Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1

New York– MitchMcConnell ist vieles zu-
zutrauen. Auch, dass er ein Amtsenthe-
bungsverfahren gegen US-Präsident Do-
nald Trump im Senat einfach nicht zur Ab-
stimmung stellt. McConnell ist der Mehr-
heitsführer der Republikaner im Senat.
Eine Rolle, die ihm fast unbegrenzte
Macht über die Tagesordnung gibt.
Als Barack Obama 2016 im letzten Jahr
seiner Amtszeit Merrick Garland als neu-
en Richter für den Supreme Court nomi-
niert hat, da hat McConnell die Sache ein-
fach ausgesessen. Garland, der vom Senat
hätte bestätigt werden müssen, gönnte er
nicht mal eine Anhörung. Und als Trumps
Kandidat für den Richterposten, Neil Gor-
such, an der Notwendigkeit einer 60-Stim-
men-Mehrheit zu scheitern drohte, da ließ
McConnell diese Hürde für die Wahl obers-
ter Richter streichen. Gorsuch wurde mit
einfacher Mehrheit gewählt.
McConnells Ankündigung vom Montag
kam daher für manche überraschend.
Selbstverständlich werde er das Impeach-
ment-Verfahren im Senat aufnehmen,
wenn es das Repräsentantenhaus wün-
sche, sagte er in einem Interview. Er sei an
die bestehenden Impeachment-Regeln
gebunden. Was genau das jedoch bedeu-
tet, ist völlig offen. Das Verfahren ist nir-
gends genau festgelegt. Es kann sein, dass
McConnell das Amtsenthebungsbegehren


im Schnellverfahren niederstimmen lässt.
„Wie lange wir uns damit beschäftigen“,
sagt er, „ist eine ganz andere Sache.“ Mehr
Einsicht hat der Langzeit-Senator aus Ken-
tucky bisher nicht gegeben, wie er mit
einem Impeachment im Senat umgehen
würde.

Mike Pompeo, der US-Außenminister,
machte am Dienstagabend klar, wie er da-
mit umgehen will, dass es an klaren Re-
geln für ein Impeachment-Verfahren man-
gelt: Er verweigert die Kooperation. In ei-
nem Brief an den Vorsitzenden des Aus-
wärtigen Ausschusses des Repräsentan-
tenhauses kündigte Pompeo an, dass er

den Vorladungen von fünf Mitarbeitern
seines Hauses zu einer Aussage im Reprä-
sentantenhaus nicht wie verlangt Folge
leisten will. Wegen schwerer prozeduraler
und rechtlicher Mängel der Vorladungen
seien die Aussagen zu den vorgegebenen
Terminen „nicht machbar“ – darüber hin-
aus schrieb Pompeo, dass er die Vorla-
dung als „Einschüchterungsversuch“ sei-
ner Mitarbeiter verstehe.
Ob die Mitarbeiter des Außenministeri-
ums nun aussagen, oder nicht – das Ver-
fahren birgt Risiken, für die Republikaner
und die Demokraten, die schlussendlich
im Senat zwanzig Abgeordnete der Gegen-
seite überzeugen müssten, gegen den eige-
nen Präsidenten zu stimmen. Im Reprä-
sentantenhaus hingegen haben die Demo-
kraten hingegen die Mehrheit, mit Spre-
cherin Nancy Pelosi an der Spitze. Sie wird
wissen, dass es bisher keiner Partei gutge-
tan hat, ein Impeachment-Verfahren anzu-
strengen. Das Volk ist gespalten in der Fra-
ge, ob ein amtierender Präsident vom Kon-
gress entmachtet werden sollte. Das dürf-
te auch der Grund sein, weshalb Pelosi das
Prozedere nicht unnötig in die Länge zie-
hen will. Bis spätestens Thanksgiving En-
de November soll das Repräsentanten-
haus seine Arbeit abgeschlossen und alle
relevanten Zeugen gehört haben. Unter
den Vorgeladenen wird wohl auch Trumps
Anwalt Rudy Giuliani sein, wichtigster
Drahtzieher in der Affäre. Und womöglich
auch der unbekannte Whistleblower.
Je länger das Verfahren dauert, desto
schwerer wird es, mit Dringlichkeit zur ar-
gumentieren. Bis zur Wahl sind es noch
gut 13 Monate. Anfang Februar beginnen
die Vorwahlen. Wenn die Demokraten das
Verfahren bis ins nächste Jahr ziehen,
birgt das die Chance, noch mehr belasten-
des Material zu veröffentlichen. Aber eben
auch die Gefahr, die Geduld der Bürger
übermäßig zu strapazieren.
Doch auch die Republikaner stehen vor
einer strategischen Herausforderung. Im
kommenden Jahr sind zudem 35 Senats-
plätze neu zu vergeben. 23 davon sind der-
zeit von Republikanern besetzt, je nach
Rechnung sind davon acht bis zwölf Sitze
gefährdet. Die Demokraten müssen nur
vier Sitze hinzugewinnen, um den Republi-
kanern die Mehrheit im 100-köpfigen Se-
nat abnehmen zu können. Vor allem in
Staaten, die für die Republikaner auf der
Kippe stehen – Maine, Colorado, Arizona
etwa –, dürften die amtierenden Senato-
ren darauf bedacht sein, dass es ein faires
und ordentliches Amtsenthebungsverfah-
ren gibt. Auch Mitch McConnell, 77, Sena-
tor seit 1984, kann sich einer Wiederwahl
nicht sicher sein. thorsten denkler

