Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1

Berlin– Annegret Kramp-Karrenbauer
istohnehin in keiner angenehmen Lage.
Die Zahl derer in der Union, die sie mit
Freude zur nächsten Kanzlerkandidatin
küren wollen, sinkt – die Beliebtheitswer-
te der CDU-Vorsitzenden sind bereits abge-
stürzt. Im jüngsten Politbarometer liegt
sie zum ersten Mal auf dem letzten Platz.
Und jetzt zeichnet sich auch noch ab, dass
Kramp-Karrenbauer ein Problem mit ih-
rer bisher treuesten Anhängerschaft be-
kommen könnte.
Ohne die Unterstützung der Frauen Uni-
on (FU) wäre die Saarländerin nie Partei-
chefin geworden, entsprechend groß sind
nun aber auch die Erwartungen. Die FU
verlangt einen höheren Frauenanteil in
den Fraktionen und Vorständen der CDU.
Doch für viele in der Partei ist „Quote“ im-
mer noch etwas beinahe Sozialistisches.
Auf dem Bundesparteitag im November
wird die Auseinandersetzung nicht mehr
zu vermeiden sein. Und Kramp-Karren-
bauer dürfte mal wieder zwischen allen
Fronten stehen: Spricht sie sich für eine
verbindliche Quote aus, verdirbt sie es
sich mit dem einen Teil der Delegierten –
tut sie es nicht, verscherzt sie es sich mit
dem anderen Teil und der Frauen Union.
Dass die FU nicht mehr bereit ist, den
Status quo weiter zu akzeptieren, hat sie
auf ihrem Bundesdelegiertentag im Sep-
tember gezeigt. Dort haben die Frauen ei-
nen – zumindest für CDU-Verhältnisse –
harten Forderungskatalog beschlossen.
Er trägt die Überschrift: „Wir können, wol-
len und werden – Mauern überwinden!


Mehr Frauen in der CDU, in Ämtern und
Mandaten“.
Bisher gibt es in der CDU keine Quote,
sondern lediglich das sogenannte Quo-
rum. Demnach soll bei der Listenaufstel-
lung für Parlamentswahlen und bei partei-
internen Gruppenwahlen der Frauenan-
teil mindestens ein Drittel betragen. Es

gibt dabei jedoch jede Menge Schlupflö-
cher. In der Praxis werde das Quorum „zu
oft umgangen und nicht eingehalten“,
heißt es in dem Beschluss der Frauenuni-
on. Außerdem greife es bei der Aufstel-

lung der Direktkandidaten in den Wahl-
kreisen nicht. Das ist in der Unionsfrakti-
on ein besonders großes Manko, da 231 ih-
rer 246 Mitglieder direkt gewählte Bun-
destagsabgeordnete sind. Der Frauenan-
teil beträgt auch daher nur gut 20 Prozent.
„Deshalb müssen wir das Drittel-Quo-
rum zu einer verbindlichen Mindestvorga-
be weiterentwickeln und schrittweise
durch weitere messbare und konkrete Ziel-
vereinbarungen bis zur Parität“ ergänzen,
heißt es in dem FU-Beschluss. Anspruch
der Frauen Union sei es, „dass Listen der
CDU verbindlich zur Hälfte mit Frauen be-
setzt“ werden.
Im Januar hatte Kramp-Karrenbauer
bei einer Veranstaltung zu „100 Jahre Frau-
enwahlrecht“ kämpferisch gesagt: „Ich
bin eine Quotenfrau.“ Dass sie da stehe, wo
sie jetzt stehe, habe sie der Quote zu ver-
danken. Diese habe ihr am Anfang ihrer
Karriere eine wichtige Chance gegeben.
Dass Kramp-Karrenbauer „Quote“ und
nicht „Quorum“ sagte, wurde in der Frau-
en Union mit Wohlwollen aufgenommen.
Genauso wie die Feststellung der CDU-
Chefin, dass man ohne eine überzeugen-
des Angebot an Kandidatinnen Wählerin-
nen nicht überzeugen könne. Und dass
man, wenn man Wählerinnen nicht über-
zeugen könne, keine Wahlen gewinnen
könne.
Damals hatte Kramp-Karrenbauer
noch sehr gute Umfragewerte – und konn-
te sich entsprechend stark fühlen. Inzwi-
schen spricht sie zurückhaltender. Beim
Bundesdelegiertentag der Frauen Union
sagte die CDU-Chefin zwar: „Frauen sind
die Hälfte der Gesellschaft, wir fordern,
was uns zusteht.“ Der Beschluss der FU sei
„ein guter Antrag, einer der provoziert,
der einlädt zu Diskussion“. Man brauche
sich aber nichts vorzumachen: „Es ist ein
dickes Brett, das da auf den Tisch gelegt
wird. Und an diesem Brett werden wir
ganz schön bohren müssen. Da wird es vie-
le Widerstände geben.“ Dass sie sich den
Beschluss zu eigen mache und auf dem
Parteitag auch so durchsetzen wolle, das
sagte Kramp-Karrenbauer aber nicht.
In der Frauen Union gibt es deshalb die
ersten, die sich Sorgen machen, in Kramp-
Karrenbauer am Ende doch keine so star-
ke Bündnispartnerin zu haben, wie sie
dachten. Am 18. Oktober will die FU ent-
scheiden, wie genau ihr Antrag für den
Bundesparteitag lauten soll. Eines gelte je-
doch in jedem Fall, sagte FU-Chefin Annet-
te Widmann-Mauz am Dienstag derSüd-
deutschen Zeitung: „Wir müssen zeigen,
dass wir als Union für Frauen attraktiv
sind.“ Dazu brauche es „auch deutlich
mehr Sichtbarkeit von Frauen in Ämtern
und Mandaten“. Dies müsse „Aufgabe der
gesamten Partei sein“ – und dazu brauche
es „konkrete messbare Ziele bis zur Pari-
tät sowie wirksame Maßnahmen und Ins-
trumente, um sie auch tatsächlich zu errei-
chen“. robert roßmann

