Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1

Zugang zu einem freien Ladepunkt haben. Wenn
das gewährleistet sein soll, sind die Ladesäulen
aber zu schlecht ausgelastet, als dass sie sich rech-
nen können. Hochgerechnet müssten bei einer Mil-
lion öffentlicher Ladesäulen wohl 30 Millionen
Elektroautos auf der Straße sein.
„Von sich aus werden die Marktteilnehmer das
nicht machen können“, sagt Wiecher: „Das ist nur
mit einer attraktiven Förderung möglich. Das sieht
zwar auch die Bundesregierung so. Im Klimapaket
ist ausdrücklich eine Förderung mit „entsprechen-
den Programmen bis 2025“ vorgesehen. Derzeit wer-
den Ladesäulen mit bis zu 40 Prozent der Kosten be-
zuschusst. Von einer Rentabilität sind die Ladesäu-
lenbetreiber aber selbst damit noch weit entfernt.


Alle Tankstellen sollen auch
Ladepunkte anbieten


Die Bundesregierung hat offenbar selbst Zweifel, dass
sie die Betreiber so ausreichend zu einem raschen
Aufbau der Infrastruktur bewegen kann. Im Klimapa-
ket kündigt sie deshalb auch schon „ordnungsrecht-
liche Maßnahmen“ an. Unter anderem plant sie „ei-
ne Versorgungsauflage“, „dass an allen Tankstellen in
Deutschland auch Ladepunkte angeboten werden“.
Es werde geprüft, „ob die Errichtung von Schnellla-
desäulen als Dekarbonisierungsmaßnahme der Mi-
neralölwirtschaft behandelt werden kann“.


Die Autohersteller drängen auch. Allen voran
Volkswagen. Der Konzern will allein bei der Marke
VW in fünf Jahren so weit sein, dass er pro Jahr ei-
ne Million Elektrofahrzeuge produzieren kann.
„Das Aufladen eines E-Autos muss genauso einfach
und selbstverständlich werden wie das Laden ei-
nes Smartphones“, fordert das Unternehmen. Des-
halb sieht es im Klimapaket auch „wichtige Be-
schlüsse“ zum Ausbau der Ladeinfrastruktur. „Das
Ziel von einer Million öffentlicher Ladepunkte bis
2030 halten wir für ein realistisches Szenario“, hält
Volkswagen der Energiebranche entgegen. Volks-
wagen werde sich weiter „mit ganzer Kraft für den
Wandel hin zur Elektromobilität“ einsetzen, ver-
spricht das Unternehmen.
Die Energiebranche sieht den erwarteten Boom
bei der Elektromobilität aber noch skeptisch. Viel
zu lange installieren sie schon Ladesäulen, ohne
dass ausreichend Elektrofahrzeuge auf den Markt
gekommen sind. Vor allem aber sieht sie nicht die
Notwendigkeit für das „Eine-Million-Ladesäulen -
programm“. „Wer nach dem Motto ,Viel hilft viel‘
eine Million Ladepunkte und mehr fordert, ver-
kennt die Realität“, monierte BDEW-Chef Stefan
Kapferer. 75 Prozent der öffentlichen Ladepunkte
werden aktuell durch die Energiewirtschaft be-
trieben.
Der BDEW geht nach eigener Schätzung davon
aus, dass 350 000 öffentliche Ladepunkte ausrei-
chen, um die bis 2030 angepeilten zehn Millionen
E-Autos in Deutschland zu versorgen. Auch der
Verband unterstellt dabei, dass nur 20 Prozent der
Ladevorgänge an öffentlichen Ladepunkten statt-
finden, 80 Prozent dagegen am Arbeitsplatz oder
in der heimischen Garage.
Viel wichtiger sei es, die Infrastruktur dort aufzu-
bauen, wo die Autos am Ende auch geparkt wer-
den, sagt Charge-Point-Manager Burghardt, also in
Parkhäusern, Tiefgaragen unter Mietshäusern oder
Eigenheimen. „Hier sollte die Regierung einen
schnelleren Ausbau ermöglichen, nicht im öffentli-
chen Bereich“, fordert Burghardt.

Der Aufbau des Netzes muss
auch koordiniert werden
Vor allem braucht es nach seinen Worten jetzt eine
schnellere Änderung im Miet- und Wohnungsrecht.
Bisher kann in einer Wohnungseigentümergemein-
schaft ein Eigentümer nur dann eine Ladesäule
aufstellen, wenn alle anderen Eigentümer dieser
Gemeinschaft einwilligen. Zudem kann in einer
Mietimmobilie der Vermieter den Bau einer Lade-
säule schlichtweg verweigern. „Es muss das Recht
auf einen Ladepunkt geben“, fordert der Charge-
Point-Manager.
Zwar sieht die Regierung in ihrem Klimapaket
vor, dass Vermieter durch das Mehrheitsprinzip da-
zu verpflichtet werden sollen, die Installation von
Ladesäulen zu dulden, außerdem soll das Aufladen
von E-Autos beim Arbeitnehmer steuerlich begüns-
tigt werden. „Aber die entsprechenden Gesetze
müssen jetzt auch zügig umgesetzt werden“, merkt
Burghardt an.
Eon-Manager Wiecher sieht aber auch beim
Aufbau des öffentlichen Netzes den Bund in der
Pflicht, den Ausbau zu koordinieren. „Es geht
auch darum, das Netz intelligent aufzubauen“,
sagt Wiecher. Natürlich müsse erst einmal ein
Grundnetz geschaffen werden an den Autobah-
nen, den Bundesstraßen und in den Speckgür-
teln. Mit steigender Zahl an Elektroautos müsse
das dann ausgebaut werden, vor allem auch kos-
tensparend mit zusätzlichen Anschlüssen an den
gleichen Standorten. „Sinnvoll wären zum Bei-
spiel Charging Hubs, zentrale Punkte mit vielen
Ladepunkten. Dadurch lassen sich die Kosten
drücken.“
Bis zum Jahresende will die Regierung einen
Masterplan zur Ladeinfrastruktur vorlegen. Eigent-
lich sollten 2020 schon eine Million Elektroautos
über deutsche Straßen rollen. Bis dahin ist es aller-
dings ein weiter Weg. Noch sind viele Verbraucher
skeptisch.
40 Prozent glauben laut einer BDEW-Umfrage,
dass es länger als zehn Jahre dauern wird, bis Elek-
troautos in Deutschland zum ganz normalen Stra-
ßenbild gehören.

