Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1
Franz Hubik München

O


pel-Betriebsratschef
Uwe Baum ist ein höfli-
cher Mann. Bei der Be-
legschaftsversamm-
lung des Autobauers
am vergangenen Freitag bedankte
sich der oberste Interessenvertreter
der Mitarbeiter bei der Marke mit
dem Blitz zuallererst bei Arbeitsdirek-
tor Ralph Wangemann. Er sei sehr er-
freut, dass der Manager sich Zeit da-
für nehme, vor die Truppe zu treten,
erklärte Baum laut übereinstimmen-
den Angaben von vier Teilnehmern
der Veranstaltung. Noch erfreuter, so
ließ der Betriebsratschef sinngemäß
wissen, wäre er aber, wenn auch
Opel-Chef Michael Lohscheller mal
wieder mit seiner Mannschaft spre-
chen würde.
Fast ein Jahr lang hat sich der
baumlange Geschäftsführer des tradi-
tionsreichen Fahrzeugherstellers
nicht mehr auf einer Betriebsver-
sammlung blicken lassen. Bei vielen
Mitarbeitern erzeugt das ein ungutes
Gefühl: Während sich Lohscheller
von einem Branchenmagazin als
„Marken-CEO des Jahres“ feiern lässt,

meidet er den Kontakt zur Basis. Die
„Drecksarbeit“ überlasse der Opel-
Chef lieber anderen, konstatiert eine
Führungskraft. Vielleicht auch, weil
es einfach fast nichts Positives zu ver-
künden gibt.
Vielmehr erfuhr die konsternierte
Belegschaft von Baum und Wange-
mann die nächste Sparmaßnahme.
Der Autobauer streicht in Rüssels-
heim vorübergehend die Spätschicht.
Fast 2600 Beschäftigte im Stamm-
werk der Marke sollen monatelang
kurzarbeiten. Konkret heißt das für
die Produktionsmitarbeiter: eine Wo-
che Autos montieren, die nächste
zwangspausieren. Das Ganze gilt zu-
nächst für ein halbes Jahr. Darauf ha-
ben sich Management und Betriebs-
rat geeinigt, erfuhr das Handelsblatt
aus Konzernkreisen.
„Die Opel Automobile GmbH hat
bei der zuständigen Agentur für Ar-
beit Kurzarbeit für das Werk Rüssels-
heim angezeigt. Die Kurzarbeit soll in
diesem Monat beginnen und sechs
Monate andauern“, bestätigte ein Un-
ternehmenssprecher. Opel greift zu
dem Instrument, um der massiven

Unterauslastung seiner hessischen
Fabrik entgegenzuwirken. Das Werk
läuft fortan im Einschichtbetrieb. Die
betroffenen Beschäftigten müssen
sich in dieser Zeit zumindest auf ge-
ringe Lohneinbußen einstellen.
Hintergrund der Maßnahme zur
Reduzierung der Arbeitszeit ist die
schwache Nachfrage der Kunden
nach der Limousine Insignia. Das ei-
gentliche Flaggschiff der Marke mit
dem Blitz leidet unter einem massi-
ven Absatzschwund. Verkaufte Opel
im ersten Halbjahr 2018 noch rund
43 000 Einheiten des Mittelklasse-
Pkw, waren es nach sechs Monaten
in 2019 gerade einmal noch 29 500.
Das entspricht einem Rückgang von
mehr als 31 Prozent.

„Sozialverträgliche
Brückenlösung“
Wegen der schlechten Absatzzahlen
gehen die Marktforscher von IHS da-
von aus, dass Opel die Jahresproduk-
tion des Insignia 2019 beinahe halbie-
ren wird – von vormals 95 000 auf
nur noch 52 000 Einheiten. Damit
Verkaufsdellen bei einzelnen Model-