von ralf wiegand

Bremen– Ausgerechnet Hamburg! Kaum
eineRivalität wird im deutschen Fußball
inniger zelebriert als die zwischen Anhän-
gern des SV Werder Bremen und des Ham-
burger SV. Politisch aber könnten nun ge-
nau diese beiden SPD-geführten Stadt-
staaten in Sachen Fußball gemeinsame
Sache machen: Hamburg erwägt, die
erhöhten Kosten für Polizeieinsätze bei so-
genannten Hochrisikospielen dem Profi-
fußball in Rechnung zu stellen – so wie es
bisher ausschließlich im benachbarten
Bremen geschieht. Die kleinere der beiden
Hansestädte hat das Recht, solche Gebüh-
ren einzutreiben, vor dem Bundesverwal-
tungsgericht überhaupt erst erstritten
und nutzt es bisher als einziges Bundes-
land. Nun sucht der Bremer Innensenator
Ulrich Mäurer (SPD) Verbündete für eine
bundeseinheitliche Lösung zur Regelung
von Polizeikosten bei Fußballspielen.


Mäurer besuchte deshalb an diesem
Dienstag seinen rheinland-pfälzischen
Amtskollegen Roger Lewentz (SPD). Kurz
vor dem schon lang geplanten Treffen in
Mainz hatte sich Hamburgs Innensenator
Andy Grote zu Wort gemeldet: Nach Prü-
fung des Urteils zu den Bremer Gebühren
sagte der für Inneres und Sport zuständige
SPD-Politiker, es sei „schwer zu begrün-
den, warum wir das nicht machen sollten“.
Damit könnten bald auch Fußballspiele in
Hamburg mit einer Gebühr für Polizeiein-
sätze belegt werden, sollte es nicht zu ei-
ner bundesweiten Regelung kommen.
Eine Umfrage derSüddeutschen Zei-
tungunter allen zuständigen Ministerien
der Bundesländer weckt Zweifel, ob sich
die Innenminister auf eine Regelung wer-
den einigen können. Bisher war Mäurer
mit der Idee eines vom Profifußball ge-
speisten Fonds ins Rennen gegangen, aus
dem sich Bund und Länder Kosten für Poli-
zeieinsätze erstatten lassen könnten. „Das
können wir aber nicht erzwingen“, sagte
Mäurer am Dienstag der SZ, hier wären die
deutschen Profiklubs mit ihrer Dachorga-
nisation, der Deutschen Fußball-Liga
(DFL), am Zug. Doch dort, sagt Mäurer,
herrsche „völlige Uneinsichtigkeit“.
Deshalb hätten sich sein Kollege Le-
wentz und er darauf verständigt, bei der In-
nenministerkonferenz im Dezember in
Kiel eine Mustergebührenordnung zu prä-
sentieren – eine Art „Gebührenordnung
leicht gemacht“, wie Mäurer sagt. In die-
sem Leitfaden würden die bereits gängige
Bremer Praxis sowie alle rechtlichen De-
tails aus dem Urteil des Bundesverwal-