Offenes Verfahren


Für ein Impeachment fehlen klare Regeln – das könnte den Republikanern nutzen


...ein Versuch,
die angesehenen
Fachkräfte des
Außenministeriums
einzuschüchtern,
zu drangsalieren und
unangemessen zu behandeln“.

US-Außenminister Mike Pompeo

von hubert wetzel

Washington –Skandalesind manchmal
wie Bäume. Sie haben verschiedene Äste
und Zweige, aber nur eine Wurzel, aus der
alles wächst. Die Ukraine-Affäre, mit der
sich US-Präsident Donald Trump ein Amts-
enthebungsverfahren eingehandelt hat,
ist dafür ein Beispiel: Trumps Bitte an sei-
nen ukrainischen Kollegen Wolodimir Se-
lenskij, die Justiz in Kiew gegen den ehe-
maligen Vizepräsidenten und heutigen
demokratischen Präsidentschaftskandida-
ten Joe Biden ermitteln zu lassen, ist einer
der Äste, ein ziemlich dicker sogar.
Die Wurzel allerdings ist etwas anderes:
Trumps Wut über den Vorwurf, Russland
habe ihm bei seinem Wahlsieg geholfen, er
sei mithin kein legitimer Präsident; und
seine Besessenheit, diesen Vorwurf zu wi-
derlegen und sich an seinen Gegner für die



  • wie er es empfindet – grundlose Verfol-
    gung zu rächen. Die „Hexenjagd“, welche
    die Demokraten angeblich gegen ihn orga-
    nisiert und für die sie Sonderermittler Ro-
    bert Mueller eingespannt haben – das ist
    Trumps politisches Urtrauma, das ihn seit
    zweieinhalb Jahren nicht loslässt.


Das war bei Trumps Telefonat mit Se-
lenskij offensichtlich. Noch bevor der US-
Präsident auf Biden und dessen Sohn zu
sprechen kam, bat er Selenskij um einen
„Gefallen“ – Ast Nummer zwei, wenn man
so will. Kiew solle bei der Klärung eines
Vorgangs helfen, so Trump, der mit einem
Unternehmen zu tun habe, dessen Name
im rechten Lager in den USA weithin be-
kannt ist: Crowdstrike. So heißt eine Fir-
ma für Computersicherheit, die 2016 von
den Demokraten angeheuert wurde. Sie
sollte herausfinden, wer die Server der Par-
tei gehackt und Tausende E-Mails über
den Wahlkampf der damaligen demokrati-
schen Präsidentschaftskandidatin Hillary
Clintons gestohlen hatte. Sie wurden spä-
ter von Wikileaks veröffentlicht und scha-
deten Clinton sehr. Crowdstrike kam, wie
die US-Geheimdienste, zu dem Schluss,
dass das eine russische Sabotageaktion
war, um Trump zu helfen.
In rechten Kreisen in Amerika kursiert
jedoch eine alternative Theorie. Danach
sollen die Server der Demokraten von der
Ukraine aus attackiert worden sein, Russ-
lands Beteiligung sei nur fingiert worden,


