Handelsblatt - 02.09.2019

(Barré) #1

Credit Suisse


Längst nicht


abgehakt


F


alls bei Ihnen mal eine Party
so richtig aus dem Ruder ge-
laufen sein sollte, keine Sor-
ge: Die Credit Suisse hat bewiesen,
dass alles immer noch viel schlim-
mer kommen kann.
Im Januar hatten sich Bankchef
Tidjane Thiam und Iqbal Khan, der
die Vermögensverwaltung der CS
verantwortete, auf einer Cocktail-
party zerstritten. Khan kündigte
seinen Job, ging zum Rivalen UBS –
und stellte im September fest, dass
er von Detektiven im Auftrag seines
alten Arbeitgebers Credit Suisse ver-
folgt wurde. Der Boulevard walzte
die Details der Spitzelaffäre genüss-
lich aus, inklusive Luftaufnahmen
vom Wohnsitz der beiden Alpha-
männchen. Nicht nur das Image der
Bank, sondern auch das des Finanz-
platzes Schweiz wurde ramponiert.
Nun hat eine eilig anberaumte
Untersuchung einer Züricher An-
waltskanzlei ergeben, dass Thiam
nicht in die Überwachung Khans
involviert war. Es soll sich um eine
eigenmächtige Aktion zweier CS-
Manager handeln, die fürchteten,
dass Khan Mitarbeiter der Bank ab-
werben könnte. Am Ende hat die
Affäre vor allem Verlierer produ-
ziert.
Wenn Bankchef Thiam tatsäch-
lich nichts von der Überwachungs-
aktion wusste, muss er sich unwei-
gerlich den Vorwurf gefallen lassen,
dass er nicht mitbekommt, was in
seinem eigenen Haus geschieht.
Weitere Fehltritte darf er sich nicht
erlauben.
Auch Verwaltungsratschef Urs
Rohner macht in der Sache keine
gute Figur. Mag sein, dass die bei-
den zurückgetretenen Manager ei-
genmächtig handelten – doch sie
hatten dabei angeblich die Interes-
sen der Bank im Sinn. Aber welche
Kultur muss bei der Credit Suisse
herrschen, wenn es führende Mitar-
beiter für legitim halten, Spitzel auf
einen bis dato unbescholtenen Mit-
arbeiter anzusetzen?
Auch wenn die Bank die Affäre
am liebsten abhaken würde, muss
die eigentliche Aufarbeitung jetzt
erst beginnen: Die Credit Suisse
muss ihre Kultur auf den Prüfstand
stellen. Hier ist etwas faul – und das
waren sicher nicht die Cocktails.


In der Khan-Affäre gibt es nur
Verlierer. Jetzt muss die Bank ihre
Kultur auf den Prüfstand stellen,
mahnt Michael Brächer.

„Meine Lebensplanung bei der
Deutschen Post ist noch nicht
abgeschlossen.“
Frank Appel, Vorstandsvorsitzender Deutsche Post, will
offensichtlich noch eine Zeit Post-Chef bleiben.

Worte des Tages


Der Autor ist Korrespondent in
der Schweiz.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


D


ie Kritik am FDP-Vorsitzenden Christi-
an Lindner ließ nicht lange auf sich
warten. „Ich will nicht verzichten und
will auch nicht, dass andere verzich-
ten müssen. Ich will durch die beste
und neueste Technik erreichen, dass die Menschen
frei leben und sich frei bewegen können, während
wir gleichzeitig etwas für den Klimaschutz tun“, pos-
tete sein Team vor einer Woche auf Twitter – zum Är-
ger vieler Fridays-for-Future-Anhänger. Auf Twitter
erntete Lindner Spott.
Dabei drückte der Politiker nur etwas unelegant
das aus, wovon die Tech-Szene träumt: Nullemissio-
nen bei unverändertem Lebensstil dank neuer Tech-
nik. Auf der am Dienstag beendeten Start-up-Konfe-
renz Bits & Pretzels in München zog sich diese Vision
durch viele Debatten – weitgehend nicht hinterfragt.
Mit Worten treibt die Szene den Klimaschutz voran.
Doch es mangelt an Taten. Denn derzeit rechnen
sich klimaschädliche Geschäftsmodelle schlichtweg
besser als Investitionen in den Klimaschutz.
Dabei lautet eines der Grundversprechen der Digi-
talindustrie: höhere Effizienz. Doch diese Effizienz-
gewinne übersetzen die meisten Start-ups nicht in
Ressourcenschonung, sondern sie sorgen im Gegen-
teil dafür, dass Verbraucher mehr konsumieren.
Zum Beispiel im E-Commerce: Ausgewiesenes Ziel
vieler Onlineshops ist es, nicht nur den stationären
Handel dank schneller Lieferung, breiter Auswahl
und niedriger Preise abzulösen, sondern die Kunden
zu mehr Konsum zu verführen. Nicht umsonst trug
ein inzwischen von Home24 übernommenes Start-
up den bezeichnenden Namen „Fashion for Home“:
Möbel sollen zum Modeartikel werden mit entspre-
chend kurzer Produktlebensdauer – dank Digital-
marketing, digitaler Logistik und auch dank niedri-
ger Produktionskosten in Fernost.
Das Start-up Lesara wiederum hatte explizit zum
Ziel, seine Zielgruppe, vor allem ältere Frauen, zum
Kauf von billigem, unnötigem Schnickschnack eben-
falls aus dem Fernen Osten zu verleiten. Immerhin:
Es zeigt sich, dass diese Geschäftsmodelle nicht un-
bedingt nachhaltig sind. Lesara musste in diesem
Jahr seinen Onlineshop schließen, Home24 tut sich
an der Börse schwer.
Auch in der aktuellen Welle von hochfinanzierten
Start-ups finden sich etliche, die digitale Effizienz in
zusätzlichen Konsum umsetzen. Immer deutlicher
zeigt sich in den deutschen Städten, dass die E-Rol-
ler nicht Autofahrten ersetzen, sondern Fußgänger
zu Mobilitätskonsumenten machen. Die Roller ha-
ben derweil eine Lebensdauer von wenigen Monaten
und verbrauchen kräftig Strom. Reine Ressourcen-