Stromtankstelle:
Die Pläne der
Bundesregierung
stoßen bei Her-
stellern auf Kritik.

Batteriezellen

Der Bedarf


steigt rasant


W


eil die Kohlendioxid-Grenzwerte nicht
nur in Europa, sondern etwa auch in
China viel schärfer werden, wächst
die Nachfrage nach Batteriezellen weltweit. In ei-
ner neuen Untersuchung kommen das World
Economic Forum (WEF) und die Unternehmens-
beratung McKinsey daher zu dem Schluss, dass
die Produktionskapazitäten dramatisch ausge-
baut werden müssen.
Ende vergangenen Jahres konnten weltweit
Batteriezellen im Umfang von etwa 184 Gigawatt-
stunden produziert werden, was ungefähr für gut
drei Millionen Mittelklasse-E-Autos gereicht hät-
te. Das, was künftig gebraucht wird, klingt im
Vergleich dazu gewaltig. Die Autoren von WEF
und McKinsey kalkulieren in einem Basisszenario
damit, dass der Bedarf an Akkus bis 2030 um das
14-Fache steigt.
Stimmt diese Prognose, dann werden zum En-
de des nächsten Jahrzehnts fast 2 600 Gigawatt-
stunden gebraucht. Würde diese Menge aus-
schließlich für E-Autos verwendet, könnten
damit etwa 45 Millionen mittelgroße Elektro -
fahrzeuge ausgestattet werden. In einem zweiten
Szenario ist in der Studie sogar davon die Rede,
dass eine Steigerung um das 19-Fache denkbar
sei. Im Basisszenario wächst die jährliche Nach-
frage um 25 Prozent.
Dass künftig so massiv mehr Batteriezellen nö-
tig werden, geht fast ausschließlich auf den
Wechsel zum Elektroantrieb bei Pkws zurück.
Batteriezellen werden zwar auch noch für Unter-
haltungselektronik – vor allem Smartphones –
und die Energiespeicherung gebraucht. Doch die
Wachstumsraten dieser Bereiche fallen im Ver-
gleich zur Elektromobilität fast zwergenhaft aus.
Im Jahr 2030 werden etwa 60 Prozent der
weltweiten Zellnachfrage auf den Pkw-Bereich
entfallen. Weitere 27 Prozent werden für Nutz-
fahrzeuge gebraucht, so die Prognose von WEF
und McKinsey. Für die Unterhaltungselektronik
werden dann gerade noch 2,6 Prozent aller nach-
gefragten Batteriezellen gebraucht, heute liegt
der Anteil immerhin noch bei etwa 20 Prozent.
Damit die stark steigende Nachfrage nach zu-
sätzlichen Batteriezellen überhaupt gedeckt wer-
den kann, müssen überall auf der Welt neue Zell-
werke entstehen. In der WEF-McKinsey-Untersu-
chung ist davon die Rede, dass aktuell rund um
den Globus Produktionskapazitäten für etwa 350
Gigawattstunden bereitstünden. Der Bau zusätzli-
cher Zellwerke mit 510 Gigawattstunden Kapazi-
tät ist bereits zugesagt.
Damit bleibt immer noch eine Lücke von 1 700
Gigawattstunden, die nach den Berechnungen
der Studienautoren im Basisszenario bis 2030 ge-
schlossen werden müsste. Der dafür nötige finan-
zielle Aufwand ist gewaltig. Die Untersuchung
macht einen Investitionsbedarf von 140 Milliar-
den US-Dollar geltend. Stefan Menzel

Aufladung: Noch
gehören Elektroautos
nicht zum vertrauten
Straßenbild.

imago/photothek

Wir gehen


davon aus,


dass 80


Prozent der


Ladevorgänge


zu Hause und


auf der Arbeit


passieren.


Christian Burghardt
Europachef
Charge-Point

Ladesäuleninfrastruktur


Zahl der öffentlichen
Ladepunkte
in Deutschland


5 571


6 517

10 700

13 500

20 650

2015

2016

2017

2018

2019

HANDELSBLATT
Quelle: BDEW

350 000
Ladepunkte

für 10 Mio.
E-Autos

Prognose
2030:

Unternehmen & Märkte


MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
19

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