um Moskau und Trump zu belasten. Bewei-
se gibt es dafür nicht, und einige Behaup-
tungen sind offensichtlicher Blödsinn, et-
wa dass das kalifornische Unternehmen
Crowdstrike in Wahrheit von einem ukrai-
nischen Millionär gesteuert wird.
Doch weil offenbar viele Menschen in
Trumps Umfeld diese bizarre Theorie ver-
breiten, allen voran sein persönlicher An-
walt Rudy Giuliani, glaubt auch der US-
Präsident sie und spricht in einem offiziel-
len Telefonat mit seinem ukrainischen Kol-
legen darüber. „Es ist eine Verschwörungs-
theorie. Und sie ist komplett widerlegt“,
sagte vor einigen Tagen Tom Bossert, der
frühere Heimatschutzberater Trumps, in
einem Interview. Er habe den Präsidenten
mehrmals davor gewarnt – zu seiner Frust-
ration aber ohne Erfolg. „Es bleibt eben in
seinem Gedächtnis haften, wenn er das
wieder und wieder zu hören bekommt.“
Wie sehr Trump die Russland-Sache im-
mer noch beschäftigt, machen auch die
jüngsten Enthüllungen deutlich – noch
ein Ast. Wie dieNew York Timesund die
Washington Postam Dienstag berichteten,
haben Trump und sein Justizminister Wil-
liam Barr mehrere ausländische Regierun-
gen aufgefordert, mit US-Ermittlern zu-
sammenzuarbeiten; diese wiederum sol-
len herausfinden, wie es überhaupt dazu
gekommen ist, dass die amerikanische Jus-
tiz möglichen illegalen Verbindungen zwi-
schen Trump und Moskau nachgespürt
hat. Denn diese Ermittlungen begannen
bereits während des Wahlkampfs im Jahr
2016, lange bevor Robert Mueller sie im
Mai 2017 übernahm.
Wenn man sich die Schauplätze an-
sieht, die dabei eine Rolle spielen, wird
schnell klar, warum Trump und Barr aus-
gerechnet die Behörden in Italien, Australi-
en und Großbritannien um Unterstützung
gebeten haben: Im Frühjahr 2016 traf ein
Wahlkampfmitarbeiter von Trump,
George Papadopoulos, in Rom einen mys-
teriösen Professor namens Joseph Mifsud,
der angeblich Kontakte zum russischen
Geheimdienst haben soll. Dieser soll Papa-
dopoulos erzählt haben, dass die Russen
belastendes Material über Clinton hätten,
darunter auch jede Menge schädliche
E-Mails. Papadopoulos erzählte das dann
später in London dem australischen Diplo-
maten Alexander Downer. Dieser meldete
die Angelegenheit nach Hause. Mifsud ist
inzwischen verschwunden. Papadopoulos
belog später Mueller und musste deswe-
gen für einige Wochen in Haft.
Als Wikileaks im Sommer 2016 begann,
die Clinton-Mails zu veröffentlichten, gab

die australische Regierung der amerikani-
schen einen Tipp. Daraufhin nahm das FBI
Trumps Wahlkampfteam ins Visier und be-
gann, einzelne Mitarbeiter abzuhören. Die
Polizeibehörde wollte herausfinden, ob es
zwischen Trumps Leuten und Moskau ille-
gale Kontakte oder Absprachen gab.
In Trumps Augen war das allerdings ei-
ne Spionageaktion, durch die eine ver-
schwörerische linke Clique in den Wa-
shingtoner Sicherheitsbehörden – der „tie-
fe Staat“ – ihn fertigmachen wollte. Auch
Justizminister Barr ist offenbar zumin-
dest skeptisch, ob damals alles nach Vor-
schrift gelaufen ist. Trumps Wahlkampf-
team sei „ausspioniert“ worden, sagte er
vor einigen Monaten im Kongress.
Barr hat daher den Bundesstaatsanwalt
John Durham beauftragt, zu untersuchen,
ob die Ermittlungen gegen Trumps Team
legal und begründet waren, oder ob dahin-

ter – wie der Präsident meint – ein politi-
sches Motiv steckte. Das ist zunächst ein-
mal kein verwerflicher Vorgang. Das FBI
sollte schon gute Gründe haben, wenn es
mitten im Wahlkampf gegen den Präsi-
dentschaftskandidaten der Oppositions-
partei tätig wird. Zwar spricht nichts da-
für, dass die Ermittlungen damals nicht
korrekt gewesen sind. Aber Barr hat durch-
aus das Recht, das prüfen zu lassen.
Ebenso hat Barr als Minister das Recht,
bei ausländischen Behörden nachzufra-
gen, die vielleicht hilfreiche Informatio-
nen besitzen. Und er hat das Recht, den
Präsidenten um Rückendeckung zu bit-