verschwendung. Die jungen Carsharing-Apps, bei de-
nen die Autos an jeder Straßenecke stehen, gehen
bislang jedenfalls eher zulasten des ÖPNV, als dass
sie Privatwagen ersetzen. Die Liste lässt sich fast be-
liebig fortsetzen: Die Berliner Reiseerlebnis-App Get
Your Guide, mit über einer Milliarde Dollar bewer-
tet, forciert den Fernreisetourismus ebenso wie der
US-Konkurrent Airbnb. Die komfortablen Flugtaxen,
die Unternehmen wie Lilium derzeit entwickeln,
werden dazu beitragen, dass Geschäftsleute eher
mehr reisen, als Videokonferenzen zu nutzen.
Dass Gründer und Risikokapitalgeber nur wenige
Geschäftsmodelle finanzieren, bei denen Nachhaltig-
keit nicht nur Beiwerk, sondern Kern ist, liegt vor al-
lem daran, dass sich damit kaum schnelles Geld ver-
dienen lässt. Solange CO 2 -Emissionen keinen poli-
tisch gesetzten hohen Preis haben, lässt sich mit der
Reduktion wenig verdienen. Die Investoren erinnern
sich zudem daran, was aus vielen Clean-Energy-
Gründungen aus der Zeit des Solar-Booms vor einem
Jahrzehnt geworden ist: Sie sind oft mit der deut-
schen Solarindustrie verschwunden.
Echte Innovationen sind in dem Feld sehr for-
schungsintensiv. Sie finden entsprechend eher bei
den Großkonzernen statt wie dem Kraftwerksbauer
Siemens oder den Autoherstellern, die an Elektroan-
trieben und Brennstoffzellen arbeiten. Doch als Part-
ner für solche Unternehmen tut sich die Start-up-
Szene schwer. Kraftwerke und Autos etwa haben lan-
ge Produktzyklen – viele Risikokapitalgeber aber
einen beschränkten Zeithorizont von wenigen Jah-
ren bis zum Exit. Um vom Trendthema Klimaschutz
zu profitieren, schauen die Investoren daher auf
neue Modelle wie Softwarelösungen für effizientere
Gebäudetechnik, die sich relativ schnell program-
mieren, verkaufen und skalieren lassen.
Darin liegt die Chance: Wenn es Start-ups gelingt,
mit solchen Geschäftsmodellen schnell hochbewer-
tete Unternehmen zu entwickeln, dann wäre das ein
Signal an die gesamte Wirtschaft und die Politik. Den
Worten müssen jetzt Taten folgen. Das schafft die
Start-up-Szene nicht allein. Sie braucht Hilfe aus der
Politik – durch kluge Regulierung, nicht durch Sub-
ventionen und schon gar nicht durch plumpe Sprü-
che. Ein spürbarer Preis für CO 2 -Emissionen wäre
ein guter Beginn, um Klimaschutz geschäftsfähig zu
machen. CO 2 -Reduktion würde sich dann kurzfristig
auszahlen und wäre ein Geschäftsmodell – nicht nur
für Weltkonzerne wie Siemens.

Leitartikel


Zeit für


grüne Taten


Start-ups geben
sich gern nachhaltig.
Tatsächlich aber
schaden viele
Geschäftsmodelle
dem Klima. Das
muss sich ändern,
fordert Christoph
Kapalschinski.

Risiko-


kapitalgeber


finanzieren


nur wenige


Geschäfts-


modelle,


bei denen


Nachhaltigkeit


der Kern ist,


weil sich


damit kaum


schnelles Geld


verdienen lässt.


Der Autor ist Korrespondent in Hamburg.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

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MITTWOCH, 2. OKTOBER 2019, NR. 190
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