len nicht voll auf die Produktion
durchschlagen, fertigen viele Fahr-
zeughersteller normalerweise zumin-
dest zwei unterschiedliche Fabrikate
in einem Werk.
Auch Opel tat dies in Rüsselsheim
jahrelang. Im Sommer lief allerdings
die Produktion des Kastenwagens Za-
fira aus. Erst 2021 soll dort mit dem
neuen Astra wieder ein zweites Mo-
dell vom Band laufen. Bis dahin will
Opel mit Instrumenten wie Kurzar-
beit betriebsbedingte Kündigungen
vermeiden. Die nun beschlossene
Verkürzung der Arbeitszeit diene als
„sozialverträgliche Brückenlösung“,
erklärte ein Unternehmenssprecher.
Das allein reicht aber längst nicht.
Bereits Ende Juni hat Opel beschlos-
sen, 600 Monteure in seinem
Stammwerk über Abfindungen, Al-
tersteilzeit und Vorruhestand in den
nächsten Jahren abzubauen. Die Ka-
pazität der Fabrik in Rüsselsheim soll
zudem im Zuge des Anlaufs des neu-
en Astra schrumpfen.
Statt wie bisher 60 Fahrzeuge sol-
len dann maximal noch 40 Wagen
pro Stunde vom Band laufen können.
Opel betont, dass die Zukunft des
Werks in Rüsselsheim nicht gefährdet
sei, sondern durch die Investition in
den Astra langfristig gesichert werde.
Die aktuellen Sparmaßnahmen bei
Opel treffen auch mehrere Zulieferer
hart. So hat der Autobauer etwa die
Aufträge für die Lear Corporation
GmbH derart zusammengestrichen,
dass die Mitarbeiter des Sitzherstel-
lers im Werk in Ginsheim-Gustavs-
burg um ihre berufliche Zukunft ban-
gen, heißt es in Konzernkreisen.
Beim Logistikdienstleister Rhenus
SCR wackeln ebenfalls Hunderte
Jobs. „Als Zulieferer ist Rhenus SCR
durch einen Abbau von Stellen be-
troffen“, bestätigte die Firma.
Auch bei Opel selbst scheint der
nächste Stellenabbau unausweichlich
zu sein. In Getriebewerk, Schmiede,
Werkzeugbau, Presswerk und Waren-
verteilzentrum summiert sich der
Personalüberhang auf mehr als
600 Beschäftigte. Es bestehe Hand-
lungsbedarf, heißt es in Konzernkrei-
sen. Im Entwicklungszentrum ITEZ
in Rüsselsheim steht darüber hinaus
eine Reorganisation bevor, nachdem
Opel zuletzt Hunderte Mitarbeiter, 20
Gebäude sowie 120 Motoren- und
Rollenprüfstände an den Dienstleis-
ter Segula ausgelagert hat.
Kurzum: Die Sanierung bei der
Marke ist längst noch nicht abge-
schlossen. Dabei hat Opel seit der
Übernahme durch den französischen
Autohersteller PSA (Peugeot, Citroën,
DS) im Sommer 2017 bereits den Ab-
bau von 6 800 Stellen besiegelt. Kriti-
ker werfen Opel-Chef Lohscheller da-
her vor, die Firma auf dem Rücken
der Belegschaft zu sanieren.
Der gelernte Controller sieht dage-
gen keine Alternative zu seinem Spar-
kurs. Schließlich hat die Marke zuvor
fast 20 Jahre lang Verluste geschrie-
ben. Unter PSA und Lohscheller er-
zielt Opel nun wieder Gewinne. Im
ersten Halbjahr schaffte Opel ein be-
reinigtes Betriebsergebnis von rund
700 Millionen Euro. Das ist ein Plus
von fast 40 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr.
Und Lohscheller will Opel weiter
auf Effizienz trimmen. Sein Problem:
Opel steht wie der Rest der Autobran-
che enorm unter Druck. Allein in die-
sem Jahr dürfte der Weltautomarkt
um fünf Prozent schrumpfen. Im-
merhin: Bei der nächsten planmäßi-
gen Opel-Betriebsversammlung im
Dezember hat Lohscheller sein Kom-
men zugesagt. Bleibt nur die Frage,
ob er dann mit guten oder schlech-
ten Nachrichten vor die Truppe tritt.

Sparmaßnahme in Rüsselsheim


Opel meldet sechs


Monate Kurzarbeit an


Der Autobauer streicht die Spätschicht im Stammwerk.


Opel-Akustiklabor:
Die Produktion wird
wegen schwacher
Nachfrage gekappt.

Opel Automobile GmbH

Die


Kurzarbeit


soll in


diesem


Monat


beginnen und


sechs Monate


andauern.


Opel
Konzernsprecher

Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
20
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