Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
Dana Heide, Sha Hua Peking

T


ausende Menschen ste-
hen auf dem Tianan-
men-Platz im Herzen Pe-
kings, als Chinas oberste
Führungsriege die Aus-
sichtsplattform auf dem Tor des
Himmlischen Friedens betritt. Zu lau-
ter Marschmusik eröffnen Staats- und
Parteichef Xi Jinping und Minister-
präsident Li Keqiang die größte Mili-
tärparade der chinesischen Ge-
schichte. Über Monate hinweg hat
die Kommunistische Partei (KP) auf
diesen Moment hingearbeitet.
Der Platz ist weiträumig abgerie-
gelt, U-Bahn-Linien dürfen nicht fah-
ren, Flughäfen sind gesperrt, überall
herrscht höchste Sicherheitsstufe.
Um 10 Uhr gibt Li den Befehl für 70
Salutschüsse. China feiert den 70.
Jahrestag der Gründung der Volksre-
publik – und die KP sich selbst.
Es ist ein spektakuläres Ereignis,
mit dem sie ihre Erfolge und ihren ab-
soluten Machtanspruch betonen will –
nach innen wie nach außen. Insge-
samt 750 Millionen Menschen schau-

en der Veranstaltung zu, so die staatli-
che Nachrichtenagentur Xinhua,
meist über Internet oder Fernsehen.
Nur ausgewählte Zivilisten dürfen der
Zeremonie beiwohnen, für alle ande-
ren wurde die Allee des Ewigen Frie-
dens, die direkt am Platz des Himmli-
schen Friedens vorbeiführt, gesperrt.
„Es gibt keine Macht, die die
Grundlagen dieser großen Nation er-

schüttern kann“, sagt Xi, als die Ka-
nonenschüsse verhallt sind. „Keine
Macht kann den Fortschritt des chi-
nesischen Volks und der Nation auf-
halten.“ Dann ruft er zur Einigkeit auf
und verspricht dem Volk „noch mehr
Wohlstand“. „Die Chinesen haben es
geschafft, aufzustehen und auf ihren
eigenen Beinen zu stehen“, sagt Xi,
als er auf die vergangenen 70 Jahre

zurückschaut. Der „Kampf “ müsse
weitergehen.

Pathos als Ablenkung
Das Pathos hat System. Seit Wochen
schon stimmt die KP die chinesi-
schen Bürger auf einen gemeinsamen
Kampf ein. Grund sind die düsteren
Wirtschaftszahlen. Das Versprechen
Xis, bis 2020 das Bruttoinlandspro-
dukt pro Person im Vergleich zu 2010
zu verdoppeln, ist gefährdet. Dafür
wäre bis kommendes Jahr ein Wirt-
schaftswachstum von mindestens
sechs Prozent nötig.
Doch die Zeiten des Turbowachs-
tums scheinen vorbei. Analysten ge-
hen davon aus, dass Chinas Konjunk-
tur sich im dritten Quartal weiter ab-
kühlt. Bereits im zweiten Jahresviertel
war es mit 6,2 Prozent auf ein 30-Jah-
re-Tief gefallen.
Hinzu kommt der sich immer wei-
ter zuspitzende Konflikt in Hongkong.
Seit mehr als vier Monaten wird in der
chinesischen Sonderverwaltungszone
gegen die Hongkonger Regierung pro-
testiert – und gegen den Einfluss Pe-
kings. Auch am Dienstag gingen trotz

70 Jahre Volksrepublik China


Pekinger


Leistungsschau


Chinas Führung feiert sich mit einer Militärparade selbst.


Doch die lahmende Wirtschaft und der Konflikt in


Hongkong überschatten die Machtdemonstration.


Xi Jinping: „Es gibt
keine Macht, die
die Grundlagen
dieser großen Nation
erschüttern kann.“
AP

Aufmarsch auf dem
Tiananmen-Platz:
Absoluter
Machtanspruch.

Xinhua / eyevine / laif

Wirtschaft & Politik


1

MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
10
Free download pdf