur die
Klimaanlage.“ Und auch die typischen
Schaltvorgänge gibt es nicht mehr, bei
denen normalerweise bei Lkws die Kabi-
ne ordentlich ins Schwanken gerät, weil
beim Kuppeln plötzlich der Vortrieb fehlt.
Geschmeidig gleitet Moor dahin. Elektro-
fahrzeuge haben in der Regel nur einen
Gang. „Es macht einfach Spaß“, sagt er.
Der Mercedes-Benz E-Actros, den Moor
steuert, ist noch ein absoluter Exot. Schwe-
re Lkws, noch dazu mit einem Kühlaufbau
für die Belieferung von Supermärkten,
sind eine technische Heraus forderung.
Doch ein Ersatz für dreckige Diesel, gera-
de im Verkehr in der Stadt, ist überfällig:
Die Schadstoffbelastung der Luft in den
Ballungsgebieten ist zu hoch. Längst gibt
es Fahrverbote für ältere Diesel. Doch
geliefert werden muss trotzdem. Ob ein
Batteriefahrzeug die Lösung des Problems
sein kann, testet der Daimler-Konzern
gerade mit zehn Fahrzeugen im Kunden-
einsatz, unter anderem bei der Nagel-
Group in Hamburg, einem Spezialisten für
Lebensmittellogistik.
Moor ist inzwischen Richtung
Autobahn unterwegs. Nun blinkt er
links und warnt, bevor er Gas gibt,
denn der starke E-Motor verleiht
dem Lastwagen fast die Beschleu-
nigung eines Pkws, und Insassen
werden sogar etwas in den Sitz
gedrückt. Moor grinst. Das Einfä-
deln auf die Autobahn sei jetzt kein
Problem mehr, die 80 Stundenkilo-
meter Spitze schnell erreicht.
Moor arbeitet seit 19 Jahren bei
der Nagel-Group. Früher bewegte er
40-Tonner mit Dieselmotor, heute
würde er den vollelektrische Verteiler-
Lkw, den er erst seit Juli fährt, am liebsten
gar nicht zurückgeben. Aber nach einem
Jahr bekommen ihn andere Tester. Her-
steller Mercedes-Benz will möglichst viel
Praxiserfahrung sammeln; Ziel ist die
Serienreife des E-Actros bis 2021. Die gan-
ze Entwicklung wird vom Staat gefördert.
Das Projekt habe durchaus Potenzial,
findet Florian Lorenzen, Speditionsleiter

der Nagel-Group in Hamburg, der Chef
von Moor. „Wir reizen den Lkw noch nicht
ganz aus und tasten uns langsam heran“,
sagt er. Die Länge der Touren und auch die
Zuladung wird nur langsam gesteigert.
„Es würde noch mehr reinpassen, aber
da sind wir sowieso eingeschränkt“, sagt
Lorenzen. Denn die schweren Batterien
bedeuten trotz Wegfall von Dieseltank,
Getriebe und Abgasanlage rund 2,5 Ton-
nen mehr Gewicht. Damit sinkt die er-
laubte Zuladung. Im Vergleich zum nor-
malen Kühllaster kann der E-Actros rund
22 000 Bananen je Tour weniger trans-
portieren. Eine Sonderregel soll diesen
Nachteil abmildern: Künftig dürfen
Elektro-Lkws das zulässige Gesamtge-
wicht um eine Tonne überschreiten – also
schwerer sein als die konventionelle Kon-
kurrenz.
Im Vergleich zu der hat ein Elektrofahr-
zeug zudem viel geringere Wartungskos-
ten. Ein E-Motor hat kaum bewegliche
Teile, braucht weder Motoröl noch einen
Anlasser – alles Dinge, die gerade im
Stadtverkehr schnell verschleißen. Auch
die Bremsen werden geschont, weil in der
Regel die Verzögerung des Motors bereits
eine starke Bremswirkung erzeugt. Und
der gewinnt dabei sogar noch Energie zu-
rück. Dadurch entstehen beim Betrieb
deutlich geringere Kosten.
Die Gesamtbilanz interessiert Moors
Chef Lorenzen besonders. Schließlich gibt
es auch Kostentreiber: Teurer ist neben der
Anschaffung auch die benötigte Infra-
struktur. Bei Nagel musste eine eigene
Ladesäule aufgestellt werden. Für
Andrej Moor ist das die letzte Station
des Tages. Abends stöpselt er den
Laster ein. Ein grünes Signal heißt:
Der Brummi lädt. Feierabend. „Frü-
her habe ich noch einige Minuten an
der Zapfsäule gestanden“, erzählt er.
„Danach hat man immer nach Die-
sel gestunken.“
Bleibt die Frage nach der Reich-
weite: 140 Kilometer war bisher sei-
ne längste Tour. Danach zeigte die
Batterie noch 49 Prozent Ladung an.
Ein guter Wert, der Moors Ehrgeiz
weckt. Denn Mercedes gibt offiziell
bloß ein Maximum von 200 Kilometern
an. Nach einer Nacht am Ladekabel und
mit 240 Kilowattstunden Strom in der
Batterie habe die Reichweitenanzeige
einmal schon 306 Kilometer angezeigt,
sagt Moor. Doch da gehe mehr, glaubt er.
Von der E-Mobilität ist er jedenfalls kom-
plett überzeugt: „Sogar privat überlege
ich, auf Elektro umzusteigen.“ Und das
nicht nur wegen der Ruhe. 2

Schwerer Lkw und


Batterieantrieb –


passt das zusammen?


Unterwegs mit


einem elektrischen


18-Tonnen-Kühllaster


STILLE


LASTER


MOBILES LEBEN


Von Mona Pekarek


Mercedes-Benz E-Actros
Eines von zehn Fahrzeugen ist bei der
Nagel-Group im Versuchsbetrieb
und beliefert Supermärkte in Hamburg.
Andrej Moor (u.) steuert es.

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