tungsgerichts zusammengefasst. Die Ab-
sicht: Je mehr Länder sie übernehmen, um-
so größer würde der Druck auf den deut-
schen Profifußball, einer Fondslösung
nach italienischem Vorbild zuzustimmen.
Doch wollen die Länder das überhaupt?
Die Übernahme von Einsatzkosten ist
längst keine Frage des Rechts mehr, son-
dern ein Politikum. So schreibt das Innen-
ministerium Niedersachsens auf SZ-Anfra-
ge: „Das Gewaltmonopol liegt beim Staat
und ist damit ureigene Aufgabe der Poli-
zei. (...) Die Herstellung öffentlicher Sicher-
heit und Ordnung sollte nicht davon abhän-
gig sein, wer dafür zahlt oder gar wer es
sich leisten kann, dafür zu zahlen.“ So se-
hen das auch die Bayern: „Die Wahrung

der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
ist und bleibt Kernaufgabe des Staates. (...)
Wirtschaftliche Betrachtungen stehen
hier nicht im Vordergrund.“ Nordrhein-
Westfalen, das die meisten Profiklubs be-
heimatet, Hessen, Berlin, Sachsen, Baden-
Württemberg: Keines dieser Länder mit
Klubs in der ersten oder zweiten Liga will
sich bisher Polizeikosten zurückholen.
„Das Ausstellen von Rechnungen löst
nicht das Grundproblem der Gewalt in
und um die Stadien“, heißt es aus Düssel-
dorf, obwohl die Regierung dort die mit Ab-
stand höchsten Kosten zu verkraften hat:
Von 1,3 Millionen Polizeieinsatzstunden,
die durch die erste und zweite Liga in der
Saison 2017/18 aufgelaufen sind, entfällt

die Hälfte auf Nordrhein-Westfalen. Und
Berlin fürchtet gar, durch Gebühren „wür-
den Veranstalter in gebührenfreie Länder
abwandern. Das würde nicht nur einen
Imageverlust, sondern auch wirtschaftli-
che Nachteile für Berlin bringen.“
Mit einem Gebührenbescheid fing der
Streit einst an. Die Bremer Behörde für In-
neres hatte im August 2015 der DFL als
Bundesliga-Veranstalter eine gesalzene
Rechnung gestellt. 425718,11 Euro verlang-
te die Hansestadt für die erhöhten Polizei-
kosten während des Risikospiels Werder –
HSV vom 19. April 2015. Grundlage dafür
ist ein Gesetz des Bremer Senats aus dem
Herbst 2014, das erstmals „die Erhebung
von Polizeimehrkosten bei gewinnorien-

tierten Großveranstaltungen mit zu erwar-
tenden Gewalthandlungen“ regelt.
Statt zu zahlen, klagte die DFL gegen
diese Gebührenpraxis – und verlor in letz-
ter Instanz vor dem Bundesverwaltungsge-
richt in Leipzig. Inzwischen hat die Organi-
sation die ersten Gebühren beglichen, will
die Rechnung aber an Werder Bremen wei-
terreichen. Nun wirft der Verein der Stadt
vor, diese habe durch den Gebühren-Al-
leingang einen Wettbewerbsnachteil des
Klubs zu verantworten. Die Stimmung zwi-
schen der Landesregierung und dem Wer-
beträger Werder ist schlechter denn je. Zu-
dem hat der Deutsche Fußball-Bund seit
Beginn des Gebührenstreits kein Länder-
spiel mehr an Bremen vergeben.