ten. Genau das ist im Fall Australiens offen-
bar passiert: Trump drängte auf Barrs Initi-
ative hin im September den australischen
Regierungschef Scott Morrison, Durham
und dessen Ermittlern zu helfen. Barr
selbst besprach die Angelegenheit in Rom.
Auch London wurde um Mithilfe gebeten.
Das kann man alles also neutral sehen,
als eine Art Gesuch um Amtshilfe auf
höchster Ebene. Oder man kann es als das
sehen, was vermutlich war – oder zumin-
dest auch war: ein weiterer Versuch von Do-
nald Trump, seine Legitimität zu bewei-
sen und die „Hexenjagd“ zu entlarven, mit
der er angeblich gequält wurde.  Seite 4

Buenos Aires –Diepolitische Krise in Pe-
ru eskaliert. Am Montagabend hat Staats-
chef Martín Vizcarra den Kongress aufge-
löst. Dahinter steckt ein seit langem
schwelender, erbitterter Machtkampf:
Perus Präsident führt einen Kampf ge-
gen Korruption, die in dem südamerikani-
schen Land weit verbreitet ist. Dabei
fühlt er sich von der Opposition behin-
dert. Sie dominiert den Kongress und
konnte in der Vergangenheit immer wie-
der Reformpläne von Vizcarra blockie-
ren. Der aktuelle Streit entzündete sich
nun an einem Votum zur Neubesetzung
von Richterposten am Verfassungsge-
richt. So gut wie alle Mitglieder des Ge-
richts sollen ausgewechselt werden. Das
ist deshalb brisant, weil das Verfassungs-
gericht in naher Zukunft auch darüber be-
raten soll, ob Keiko Fujimori freigelassen
wird. Die Tochter des peruanischen Ex-
präsidenten Alberto Fujimori sitzt der-
zeit wegen eines Schmiergeldskandals in
Haft. Gleichzeitig führt sie die Partei an,
die im Kongress die Mehrheit besitzt.
Präsident Vizcarra hatte die Pläne zur
Auswechslung der Richter als intranspa-
rent bezeichnet und dem Kongress ein Ul-
timatum gestellt, die umstrittene Nomi-
nierung auszusetzen, andernfalls werde
er das Parlament auflösen. So ist es nun
gekommen. In einer Fernsehansprache
sagte Vizcarra, mit diesem Parlament sei
keinerlei Einigung möglich.
Im Kongress kam es nach der Auflö-
sung zu chaotischen Szenen. Abgeordne-
te der Opposition widersetzten sich der
Anordnung. Sie blieben demonstrativ auf
ihren Plätzen sitzen, teilweise für Stun-
den. Im Anschluss suspendierten sie ih-
rerseits wiederum Vizcarra für die Dauer
eines Jahres und bestimmten Vizepräsi-
dentin Mercedes Aráoz zur Übergangs-
präsidentin. Ob und wie Vizcarra in den
nächsten Tagen und Wochen die Auflö-
sung des Kongresses durchsetzen wird,
ist noch unklar.
Am Montagabend kam es in mehreren
peruanischen Städten zu Kundgebungen
für Vizcarra. Der Politiker ist vergleichs-
weise beliebt. 2018 übernahm er das
Amt, nachdem sein Vorgänger wegen der
Verstrickung in die Schmiergeldaffäre
um einen brasilianischen Baukonzern zu-
rückgetreten ist. Viele Menschen erhof-
fen sich von Vizcarra, dass er gegen die all-
seits verbreitete Korruption und Vettern-
wirtschaft in der Politik vorgeht. cgur

Präsident Donald Trump (links) und Justizminister William Barr haben Hilfe in Australien gesucht. FOTO: ANDREW HARNIK/AP

Die Wurzeln


der Verschwörung


Warum US-Präsident Donald Trump die
Ermittlungen gegen ihn als Urtrauma empfindet

Chaos in


Perus Kongress


Präsident Vizcarra löst in einem
Machtkampf das Parlament auf

DEFGH Nr. 228, Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019 HF2 POLITIK 11


Gegner von Donald Trump fordern in Washington ein Amtsenthebungsverfahren
gegendenPräsidenten. FOTO: ANDREW CABALLERO-REYNOLDS / AFP


In rechten Kreisen kursiert


eine alternative Theorie, die den


Präsidenten entlasten soll


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