Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
Jürgen Flauger, Kathrin Witsch Düsseldorf

F


ür ihr Klimapaket musste die Bundesre-
gierung viel Kritik einstecken. Die Maß-
nahmen seien viel zu zögerlich,
schimpfen Klimaschützer. In einem
Punkt setzt die Große Koalition aber
ein ambitioniertes Ziel: Bis 2030 sollen für Elektro-
autos in Deutschland eine Million öffentlich zu-
gängliche Ladepunkte zur Verfügung stehen. Das
soll der Elektromobilität endlich zum Durchbruch
verhelfen. 2030 sollen in Deutschland schon sie-
ben bis zehn Millionen strombetriebene Autos
durch die Straßen fahren.
Bei Autokonzernen gibt es dafür Beifall. „In Sa-
chen Elektromobilität ist das Klimapaket der Bun-
desregierung ein wichtiges und gutes Signal“, kom-
mentiert Volkswagen das Vorhaben: „Wir brauchen
den Systemwechsel hin zum Elektroauto, aber dafür
muss insbesondere die Ladeinfrastruktur stimmen.“
Bei den Unternehmen, die die Ladesäulen bauen
sollen, stößt der Plan aber dagegen auf heftige Kri-
tik: „Das ist unrealistisch und unnötig“, hält Eon-
Chef Johannes Teyssen fest – und trifft damit auf
breite Unterstützung. Die Energiebranche hält das
Ziel für völlig überzogen und fordert eine massive
Förderung, um überhaupt im nennenswerten Um-
fang Ladesäulen zu installieren. Der Grund ist sim-
pel: Das Geschäft lohnt sich für die Betreiber aktu-
ell nur an ganz wenigen Standorten – und daran
dürfte sich auch langfristig nichts ändern.
„Wir gehen davon aus, dass 80 Prozent der Lade-
vorgänge zu Hause und am Arbeitsplatz passieren“,
sagt Christian Burghardt, Europachef des amerika-
nischen Ladesäulenanbieters Charge-Point. Die von
der Bundesregierung vorgegebene Zahl von einer
Million Ladepunkten hält er für viel zu hoch. „Öf-

fentliche Ladesäulen sind für uns eher psycholo-
gisch, als dass wir glauben, dass dort der größte
Teil des Stroms fließen wird“, ist der Manager
überzeugt.
Tatsächlich ist das Ziel der Bundesregierung
mehr als anspruchsvoll: Derzeit gibt es laut dem
Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft
(BDEW) in ganz Deutschland kaum mehr als
20 700 öffentliche Ladepunkte. Das sind zwar gut
50 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, aber die
Zahl ist noch sehr weit von einer flächendecken-
den Versorgung entfernt. Während in den Städten
nach und nach Ladesäulen installiert werden, müs-
sen Elektroautofahrer auf dem Land Kilometer
weit fahren, um eine öffentliche Stromtankstelle zu
finden.
Allerdings sehen Experten die öffentliche Lade-
struktur dabei auch in einem Tempo mit dem aktu-
ellen Markthochlauf der Elektroautos. Die Zahl der
reinen Elektroautos wuchs laut Kraftfahrt-Bundes-
amt im ersten Halbjahr 2019 zwar um 80 Prozent,
damit rollen insgesamt trotzdem gerade einmal
31 000 Stromer auf deutschen Straßen. Auf einen
Ladepunkt kommen also nicht einmal zwei Elek-
trofahrzeuge.

Schnellladesäulen kosten
bis zu 120 000 Euro
In zehn Jahren soll die Zahl der strombetriebenen
Fahrzeuge zwar laut den Plänen der Bundesregie-
rung auf bis zu zehn Millionen ansteigen. Das be-
zweifeln aber die Ladeanbieter – und selbst wenn
das gelingen sollte, halten sie das Ziel von einer Mil-
lion Ladepunkten, die dann installiert sein sollen,
für völlig übertrieben.

„Technisch gesehen ist das machbar. Wirtschaft-
lich ist das aber nicht“, sagt Mathias Wiecher, der
bei Eon das Geschäft mit der Elektromobilität lei-
tet: „Das ist eine leicht einprägsame Zahl, die aber
unrealistisch ist.“
Eine Ladesäule müsse mindestens zwei bis vier
Stunden unter Volllast genutzt werden, um über-
haupt die Betriebskosten und eine angemessene
Verzinsung einzuspielen, erläutert der Eon-Mana-
ger. Aktuell sei das nur an einzelnen Standorten
entlang der Autobahnen der Fall. Beispielsweise
stehen in der Nähe von Berlin und München an Au-
tobahntankstellen Ladesäulen, die an einem Tag
schon mehr als zehnmal angefahren werden – und
sich gut rechnen. In der Regel werden die öffentli-
chen Ladesäulen aber kaum genutzt, in den Städ-
ten werden sie sogar häufig blockiert, weil Fahrer
ihr Elektroauto nach dem Ladevorgang noch meh-
rere Stunden lang parken.
„Selbst wenn es dann – wie erhofft – zehn Millio-
nen Elektrofahrzeuge geben sollte, lassen sich eine
Million Ladesäulen nicht wirtschaftlich betreiben“,
glaubt Wiecher.
Die Kosten für die Betreiber stehen schlicht in
keinem Verhältnis zur erwarteten Nutzung. Für ei-
ne normale Ladesäule mit 20 Kilowatt (KW) Leis-
tung beginnen die Kosten – inklusive Installation
und Netzanschluss – bei rund 5 000 Euro. Bei ei-
ner Schnellladesäule mit 50 KW sind es schon
40 000 Euro. Bei einer Ultraschnellladesäule mit
150 bis 175 KW liegen die Kosten sogar bei 100 000
bis 120 000 Euro.
Die Krux beim Aufbau der öffentlichen Ladein-
frastruktur: Es ist eine so flächendeckende Infra-
struktur gewünscht, dass Elektroautofahrer immer

Streit um Ladesäulen

Bis 2030 sollen in Deutschland eine Million Ladepunkte für Elektroautos installiert


werden – so steht es im Klimapaket. Während Autohersteller das begrüßen, halten


Anbieter von Ladeinfrastruktur das Ziel für völlig unrealistisch.


mauritius images / Steve Simon

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MILLION
öffentliche Ladesäu-
len will die Bundesre-
gierung bis 2030 in
Deutschland.

Quelle: Bundesregierung

Unternehmen

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MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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