Köthen/Köln– Der Fernseh-Satiriker
Jan Böhmermann ist offiziell in die SPD
aufgenommen worden. Der SPD-Kreis-
verband Anhalt-Bitterfeld hat am Diens-
tagabend einen entsprechenden Be-
schluss bekanntgemacht. In einer Mittei-
lung wies der Kreisverbandsvorsitzende
Ronald Mormann auch auf Bedenken
von Sozialdemokraten gegen die Mit-
gliedschaft wegen früherer Äußerungen
Böhmermanns über die SPD hin. „Aber
Satire darf vieles, und das hält Deutsch-
lands älteste Partei sehr wohl aus“, sagte
er. Böhmermann hatte eigentlich ange-
kündigt, Parteichef werden zu wollen,
seine Pläne dafür aber nicht rechtzeitig
umsetzen können. dpa

beträgt der Frauenanteil im
Bundestag. Erist damit auf
dem niedrigsten Stand seit


  1. Verantwortlich dafür ist
    auch der geringe Frauenan-
    teil in der Unionsfraktion. Im
    europäischen Vergleich liegt
    der Bundestag knapp über
    dem Durchschnitt.


Gebührenunordnung


Bremenund Rheinland-Pfalz entwickeln einen Leitfaden für alle Bundesländer, wie sie Polizeikosten
für Profifußballspiele eintreiben können. Doch eine bundesweit einheitliche Regelung ist in weiter Ferne

31


Prozent


Berlin –Das Berliner Abgeordneten-
haus muss sich in den nächsten Mona-
ten mit dem Antrag einer Volksinitiative
befassen, die die Ausrufung des Klima-
notstands für Berlin fordert. Wie die
Pressestelle des Parlaments mitteilte,
wurden 36 500 gültige Unterschriften
abgegeben und somit die nötige Hürde
von 20 000 Stimmen deutlich überschrit-
ten. Laut Berliner Abstimmungsgesetz
muss sich das Parlament innerhalb von
vier Monaten mit dem Antrag befassen.
Die Abgeordneten können sich den For-
derungen der Bürger anschließen –
anders als bei einem Volksentscheid ist
das Votum aber nicht bindend. Weltweit
haben schon viele Städte einen „Klima-
notstand“ ausgerufen, darunter rund 50
in Deutschland. dpa

Mainz –Die rheinland-pfälzische Minis-
terpräsidentin Malu Dreyer führt die
SPD bis zur Wahl einer neuen Spitze
jetzt allein. Der bisherige kommissari-
sche Co-Bundesvorsitzende Thorsten
Schäfer-Gümbel gab das Amt wie ange-
kündigt zum 1.Oktober ab, um seine
neue Tätigkeit als Arbeitsdirektor im
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
anzutreten. Nach dem Rücktritt von
Andrea Nahles als SPD-Chefin hatten
Dreyer und Schäfer-Gümbel gemeinsam
mit Mecklenburg-Vorpommerns Minis-
terpräsidentin Manuela Schwesig kom-
missarisch die Parteiführung übernom-
men. Schwesig hatte bereits im vergan-
genen Monat eine Brustkrebserkran-
kung öffentlich gemacht sich deshalb

Die Übernahme der Kosten aus der SPD-Spitze zurückgezogen.dpa


ist längst keine Frage des Rechts


mehr, sondern ein Politikum


DEFGH Nr. 228, Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019 HMG POLITIK 9


Böhmermann jetzt Genosse


Willkommen in Bremen: Die Mannschaft des – inzwischen abgestiegenen – Hamburger SV reist unter Polizeibewachung zum Auswärtsspiel beim SV Werder.FOTO: DPA

Die Qual der „Quotenfrau“


CDU-Chefin will Geschlechtergerechtigkeit – muss sie aber auch fürchten


Frauenanteil in den nationalen Parlamenten Angaben in Prozent


Zypern

Großbritannien

Ungarn

Tschechien

Spanien

Slowenien

Slowakei

Schweiz

Schweden

Rumänien

Portugal

Polen

Österreich

Norwegen

Niederlande

Malta

Luxemburg

Litauen

Lettland

Kroatien

Italien

Irland

Griechenland

Frankreich

Finnland

Estland

Deutschland

Dänemark

Bulgarien

Belgien^38
27,
37
30,
27,
42
38,
17

22
36
20
17
24,
23
14,
34
41
35,
27
31
21
44
33
20
36
36,
20
10

32

13 SZ-Grafik; Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Mittelwert in Europa
28,3 Prozent

Klima-Initiative in Berlin


Dreyer allein an SPD-Spitze


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